Ermordet in Kabul. Heidemarie Führer
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Ermordet in Kabul - Heidemarie Führer страница 4

Название: Ermordet in Kabul

Автор: Heidemarie Führer

Издательство: Bookwire

Жанр: Религия: прочее

Серия:

isbn: 9783775174916

isbn:

СКАЧАТЬ mit dem sie bald richtig spielen und sprechen konnte. Die Erwachsenen waren dazu nicht immer zu gebrauchen. Wenn sie mit der Mutter einkaufen ging, durfte sie sich meistens etwas aussuchen. So war es auch bald nach dem Einzug von Simone. Christine wählte diesmal zehn bunte Kaugummikugeln aus, die sie in den Einkaufswagen legte. Zu Hause angekommen, lief sie gleich zu ihrem Schwesterchen und schob ihr eine leuchtend rote Kugel in den Mund. Simone freute sich sichtlich darüber. Deshalb opferte Christine alle ihre Kugeln. Als gerade das letzte Objekt der Freude im Mund des Babys verschwand, kam die Mutter ins Zimmer und war hell entsetzt. Simone konnte – glücklicherweise – noch nicht kauen, nur lutschen und schlucken. Und so kamen die Kugeln einige Zeit später auf natürliche Weise wieder ans Tageslicht.

      Ein Problem hatte die mangelnde Durchblutung des Gehirns nach Simones Geburt verursacht: Sie hatte das Gebiet, das für das Verhältnis von Hunger und Sättigung zuständig ist, aus dem Gleichgewicht gebracht. Simones Gehirn meldete nicht: Du bist satt! Die Mutter musste diese Aufgabe übernehmen. Umgekehrt muss Simone immer unter einem Hungergefühl gelitten haben. Wie soll das ein Kind verstehen? Außerdem fand ein Kinderarzt heraus, dass Simone unter starken Kopfschmerzen litt, deren Auslöser eine starke Sehschwäche war. Simone war zäh und ausdauernd, wenn sie trotz ihrer Einschränkungen etwas erreichen wollte. Das zeigte sich auch beim Klettergerüst auf dem Spielplatz. Sie ruhte nicht, bis sie – nach vielen Anläufen – die Spitze erreicht hatte.

      Nach der Geburt von Magdalene war das Dreimädelhaus komplett. Rechnet man noch alle Freundinnen der drei hinzu, so ging es im Beck’schen Eckhaus meist lebhaft und lustig zu. Und hinter dem Haus war genügend Platz, um zu toben und zu spielen.

      Die Familie konnte wenig zusammenhängenden Urlaub machen. Der Vater, der elektronische Steuerungen für Pressen, Zentrifugen, Förderbänder und Tunnelbohrmaschinen entwickelte, musste erreichbar sein. Falls eine Steuerung nicht richtig funktionierte und zum Beispiel ein Transportband ausfiel, musste der Schaden schnell behoben werden, um die Firma vor größeren Verlusten zu bewahren. Als Urlaubsersatz stand bei der Familie Zelten am Bodensee hoch im Kurs. Auch wenn es nur ein verlängertes Wochenende war, genossen es alle. Außerdem wurde viel und stramm gewandert. Die Mutter musste zwar manche Überredungskunst anwenden, um die Mädels dafür zu gewinnen, aber wenn erst einmal alle auf der Strecke waren, dann gab es kein Halten mehr. So wurde die nähere und weitere Umgebung erobert. Die Eltern erzählten vom »Stuttgarter Hutzelmännchen«, vom Blautopf und der »schönen Lau« und andere Geschichten, nicht nur vom Dichter Eduard Mörike. Schier unerschöpflich waren die Sagen um die Burgen und Schlösser auf der Schwäbischen Alb.

      In Dettingen fanden immer wieder sogenannte Zelt-Evangelisationen statt, eine intensive Verkündigung des Evangeliums an mehreren Abenden hintereinander. In dieser Zeit wurde auch den Kindern ein spannendes extra Programm geboten. »Die Dettinger Kinder kamen in Scharen zu den Nachmittagen. Die waren einfach großartig«, erinnern sich Christine und Magdalene. Simone war auch eifrig dabei. Immer wieder sprach sie von ihrem großen Traum: »Ich will Missionarin in China werden!« Später erwähnte sie unter dem Stichwort »innerer Werdegang« die regelmäßige Teilnahme am Kindergottesdienst. Auch dort kann der Grund für die spätere Berufung gelegt worden sein. Die verborgenen Impulse, die Gott in ein Leben hineinsendet, sind immer die spannendsten. Simone erzählte weder damals noch später viel davon. Aber jede Biografie von Missionaren, die sie in die Hände bekam, verschlang sie; sie war dann kaum noch ansprechbar, so sehr fesselten sie diese Lebensbilder.

      Simone wurde mit der Zeit selbstbewusster. Sie ging gern in die Schule, zumal sie immer mehr entdeckte, was sie alles konnte. Die Entwicklung des Säuglings, der – vom Lebenskampf gezeichnet – in seinem Bettchen lag, bis zu der fröhlichen Schulanfängerin ist beeindruckend. Rein äußerlich waren beim Schuleintritt die Zeichen des erlittenen Traumas überhaupt nicht mehr zu sehen. Vermutlich hat der Neurobiologe Gerald Hüther 1 recht, wenn er schreibt, dass der Mensch bei seiner Geburt noch über einen gro-ßen Überschuss an Nervenzellen verfügt. Dieses Reservoir kann vom Körper genutzt werden, um Verbindungen, die vor der Geburt noch nicht hergestellt wurden, danach doch noch zusammenzuschalten. Gott, unser Schöpfer, schickt uns also mit einem Überschuss auf die Welt! Er gibt uns mehr, als wir brauchen. Ein bedingungsloser Vorschuss der Liebe Gottes. Und wenn man es recht bedenkt, dann ist dieses großzügige Angebot an Möglichkeiten nicht nur auf die Nervenzellen im Gehirn beschränkt.

      »Du bist unser Wunderkind«, sagte die Mutter oft zu Simone, die das gar nicht gerne hörte. Aber es wirkten viele wunderbare Dinge zusammen: offensichtliche, wie die aufmerksame Zuwendung der Mutter, die Gemeinschaft der Geschwister untereinander, die Ruhe des Vaters, der gesicherte Rückzugsort im Haus; dann auch verborgene, wie die geheimnisvolle Wirkungsweise des kindlichen Gehirns, das, richtig angeregt, erstaunliche Leistungen vollbringen kann. Und nicht zu vergessen, die Gebete der Mutter und die Fürbitte all derer, denen die Heilung von Simone auf dem Herzen lag.

      Nach dem Besuch der Schillerschule (Grundschule) in Dettingen wechselte Simone 1984 ins Graf-Eberhard-Gymnasium in Bad Urach. Ein Mitschüler charakterisierte sie einmal mit einem kleinen Reim: »Simone spricht immer leise, aber was sie sagt, ist weise.« Sie gehörte zu den Besten ihrer Klasse.

      Die Konfirmation und die Vorbereitung darauf nahm Simone sehr ernst. Sie war stiller als sonst, in sich gekehrt. Vielleicht machte sie es an ihrer Konfirmation noch einmal entschlossen fest: »Mein Gott, ich will dir als Missionarin unter fremden Völkern dienen. Und darauf will ich mich gut vorbereiten.« Ihr Konfirmationsspruch, den ihr Pfarrer Werner Beuerle zusprach, bestätigte diesen Wunsch und verstärkte ihn: Denn ich schäme mich des Evangeliums von Christus nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die da selig macht alle, die daran glauben (Römer 1,16; LUT 1956). Dieses Bibelwort begleitete sie ihr ganzes Leben.

      Obwohl sie das Abitur spielend geschafft hätte, ging Simone nach der zehnten Klasse vom Gymnasium ab. Ihr Argument: »Ich will Missionarin werden. Dazu brauche ich kein Abi, aber einen Beruf.« Zunächst ließ sie sich auf der Fachschule für Sozialpädagogik in Weinstadt zur staatlich anerkannten Erzieherin ausbilden und sammelte danach von 1994 bis 1998 Erfahrungen in ihrem Beruf. Diese Zeit war aber auch eine Zeit der Unsicherheit, eine Zeit des Fragens und Suchens: Wie soll es weitergehen? Soll ich wirklich Missionarin werden? Oder war alles doch nur ein kindlicher Einfall? Nur ein Traum? Wenn es aber kein Traum, sondern Gottes Ziel für mich ist, wie kann ich mich am besten dafür vorbereiten?

      Durch Freunde kam sie in Kontakt mit Operation Mobilisation (OM) in Mosbach. In dieser idyllischen Kleinstadt im Odenwald ist das Missions- und Hilfswerk mit dem ungewöhnlichen Namen angesiedelt. Von einer zur Zentrale umgebauten alten Mühle aus werden die internationalen Aufgaben in aller Stille bearbeitet und organisiert. OM hat rund 3500 Mitarbeiter in über 110 Ländern.

      1994 ging Simone nach London zu einem vierwöchigen Sommereinsatz mit OM England. Das tat nicht nur ihren englischen Sprachkenntnissen gut, sondern sie lernte auch die Arbeitsweise von OM näher kennen. Außerdem studierte sie gründlich Bücher und Broschüren der Organisation. Dabei faszinierte sie die weltweite Arbeit von OM Ships. Sie bekam auch die neu veröffentlichte schmale DIN-A4-Broschüre über die Geschichte dreier außergewöhnlicher Schiffe – Logos, Doulos, Logos II – in die Hand. Auf dem Klappentext las sie:

      »Vor 30 Jahren konnte sich niemand vorstellen, dass es dieser internationalen Gruppe von jungen Menschen tatsächlich gelingen würde, dieses schier unmögliche Vorhaben zu verwirklichen: Ein Schiff zu kaufen, es umzubauen und damit die Häfen der ganzen Welt zu besuchen, um die gute Nachricht zu verkünden und den Menschen vor Ort direkte Hilfe zu leisten … Heute haben bereits mehrere Tausend Menschen nicht auf einem, sondern auf drei Schiffen gearbeitet … – zusammen haben sie mehr als 130 Länder besucht und über 26 Millionen Menschen beherbergt (oft mehrere Tausend Besucher pro Tag).«

      Nun beschäftigte sich die junge Frau mit den klar umrissenen Bedingungen und den Möglichkeiten eines solchen Schiffseinsatzes, die dazu herausforderten, mehr aus dem eigenen Leben zu machen und anderen Menschen auf der Welt Bildung, Hilfe und Hoffnung zu bringen. СКАЧАТЬ