Lebenskunst nach Leopardi. Группа авторов
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СКАЧАТЬ und keinen programmatischen ‹Optimismus› im Sinne der ‹besten aller möglichen Welten›; es gibt kein banales ‹positive thinking›, das die Wirklichkeit menschlichen Lebens nicht sehen und nicht wissen will, und kein selbstbetrügerisches ‹wishful thinking›, das sich über sich selbst belügt. Aber das «sconsolato», das nicht weg- und nicht schönzuredende Wissen um die Endlichkeit als conditio sine qua non der conditio humana, bewirkt gerade nicht den Verzicht auf das vertere und damit auch nicht den Verzicht auf die Poesie, im Gegenteil, ist doch der canto, ist die Dichtung letztlich die einzige Möglichkeit des Glücks13 und damit immer ein ‹Gegengesang› zum «acerbo vero» [zur «herbe[n] Wahrheit»], immer ‹anti-pessimistische Strategie› und Lebenskunst in Anbetracht gewußter Negativität: «conosciuto, ancor che tristo, | Ha i suoi diletti il vero» (Al Conte Carlo Pepoli, v. 140 und v. 151sq. [«Die Wahrheit, die man erkennt, auch wenn sie | traurig ist, hat ihre Freuden»]).

      In diesem Sinne erweist sich gerade das Ende des Gedichts als zentral für das Verständnis des Textes wie der «poesia pensante» und des «pensiero poetante»14 im Werk Leopardis generell, impliziert doch das ‹volgersi indietro› in eins das poetische Moment des Verses und das philosophische der Reflexion. Zwar scheint der Passero solitario mit seinen komplexen Zeitverhältnissen zunächst der berühmten «teoria del piacere», derzufolge das Glück nicht in der Gegenwart, sondern nur in der erinnerten Vergangenheit oder der imaginativ vorweggenommenen Zukunft erfahren werden kann, geradezu antithetisch zuwiderzulaufen, insofern vom Ich dieses Gesangs die Vergangenheit vor allem als unwiederbringliche, die Zukunft vor allem wegen des Alters gefürchtet wird (cf. vv. 50–56). Doch gerade die Möglichkeit des Zurückwendens, über die der scheinbar beneidete Vogel nicht verfügt, erweist sich als Strategie, um dichtend das Gedachte zu bewältigen: Allein der canto als sich umwendendes vertere statt als vorlaufendes prorsus vermag dem Ich des Gedichts, vermag dessen Leserin und Leser wie dem poeta e pensatore als seinem ersten Leser als lebenskünstlerische Strategie zu dienen15.

      Mit ihrem «Volgerommi» evoziert die Sprechinstanz des Passero solitario, evoziert das Gedicht selbst somit diese Spezifik dichterischen Sprechens, memoria und ripetizione, Erinnerung und Wiederholung zu sein, wie sie Agamben aus seiner Lektüre des Infinito entfaltet und wie sie vergleichbar für eine Lektüre des Passero solitario Gültigkeit besitzt, insofern auch hier jeder Leser und jede Leserin das «Volgerommi indietro» ebenso mit-, nach- oder überhaupt vollziehen muß, wie dort jedes sprechende oder lesende Ich dem questo allererst ‹seinen› Sinn gibt16. Wie das «Volgerommi indietro» ausspricht und wie die sich in ihrem Rhythmus stets wieder zum Anfang zurückwendenden Verse samt den Reimen, Alliterationen, Assonanzen und anderen Rekurrenzphänomenen des Passero solitario unterstreichen, führt die Lyrik geradezu ihr Spezifikum, Erinnerung und Wiederholung, immer schon erklungene und immer neu erklingende Sprache zu sein, vor:

      la poesia – ogni poesia – contiene […] un elemento che avverte già sempre chi l’ascolta o ripete che l’evento di linguaggio, che è, in essa, in questione, è già stato e farà ritorno infinite volte. Questo elemento, che funziona, in qualche modo, come un super-shifter, è l’elemento metrico-musicale. […] L’elemento metrico-musicale mostra innanzitutto il verso come luogo di una memoria e di una ripetizione. Il verso (versus, da verto, atto di volgere, di far ritorno, opposto al prorsus, al procedere dirittamente della prosa) mi avverte, cioè, che queste parole sono sempre già avvenute e ritorneranno ancora, che l’istanza di parola che, in esso, ha luogo, è, pertanto, inafferrabile.17

      Insofern aber jedes Sprechen, jede Lektüre eines Gedichts als Erinnerung und Wiederholung stets auf das schon Erklungene und immer wieder neu Erklingende und damit auf Vergangenheit und Zukunft deuten, weisen sie – wie das beide ebenso unauflöslich wie raffiniert zusammenbindende «Volgerommi indietro»18 – zugleich in einem umfassenderen Sinn auf die zunächst vom Gedicht scheinbar in Frage gestellte teoria del piacere hin, die Leopardi in seinem Zibaldone di pensieri oder Gedankenbuch so oft umreißt und umkreist. Auch dort hängt das Empfinden von Glück oder Lust, piacere, nicht von einer ‹frohen› statt einer ‹pessimistischen› Botschaft ab, sondern von der Fähigkeit, zu erinnern und zu imaginieren und so den gegenwärtigen Augenblick dank des in Erinnerung und Vorstellung Gesehenen, Gehörten, Empfundenen zu bereichern.19

      III. Literatur und Lebenskunst

      In welchem Maße im Rahmen einer Lebenskunst, einer «arte del vivere», gerade der Dichtung eine «funzione vivificante»1 zukommt, macht eine Zibaldone-Passage deutlich, die wie ein Anklang an Rousseaus Rêveries du promeneur solitaire klingt. Waren schon diese ‹Träumereien› oder ‹fantasticherie›, die letzte der autobiographischen Schriften Rousseaus, geschrieben, damit ihr Autor sich in späteren Jahren mit einem jüngeren Selbst unterhalten kann,2 erhofft der Autor des Zibaldone, indem er in «quella età» die Zukunft, das Alter, imaginativ vorwegnimmt und durch die Erinnerung ‹köstlich› werden läßt, eine vergleichbare ‹Lust am Text›, ein geradezu sinnliches3 «piacere» von seinen Versen, von seinem ‹volgersi indietro› zur eigenen Jugendzeit, vom «riflettere» über die Vergangenheit:

      Uno de’ maggiori frutti che io mi propongo e spero da’ miei versi, è che essi riscaldino la mia vecchiezza col calore della mia gioventù; è di assaporarli in quella età, e provar qualche reliquia de’ miei sentimenti passati, messa quivi entro, per conservarla e darle durata, quasi in deposito; […] oltre la rimembranza, il riflettere sopra quello ch’io fui, e paragonarmi meco medesimo; e infine il piacere che si prova in gustare e apprezzare i propri lavori, e contemplare da se compiacendosene, le bellezze e i pregi di un figliuolo proprio, non con altra soddisfazione, che di aver fatta una cosa bella al mondo, sia essa o non sia conosciuta per tale da altrui. (Zib. 4302 [15. Feb. 1828])4

      [Eine der wichtigsten Früchte, die ich mir von meinen Versen erhoffe und verspreche, ist, daß sie mein Alter mit dem Feuer meiner Jugend erwärmen mögen; daß ich sie im Alter genießen und manche Reliquie meiner vergangenen Gefühle wiederfinden werde, daselbst hineingetan, um sie aufzubewahren und ihr Dauer zu verleihen, fast wie in einer Schatzkammer; […] zudem die Erinnerung, das Nachdenken über das, was ich war, das Mich-mit-mir-selbst-Vergleichen; und schließlich die Lust, die man empfindet, wenn man die eigenen Arbeiten genießt und schätzt, wenn man für sich die Schönheiten und Vorzüge eines eigenen Kindes betrachtet und sich daran erfreut, mit keiner anderen Befriedigung als der, etwas Schönes auf der Welt gemacht zu haben, gleich ob es von anderen als schön erkannt wird oder nicht.5]

      Auch das Ich des ‹Gedankenbuchs› praktiziert demnach, wie das im Gedicht inszenierte und sprechende Ich, das «volgerommi indietro», statt nach «felicità celesti» oder anderen «godimenti» [nach ‹himmlichen Glückseligkeiten› oder anderen ‹Genüssen›] zu streben. Zwischen «la mia vecchiezza» und «la mia gioventù» [«mein[em] Alter» und «meiner Jugend»] bereichern Rückblick und Vorausblick, Erinnertes und Erhofftes die Gegenwart und geben damit ein Bild jener «anti-pessimistischen Strategie», jener «Lebenskunst», die der 79. pensiero skizziert (cf. Zib. 4420sq. [1. Dic. 1828]). Wie – nach der Erläuterung mittels der (selbst-)ironischen und wiederum einem Gegengesang gleichkommenden ‹natura benigna› [‹wohlgesinnten Natur›] – das Ende des Aphorismus als seine eigentliche Pointe zeigt, ist diese «arte del vivere» letztlich vom zu errechnenden Lebensalter gänzlich unabhängig; genauer, er sagt sich los von den Stereotypen jugendlichen Stürmens und Drängens hier und vermeintlicher Altersweisheit und gesetzter Abgeklärtheit dort, weil de facto die einen solche ‹Kunst› schon in jungen Jahren erlernten und erfolgreich praktizierten, während sie den anderen bis ins hohe Alter und bis zum Tod verschlossen bleiben werde:

      Il giovane non acquista mai l’arte del vivere, non ha, si può dire, un successo prospero nella società, e non prova nell’uso di quella alcun piacere, finchè dura in lui la veemenza dei desiderii. Più ch’egli si raffredda, più diventa abile a trattare gli uomini e se stesso. La natura, benignamente СКАЧАТЬ