Lebenskunst nach Leopardi. Группа авторов
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СКАЧАТЬ me» ab Vers 50 einen doppelt so langen Teil entgegensetzt. Dieser mündet in den letzten beiden Versen in einen durch «Ahi» eingeleiteten, klagenden Ausruf, die einzige Antwort auf die drei zuvor gestellten Fragen des Ich.

      Insbesondere zwischen erstem und zweitem Abschnitt sind die Bezüge vom Gedicht klar markiert und lassen sich bei aufmerksamem mehrfachem Hören und Lesen deutlich wahrnehmen, weil sich essentielle Elemente wiederholen: In der Mitte des ersten Teils ist zunächst von der «primavera» die Rede, dann vom Hören, «Odi», und von den anderen; dies wiederholt sich exakt im zweiten Teil, wo in v. 26 der Frühling, in v. 29sq. insistierend das «du hörst» und mit der «Dorfjugend» in v. 33 auch das Pendant zu den anderen Vögeln wiederkehren. Dies wird in der Weise umrahmt, daß Teil I mit dem Du und auf dem Land beginnt, während Teil II mit dem Ich auf dem Land endet (cf. v. 2sq. und v. 36sq.); umgekehrt endet Teil I damit, daß der Vogel sich nicht um das schert, was den anderen Freude bereitet – «non ti cal d’allegria» (v. 14) –, so wie der zweite damit beginnt, daß das Ich sich um Frohsinn, Lachen und Liebe nicht kümmert: «non curo» (v. 22). Zahlreiche Elemente des Gedichts also lassen die enge Verbindung, die Ähnlichkeit zwischen Ich und «passero» hörbar und sichtbar werden, und tatsächlich unterstreichen diese beiden Teile in vielerlei Hinsicht die Gemeinsamkeiten zwischen beiden.2

      Allerdings könnte man doch leise Skepsis anmelden, wenn man die raffiniert überkreuzte Struktur der jeweiligen Rahmenteile betrachtet, die die Parallelen im Innern überlagern: Zwar wird so einerseits der Zusammenhalt der beiden Versabschnitte sehr deutlich markiert – am Anfang und Ende die «campagna», die Ich und Du in ihrer Gemeinsamkeit umschließt, dazwischen mit «non ti cal || non curo» ein gleitender Übergang vom Du zum Ich, der seinerseits die Ähnlichkeit durch den ähnlichen Klang sinnlich wahrnehmbar macht. Andererseits und gleichzeitig stellt durch diesen Chiasmus der zweite den ersten Teil auf den Kopf und weist damit bereits auf den dritten Teil voraus, der, wie erwähnt, die Strukturierung des Vorausgegangenen in einer Art Stretto wiederholt und dabei im Ich-Teil auch den Klagegestus wiederaufnimmt. Anders als zuvor jedoch betont das Ich nun vor allem die Unterschiede, wie schon die Opposition von «Tu – A me» andeutet, während zuvor mit «Passero solitario» und «Io solitario» die Analogie hervorgehoben worden war. So steht jetzt auf der einen Seite die Selbstgewißheit des Vogels, den in all seinem Wollen und Streben die Natur leitet. Auf der anderen Seite setzt das Ich diesem fraglosen «certo del tuo costume» (v. 47) konsequent seine eigenen Fragen entgegen, die es als reflexives und reflektierendes, als, wie der letzte Vers sagt, sich zurückwendendes Wesen zeigen – und mit diesem «volgerommi indietro» endet das Gedicht und wird daher gern als Beleg für die alles andere zum Schweigen bringende, aber kaum je selbst verstummende Pessimismus-These gewertet.

      Daß der canto und das, was er wie besingt, in einem Band über die «arte del vivere» und «anti-pessimistische Strategien» damit nicht seinerseits zum Verstummen gebracht werden kann, mag auf einen ersten Blick als petitio principii erscheinen, gründet sich aber weiterhin auf den Wortlaut des Textes und auf die bereits zitierten wie auch weitere Passagen des Leopardischen Werks. Keinesfalls soll damit suggeriert werden, es handle sich um ein per se fröhliches oder gar – horribile dictu – optimistisches Gedicht: Dies hieße, die Komplexität von Leopardis Texten einmal mehr, nur von der anderen Seite her, weit über Gebühr zu reduzieren, wenn nicht zu verfälschen – und nicht umsonst spricht der Bandtitel von anti-pessimistischen, nicht von optimistischen Strategien. Dennoch gilt es, dem nachzugehen, daß in diesen schönen, klangvollen und daher weiterklingenden Versen mehr stecken muß als nur ein pessimistischer Leopardi, der aus seinem engen Recanati nicht herauskommt und das ganze menschliche Leben unter einem ebensolchen Zeichen der Enge und Ausweglosigkeit sieht. Einmal mehr ließe sich mit und frei nach Hölderlin3 sonst fragen: «Wozu Dichte[n] in dürftiger Zeit?» und antworten: «Was bleibet aber, stiften die Dichter.»

      Fraglos ist das bereits angesprochene Thema der Zeit als die zentrale Isotopie des Gedichts in vielfachen Bedeutungsaspekten so präsent, daß man die Zeit als das trotz seiner Vielfalt alle einzelnen Aspekte einende Element bezeichnen kann. Auffallend ist dabei, wie insbesondere Gier herausarbeitet4, daß unterschiedliche Ebenen, unterschiedliche Bezugsrahmen der Zeit kombiniert werden, wenn etwa gleich im ersten Versabschnitt zunächst vom ‹Sterben des Tages› die Rede ist, mithin vom sterbenden Tageslicht am Abend (v. 3), danach von der «primavera», dem Frühling (v. 5), und schließlich von der besten Zeit der Vögel (v. 11), von der Blüte des Lebens und der des Jahres (v. 16). Bezogen auf den Vogel werden hier Tageszeit, Jahreszeit und Lebenszeit thematisiert, so wie erneut im folgenden Abschnitt bezogen auf das Ich: Wieder wird der Frühling erwähnt, die untergehende Sonne am Ende des heiteren Tages und die Jugend im Gegensatz zum fortgeschrittenen Alter. Im dritten Versabschnitt, der im Gegensatz zum bisherigen Präsens als der typischen Zeit für Beschreibungen in einem visionären Futur gehalten ist, taucht erneut der Abend auf und in v. 50 die «vecchiezza», das Alter, in dem jeder künftige Tag dunkler, aussichtloser erscheint als der gegenwärtige: «fia […] il dí futuro | Del dí presente più noioso e tetro» (v. 54sq.).

      Doch Tageszeit, Jahreszeit und Lebenszeit werden nicht nur nebeneinandergestellt; sie werden auch miteinander verflochten, in der Weise, daß jede zur Metapher, vielleicht auch einer Art metonymischer Metapher der anderen werden kann: So werden Jahreszeit und Lebenszeit nicht nur wie in v. 16 mit der Blüte des Lebens und des Jahres parallelisiert; vielmehr kann, nachdem der erste Versabschnitt zu solchem Lesen angeleitet hatte, im zweiten das eine unmittelbar für das andere einspringen: «Passo del viver mio la primavera», singt das Ich in v. 26, um unmittelbar danach von dieser metaphorischen Verwendung der Jahreszeit zur eigentlichen Verwendung der Tageszeit zurückzuspringen: «Questo giorno ch’omai cede alla sera» (v. 27). Der sich dem Abend zuneigende Tag kehrt im dritten Teil wieder, nun aber erneut in metaphorischem Gebrauch, wenn das Ich sein Vögelchen mit einer poetischen Apostrophe anspricht mit den Worten: «Tu, solingo augellin, venuto a sera | del viver che daranno a te le stelle» (v. 45sq. [‹wenn Du am Abend der Lebensspanne angekommen sein wirst, die dir die Sterne zuweisen›]). Dieses poetische Bild des Lebensabends ist die letzte bildliche Evokation des Themas Zeit, denn wenn das Ich es nun wiederum auf sich selbst bezieht, benennt es sie mit dem kruden, dem eigentlichen Wort «vecchiezza», das es zudem durch eine andere Metapher stark in den Vordergrund rückt: durch die verabscheute, aber gleichwohl nicht zu umgehende Schwelle zu diesem Alter. Dementsprechend wird diese Lebensphase in den folgenden Fragen auch nicht wieder poetisch als Herbst oder Abend stilisiert; vielmehr weist das Demonstrativum «questi» schlicht und klar auf ‹diese meine Jahre› hin, insofern «quest’anni miei» die «vecchiezza» wieder aufnimmt, so daß das ebenso bildhafte wie bilderreiche Gedicht in ein ungeschöntes Benennen mündet, dem die offenen Fragen und der klagende Ausruf korrespondieren.

      Aber nicht nur die für den Vogel und für das Ich jeweils gebrauchten Bezeichnungen divergieren hier; vor allem unterscheidet sich, wie das Ich darlegt, die Haltung, die der Besungene und der Singende, das Tier und der Mensch zu ihrer jeweiligen Lebenszeit einnehmen. Während beide sich von den jeweiligen Art- und Zeitgenossen absondern, die Einsamkeit suchen und dem lustigen Treiben allenfalls von ferne zuschauen, lebt der Vogel dabei, anders als das Ich, ganz in seiner Gegenwart: Er singt von seinem Turm aus über das Land, bis der Tag sich neigt, wie es gleich zu Beginn heißt, und singend verbringt er auch den besten Teil des Jahres und des Lebens, wie die Alliterationen und Assonanzen zusätzlich hervorheben: «alla campagna | Cantando vai» (v. 2sq.), und «canti e così trapassi | Dell’anno e di tua vita il più bel fiore» (v. 15sq.). Während also der Vogel nur seine Gegenwart kennt und jeden Tag mit seinem Gesang füllt, weiß das Ich um die Zukunft, weiß, daß die Liebe im fortgeschrittenen Alter Ursache bitterer Seufzer sein wird (cf. v. 20sq.), und läßt doch den Frühling seines Lebens einfach so vergehen: «Passo del viver mio la primavera». Zweimal weist es selbst auf den Abend hin, einmal fühlt es sich gar von der untergehenden Sonne ermahnt, deren Bild schon im zweiten Versabschnitt proleptisch den Lebensabend evoziert (cf. vv. 39–44), aber anders als der in seiner Gegenwart lebende, stets singende Vogel, anders auch als seinesgleichen, die festlich gekleidet die Straßen füllen und fröhlich miteinander umgehen (cf. vv. 32–35), verschiebt das Ich alle Freude auf eine unbestimmte Zukunft: «Ogni diletto e gioco | Indugio in altro tempo» (v. СКАЧАТЬ