Название: Heute bei uns zu Haus
Автор: Ханс Фаллада
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Hans-Fallada-Reihe
isbn: 9783961189151
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Für Suse war es eine fremde Welt, Menschen dieser Art hatten nie zu ihrem Verkehrskreis gehört. Lange fühlte sie sich unsicher, sie war sehr still. Aber sie hatte immer zu ihnen gehört, sie besaß ihr Bürgerrecht in der Welt allen wahrhaften Menschentums, wo Auszeichnungen verliehen und Liebe und Vertrauen gegeben werden unabhängig von Stellung und erlerntem Wissen. Ich war sehr stolz auf meine Suse, ich fühlte mich jenen Hamburger jungen Männern sehr überlegen, die nie gemerkt hatten, mit wem sie da alle Tage umgegangen waren.
Gute zwei Tage – und zurück in das kleine Leben, sie kehrte heim zum Damenputz und ich zu meiner Zeitung. Wir würden sparen, sparen, sparen, arbeiten und sparen, bis wir endgültig in die Stadt Berlin heimkehren konnten! Eiliger Abschied auf dem Hamburger Hauptbahnhof, zwei junge Eheleute trennen sich.
»Schreib auch bald, Junge!«
»Ich fange sofort im Zuge an. Den ersten Brief stecke ich schon ein, wenn ich in Altholm ankomme!«
Habe ich es nicht erwähnt, daß es in Hamburg bei unserer Trauung nieselte, und daß es in Berlin regnete, jede gesegnete Stunde? Nun, wir waren beide mehrfach um die Füße herum gründlich naß geworden, und viel Zeug zum Wechseln hatten wir nicht in unserm gemeinschaftlichen Köfferchen. Das Schicksal spuckte uns beiden gleich zu Anfang unserer Ehe kräftig in die Suppe. Mit dem Sparen wurde es nichts, das Geldausgeben gelang uns schon besser. Erst war die Suse verschnupft, dann hustete sie, dann blieb sie im Bett, und dann wurde sie krank geschrieben: Nierenentzündung. Wieder einmal, nachdem sie grade sechs Monate auf der Nase gelegen hatte!
Aber das konnte ich nun wirklich nicht einsehen, daß sie da in Hamburg einsam und verlassen in ihrem Bett liegen sollte! Mußte sie krank sein, konnte sie das ebensogut und zehnmal besser bei mir in Altholm. Hundertzwanzig Mark sind nicht viel, aber wie die klugen Leute, die es nie versucht haben, mitteilen, lebt ein junges Ehepaar ja eigentlich billiger als ein Junggeselle. So mietete ich denn ein möbliertes Zimmer auf dem Kuhberg zu Altholm, mit Küchenbenutzung.
Es hat ja doch seine Vorteile, wenn man so ein Werber ist, immer auf den Beinen, immer in der Stadt herum. Kein Chef kann einen kontrollieren. Alle Augenblicke brach ich zwischen zwei Werbungen auf dem Kuhberg ein, da lag meine Frau im Bett. Man denke sich dies: nach sechsunddreißig einsam verbrachten Jahren eine Frau, die nur auf mich wartete, die für alles, was ich erlebte, Interesse hatte, die immer Partei für mich nahm!
Ich fegte und wischte Staub, ich pflegte und küchelte, ich kaufte ein und packte aus – und dann stürzte ich wieder los auf mein nächstes Opfer, mit einem Elan, keines widerstand mir! Ich schaffte Geld ins Haus, unsere Abonnentenzahl stieg sprunghaft, jeden Tag um drei oder vier, das waren Zeiten! Ich sehe mich da noch in der kleinen Küche stehen, die unter der Dachschrägung eingebaut war, gradestehen konnte ich nicht, und da komponierte ich die wunderbarsten Diätgerichte, die alle salzlos sein mußten. Wie sich das festgesetzt hat in mir! Noch heute kann ich kein normal gesalzenes Gericht essen, mir schmeckt alles versalzen, Suse hat die salzlose Kost längst über, ich nicht!
Und das Leben geht weiter, Suse läuft wieder herum, aber nun ist natürlich kein Gedanke mehr an Trennung. Wir haben uns so aneinander gewöhnt, was wir Jahre ertrugen, die Einsamkeit, scheint uns nun nach ein paar Monaten Umlernens untragbar. Sie sollte wieder in ein Geschäft gehen? Keineswegs! Hier bist du, bei mir bleibst du – von nun an bis in alle Ewigkeit!
Zwar das Geld, dieses verdammte Geld! Ich quetsche aus meinem Blättchen heraus, was nur möglich ist. Wir kochen Erbsen für die halbe Woche, und weil unser Appetit auf Erbsen stark nachläßt, reichen die Erbsen für eine ganze Woche – und dann feiern wir eine Orgie in frischen Krabben aus dem fettigen Papier und verschwenden alle Ersparnisse!
Der Kuhberg, diese Tauentzienstraße Altholms, ist zu teuer für uns, wir ziehen in eine Dachwohnung, wiederum möbliert, denn Möbel haben wir natürlich immer noch nicht. Rechts wohnt eine Arbeiterin aus der Lederfabrik, links eine uralte Oma – was hatten wir für gute und getreue und hilfreiche Nachbarn!
Wir nehmen auch ein Kind an, Hulemule, eine kleine verstoßene Straßenkatze, die sich naß und verhungert zu uns gefunden hatte. Sie machte uns viele Sorgen, die Hulemule, sie konnte das Herumtreiben nicht lassen. Suse putzte sie, Suse hatte ihr ein Sandkistchen eingerichtet, Hulemule hatte es gut und warm und satt bei uns. Aber immer wieder riß sie aus, blieb zwei, drei Tage fort und kam naß und stinkend und verhungert wieder zu uns zurück. Dann schalt Suse die böse Hulemule aus, sie rieb sie trocken und putzte sie und machte sie warm, bis sie wieder schnurrte, und dabei schalt sie das böse, das unverbesserliche, das herumstrolchende Kind.
Ich aber dachte vielleicht ein bißchen an einen Sohn, der sich auch immer wieder herumgetrieben hatte, und der nur nach Hause gekommen war, um wieder satt und warm zu werden, und der dann wieder ausbrach, ohne alle Dankbarkeit. Ich dachte vielleicht auch ein bißchen an meine eigenen Kinder, die ich doch eines Tages haben würde – ob die eines Tages auch so böse wie die Hulemule sein würden? In dieser Zeit lernte ich ein wenig anders über meine Eltern denken, wir kamen uns wieder etwas näher. Vielleicht machte es die Hulemule, vielleicht aber auch die Suse, daß der ewige alte Egoist ein wenig anders fühlen lernte.
Wie sollte es weitergehen? Trotzdem wir sehr sparten, reichte das Geld immer nur grade hin. Kein Möbelstück konnte angeschafft werden, Berlin lag ferner denn je. Ich lief durch die Straßen, ich drückte hundert Klingelknöpfe, ich leierte mein ewiges Sprüchlein ... Alle vier Wochen war ein Paar Schuhsohlen durchgelaufen, und was ein Mann, der bei jedem Wind und Wetter draußen sein muß, an Kleidung verbraucht, ist einfach niederschmetternd.
Da ist unser alter Chefredakteur – wollen wir ihn Stuff nennen? Nun gut, Herr Stuff, dieser Chefredakteur, der zugleich Lokalreporter, Gerichtssaal-Berichterstatter und Kritiker für Film, Theater und Konzerte ist, sagte eines Tages zu mir: »Ich habe da für Sonntag zwei Freikarten von der Reichsbahn für eine Tagesfahrt ins Blaue. Wollen Sie die Karten haben, meine Frau will nicht. Sie müßten aber eine Viertelseite über die Fahrt schreiben.«
»Da muß ich erst meine Frau fragen«, antwortete ich. »Heute nachmittag kriegen Sie Bescheid.«
Am liebsten hätte ich gleich ja gesagt, aber wir gingen stark auf Ultimo zu, und in unserer Kasse war tiefe Ebbe. Suse und ich rechneten hin und her, die Fahrt war frei, aber schließlich mußten wir ja auch was essen. So ganz ohne Geld loszufahren, das wagten wir doch nicht. Schließlich erwies sich der Drang, aus der Stadt herauszukommen, als zu groß: wir wagten unsere letzten fünf Mark und fuhren!
Es war ein strahlend heller Sommertag, der ganze Zug war vollgestopft mit vergnügten Menschen, die rieten, wohin wir wohl fuhren? Nun, wir fuhren über den damals noch neuen Hindenburgdamm auf die Insel Sylt. Wir stiegen aus in Westerland, ich nahm Suse bei der Hand, und wir liefen zum Strand. Wir sind beide immer Wassermenschen gewesen, Berge, nun meinetwegen, ganz schön, aber Wasser, du lieber Gott, Wasser, das Herrlichste von der Welt! Und Altholm war gänzlich wasserfrei.
»Los, Suse, ich rieche die See schon! Lauf!«
Aber am Strande harrte unser eine grimmige Enttäuschung, der Strand war durch Wälle und Draht gesichert gegen uns. Da waren kleine Einlaßkarten mit Schildern: ›Tageskurtaxe pro Person eine Mark‹ stand darauf zu lesen. Drunten sahen wir in der Sonne die See blitzen, aber sie war sicher vor uns. »Zwei Mark von unsern fünf Mark opfern, bloß um in das Gitter gelassen zu werden? Kein Gedanke daran! Komm, Suse, mal muß ja dieser dämliche Drahtzaun ein СКАЧАТЬ