George Orwell: 1984. George Orwell
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Название: George Orwell: 1984

Автор: George Orwell

Издательство: Автор

Жанр: Контркультура

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isbn: 9783868208955

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СКАЧАТЬ Sie sah ihn mit einem verstohlenen Seitenblick, aber mit seltsamer Intensität an. In dem Moment, als sich ihre Blicke trafen, sah sie wieder weg.

      Winston brach der Schweiß aus allen Poren. Ein furchtbarer Schreck durchzuckte ihn. Er war fast sofort wieder verschwunden, hinterließ aber eine Art nagendes Unbehagen. Warum beobachtete sie ihn? Warum verfolgte sie ihn ständig? Leider konnte er sich nicht erinnern, ob sie bereits an diesem Tisch gesessen hatte, als er gekommen war, oder ob sie erst nach ihm gekommen war. Jedenfalls hatte sie sich gestern, während des Zwei-Minuten-Hasses, direkt hinter ihn gesetzt, wozu keine offensichtliche Notwendigkeit bestanden hatte. Sehr wahrscheinlich hatte ihre Absicht darin gelegen, ihm ganz genau zuzuhören und sich davon zu überzeugen, ob er laut genug mitbrüllte.

      Sein früherer Verdacht fiel ihm wieder ein: Wahrscheinlich war sie nicht wirklich ein Mitglied der Gedankenpolizei, andererseits stellten gerade die Amateurspitzel die größte Gefahr von allen dar. Er wusste nicht, wie lange sie ihn bereits beobachtet hatte, aber vielleicht schon fünf Minuten, und es konnte sein, dass er seine Gesichtsmimik nicht perfekt unter Kontrolle gehabt hatte. Es war fürchterlich gefährlich, seine Gedanken schweifen zu lassen, solange man sich an einem öffentlichen Ort oder in Reichweite eines Teleschirms befand. Die geringste Kleinigkeit konnte einen verraten. Ein nervöses Zucken, ein unbewusster ängstlicher Ausdruck, die Angewohnheit, vor sich hin zu murmeln – alles, was auch nur den Verdacht einer Abweichung weckte oder darauf hindeutete, dass man etwas zu verbergen hatte. Es war an sich schon ein strafbares Vergehen, einen unangemessenen Gesichtsausdruck zu tragen (zum Beispiel ungläubig auszusehen, wenn ein Sieg verkündet wurde). In Neusprech gab es sogar ein Wort dafür: Sichtbrech, Gesichtsverbrechen also, so hieß es.

      Das Mädchen hatte sich wieder von ihm abgewandt. Vielleicht verfolgte sie ihn doch nicht, vielleicht war es reiner Zufall, dass sie zwei Tage hintereinander so nahe bei ihm gesessen hatte. Seine Zigarette war ausgegangen, und er legte sie vorsichtig auf die Tischkante. Er würde sie nach der Arbeit zu Ende rauchen, wenn inzwischen nicht der Tabak herausgefallen war. Mit großer Wahrscheinlichkeit war die Person am Nebentisch eine Spionin der Gedankenpolizei, und höchstwahrscheinlich würde er innerhalb von drei Tagen in den Kellern des Ministeriums für Liebe stecken, aber einen Zigarettenstummel durfte man nicht verschwenden. Syme hatte seinen Papierstreifen zusammengefaltet und in seiner Tasche verstaut. Parsons hatte wieder angefangen zu reden.

      »Hab ich Ihnen jemals erzählt, alter Junge«, sagte er kichernd, das Pfeifenmundstück zwischen den Zähnen, »wie meine zwei Racker den Rock von ner alten Marktfrau angezündet ham, weil sie gesehen hatten, wie die Alte Würstchen in ein Plakat vom Großen Bruder wickelte? Ham sich von hinten an sie rangeschlichen und sie mit nen paar Streichhölzern angefackelt. Ich glaub, die hat sich ziemlich bös verbrannt. Kleine Bengel, ne? Aber sie sind nu mal Feuer und Flamme! Is’n erstklassiges Training, das die heutzutage bei den Spionen kriegen – sogar besser als zu meiner Zeit. Was glauben Se wohl, womit die die Racker neuerdings ausrüsten? Hörrohre zum Lauschen an Schlüssellöchern! Meine Kleene brachte neulich eins mit heim – hat’s an unserer Wohnzimmertür ausprobiert und meinte, sie könnte doppelt so viel hören, wie wenn sie das Ohr ans Loch hält. Is natürlich bloß ein Spielzeug. Bringt sie aber trotzdem auf die richtige Spur, ne?«

      In diesem Moment ertönte aus dem Teleschirm ein durchdringendes Pfeifen. Es war das Signal, wieder an die Arbeit zu gehen. Alle drei Männer sprangen auf, um sich in das Gewühl bei den Aufzügen zu stürzen, und der verbleibende Tabak krümelte aus Winstons Zigarette heraus.

       KAPITEL 6

      Winston schrieb in sein Tagebuch:

       Es war vor drei Jahren. Es war an einem dunklen Abend in einer engen Seitenstraße in der Nähe eines der großen Bahnhöfe. Sie stand vor einem Tor in der Mauer unter einer Straßenlaterne, die nur spärliches Licht spendete. Sie hatte ein junges Gesicht, sehr stark geschminkt. Es war vor allem die Schminke, die mich anzog, das maskenhafte Weiß und die leuchtend roten Lippen. Die Frauen von der Partei schminken sich nie. Es war sonst niemand auf der Straße und da waren auch keine Teleschirme. Sie sagte zwei Dollar. Ich –

      Es war für ihn im Augenblick zu schwierig weiterzuschreiben. Er schloss die Augen, presste die Finger dagegen und versuchte so, das immer wiederkehrende Bild zu verdrängen. Er verspürte ein beinahe überwältigendes Verlangen, lauthals einen Schwall schmutziger Worte hinauszuschreien. Oder seinen Kopf gegen die Wand zu schlagen, den Tisch umzutreten und das Tintenfass aus dem Fenster zu schleudern – irgendetwas Gewalttätiges, Lärmendes oder Schmerzhaftes zu tun, um die quälende Erinnerung auszulöschen.

      Der schlimmste Feind, so dachte er, waren die eigenen Nerven. Jeden Augenblick konnte sich die innere Spannung in ein äußerlich sichtbares Symptom verwandeln. Er dachte an einen Mann, an dem er vor ein paar Wochen auf der Straße vorbeigegangen war; ein ganz normal aussehender Mann, ein Parteimitglied, zwischen fünfunddreißig und vierzig Jahre alt, ziemlich groß und dünn, mit einer Aktentasche. Sie waren ein paar Meter voneinander entfernt gewesen, als die linke Gesichtshälfte des Mannes plötzlich von einer Art Krampf verzerrt wurde. Es passierte erneut, gerade als sie aneinander vorbeikamen: Es war nur ein Zucken, ein Zittern, schnell wie das Klicken eines Kameraverschlusses, aber offenbar etwas Gewohnheitsmäßiges. Er erinnerte sich, dass er damals gedacht hatte: Der arme Teufel ist erledigt. Und das Erschreckende daran war, dass es sich dabei höchstwahrscheinlich um einen unbewussten Vorgang handelte. Die tödlichste Gefahr von allen war es, im Schlaf zu reden. Soweit er wusste, gab es aber keine Möglichkeit, sich dagegen zu schützen.

      Er atmete tief durch und schrieb weiter:

       Ich ging mit ihr durch das Tor und über einen Hinterhof in eine Kellerküche. An der Wand stand ein Bett und auf dem Tisch eine Lampe, die nur sehr schwach leuchtete. Sie –

      Er knirschte mit den Zähnen. Am liebsten hätte er auch noch gespuckt. Mit dem Gedanken an die Frau in der Kellerküche kam auch die Erinnerung an Katharine, seine Frau. Winston war verheiratet – oder jedenfalls verheiratet gewesen. Wahrscheinlich war er noch verheiratet, denn soweit er wusste, war seine Frau nicht tot. Ihm kam es vor, als atme er wieder den warmen, stickigen Geruch der Kellerküche ein, ein Geruchsgemisch aus Ungeziefer, dreckiger Wäsche und einem abscheulichen, billigen Parfüm, das dennoch verlockend war, weil keine Frau der Partei jemals Parfüm benutzte, da dies etwas völlig Unvorstellbares war. Nur die Prolls benutzten Parfüm. In seiner Vorstellung war dieser Geruch untrennbar mit Unzucht verbunden.

      Als er mit dieser Frau gegangen war, war es sein erster Fehltritt seit ungefähr zwei Jahren gewesen. Der Verkehr mit Prostituierten war natürlich verboten, aber das war eine dieser Vorschriften, die man gelegentlich zu übertreten wagen konnte. Es war gefährlich, aber man riskierte dabei nicht Kopf und Kragen. Mit einer Prostituierten erwischt zu werden, könnte einem fünf Jahre in einem Zwangsarbeitslager einbringen, aber mehr nicht, wenn man kein weiteres Delikt begangen hatte. Und es war auch wirklich einfach, solange man vermied, in flagranti erwischt zu werden. In den ärmeren Vierteln wimmelten es nur so von Frauen, die bereit waren, sich zu verkaufen. Manche waren sogar für eine Flasche Gin zu haben, den die Prolls eigentlich nicht trinken durften. Stillschweigend neigte die Partei sogar dazu, die Prostitution zu fördern, weil sie als Ventil für Instinkte diente, die nicht vollständig unterdrückt werden konnten. Die bloße Ausschweifung war dabei kaum von Belang, solange sie heimlich und freudlos war und nur mit Frauen einer unterdrückten und verachteten Klasse vollzogen wurde. Ein unverzeihliches Verbrechen hingegen war Promiskuität zwischen Parteimitgliedern. Doch obwohl dies zu einem der Verbrechen gehörte, das die Angeklagten bei den großen Säuberungen ausnahmslos gestanden hatten, konnte man sich kaum vorstellen, dass so etwas wirklich passierte.

      Das Ziel der Partei bestand nicht nur darin, das Zustandekommen enger Beziehungen zwischen Männern und Frauen zu verhindern, die sie vielleicht nicht mehr kontrollieren konnte. Ihre wirkliche, unausgesprochene Absicht war es, dem sexuellen Akt jegliche Lust zu СКАЧАТЬ