Verschwundene Reiche. Norman Davies
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Название: Verschwundene Reiche

Автор: Norman Davies

Издательство: Автор

Жанр: Историческая литература

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isbn: 9783806231199

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СКАЧАТЬ der Herrschaft über ihre Gebiete. Doch zugleich erwies sich die Dezentralisierung auch als vorteilhaft. Das Gemeinwesen konnte nicht durch einen Schlag gegen das Zentrum ausgelöscht werden; es konnte nur langsam, Schritt für Schritt, zerlegt werden. Das war schließlich auch das Schicksal des Königreichs Arelat. Es bestand weiter, wenn auch in fragilem Zustand, nachdem die meisten seiner wichtigsten Teile schon lange abgefallen waren.

      Fairerweise sollten die Historiker aber auch all jene kleinen Herrscher und Staatsgebilde erwähnen, die neben der königlichen Autorität Fuß fassen konnten. So übernahm beispielsweise in Hochburgund der Bischof von Genf nicht nur die Herrschaft über die Stadt, sondern auch über das Gebiet um den See. Daher verlegte der Comitatus (der Graf der Genfer Region) seinen Sitz in das benachbarte Eneci (Annec), wo vom 10. bis zum Ende des 14. Jahrhunderts eine Dynastie aus 21 Grafen regierte. Ähnliches ereignete sich in Lyon. Die Bischöfe von Lyon, die das Amt des Primas von Gallien beanspruchten, waren in fränkischer Zeit zu Erzbischöfen erhoben worden und herrschten bereits unangefochten über die Stadt, als das Königreich Arelat entstand. Daraufhin zog der Graf von Lyon in den benachbarten Bezirk Forez um, wo er von seiner Festung in Montbrison aus einen endlosen Kleinkrieg mit den Erzbischöfen führen konnte.

      Im Norden von Hochburgund genossen die »Pfalzgrafen von Burgund« besondere Privilegien, weil sie die Grenzregion gegen die Deutschen im Elsass und in Schwaben schützten. Ihr Hauptsitz befand sich in Vesontio (Besançon), wo Otto-Wilhelm von Burgund (986–1026) eine Linie aus 36 Grafen begründete, die sich bis ins 17. Jahrhundert halten konnte. In der Grafschaft Vienne errichteten die Grafen von Albon einen Stützpunkt, von dem aus Guignes d’Albon (gest. 1030) ein kleines Reich schuf, das sich bis zum Mont Cenis erstreckte. Einer seiner Nachfahren nahm einen Delfin in sein Wappen. Dessen Nachfolger wurden daher als delfini bezeichnet und ihr Machtgebiet als Delfinat oder als Dauphiné.

      In Niederburgund bildete sich im Rhône-Tal, im Valentinois, in Orange in der Comtat Venaissin eine Reihe von weitgehend selbstständigen Grafschaften. Am mächtigsten wurden jedoch die Erben von Graf Boso. Von den drei Linien der Bosoniden endete eine mit Hugo von Arles (siehe oben); eine andere brachte die »Grafen der Provence« hervor, die in Ais (Aix-en-Provence) residierten; die dritte begründete die Grafschaft von Furcalquier in den Bergen. Die Grafen der Provence setzten sich im südlichen Teil des Königreiches nahezu vollständig durch; lediglich die ungebärdigen Herren von Baux (Les Beaux) trotzten mit ihrer uneinnehmbaren Festung und ihrem unbezwingbaren Willen allen Unterwerfungsversuchen.

      Diese Zersplitterung der Macht schwächte das Königreich Arelat, und Arles war schließlich nur noch eine nominelle Hauptstadt. Zwischen dem 10. und dem 12. Jahrhundert fanden hier keine Königskrönungen mehr statt. Das prachtvolle römische Amphitheater wurde in eine Burg umgewandelt, und in der Arena wurden verschiedene Schutzbauten errichtet. Davor stand die Bischofskirche St. Trophine und wartete auf bessere Zeiten. Rudolf III. versuchte sich unter diesen stetig verschlechternden Bedingungen zu behaupten. Die Chronisten versahen ihn mit den Beinamen »der Faule« (»le Fainéant«) und »der Fromme«, woraus sich »heiliger Faulenzer« ergab. Die größten Sorgen bereiteten ihm die Aufsässigkeiten der Pfalzgrafen aus dem Norden, gegen die er den deutschen König Heinrich II. zu Hilfe rief. Heinrich verlangte dafür – wie zu dieser Zeit auch vom Normannenherzog Wilhelm – das Versprechen, ihn als alleinigen Thronerben einzusetzen. Rudolf war kinderlos geblieben und sein Erbe hätte sonst wahrscheinlich sein Neffe Odo II. von der Champagne beansprucht, einer der schreckenerregendsten Krieger in dieser schreckenerregenden Zeit. Doch Heinrich (reg. 1014–1024) starb schließlich vor Rudolf. Dennoch geriet das Versprechen nicht in Vergessenheit.

      Im Jahr 1032 spitzte sich die Situation zu. Wie erwartet, starb Rudolf ohne unmittelbare Nachkommen. Wie erwartet, begannen unverzüglich Odo von der Champagne und Heinrichs Nachfolger, Kaiser Konrad II., um den Thron des Königreiches Arelat zu kämpfen. Der Kaiser setzte sich durch, denn Odos Anspruch wurde von dessen Lehnsherrn, dem König von Frankreich, zurückgewiesen. So ging das »Reich der beiden Burgund« friedlich und unter internationaler Anerkennung in den Besitz der deutschen Kaiser über. Es blieb ein Reichsgut mit formeller Selbstständigkeit innerhalb des Heiligen Römischen Reiches, bis mehr als sechs Jahrhunderte später der letzte Rest an Frankreich fiel.

      Das Heilige Römische Reich Deutscher Nations war ein komplexer politischer Organismus. In seiner Spätphase umfasste es, wie manche sagten, mehr Fürstentümer, als das Jahr Tage hat. Doch nach 1032 bestand es im Kern aus drei Gebieten, dem Königreich Deutschland (Regnum Teutonicum), dem Königreich Italien (Regnum Italiae) und dem Königreich Burgund (Regnum Burgundiae) – das »Königreich Arelat«, das nach der Eingliederung in »Königreich Burgund« umbenannt wurde. Nun gab es nur noch zwei burgundische Reiche: das abhängige Herzogtum innerhalb Frankreichs und das abhängige Königreich innerhalb des Heiligen Römischen Reiches. Sollte man Letzteres als ein neues Staatswesen einstufen oder nicht? Bryce verneinte dies und behandelte es als schlichte Fortsetzung des Königreichs Arelat. Doch die gegenteiligen Argumente erscheinen überzeugender. Das politische Umfeld hatte sich grundlegend gewandelt, und auch die territoriale Basis sollte sich verändern. Nach 1032 erlebte das Reichsgut Burgund weitere Transformationen. Es wird hier als das siebte burgundische Reich eingeordnet.

      In den folgenden drei Jahrhunderten bemühte sich das Königreich Burgund, sich zu so gut wie möglich zu behaupten. Mit Ausnahme von Friedrich Barbarossa (reg. 1152–1190) zeigten die fernen Kaiser in ihren verschiedenen Residenzen in Deutschland nur selten näheres Interesse. Die politischen Vorgänge im Königreich Burgund wurden von lokalen Gegebenheiten bestimmt – von den fortdauernden Streitereien zwischen den Grafen und den Städten, von Auseinandersetzungen im Verborgenen, von Intrigen zwischen den Fürsten. Dennoch hätte wohl kaum jemand die Vorhersage gewagt, dass das schlichte französische Herzogtum eines Tages mächtiger werden würde als das große Königreich im Heiligen Römischen Reich.

      Interessant ist die sprachliche Entwicklung, die sich im Reichsgut vollzog. Trotz der deutschen Oberherrschaft konnte die deutsche Sprache kaum Fuß fassen. Die vorherrschende Sprache blieb ein frankoprovenzalisches Idiom, der Vorläufer des modernen Arpitanischen, das man auch heute noch auf den Straßen von Lyon und in Teilen der Westschweiz und Savoyens hören kann. Menschen mit historischem Gespür vernehmen im Arpitanischen das Echo eines vergangenen Burgunds.66

      Das Verfahren der Ernennung von Grafen zu Herzögen war anscheinend völlig willkürlich. Alles hing davon ab, wie viel Macht, Prestige und Glück ein bestimmter Vasall zu einem bestimmten Zeitpunkt besaß. Doch einen besonderen Platz in der Geschichte nimmt ein neues Herzogtum ein, das eng mit dem schwäbischen Adelsgeschlecht der Zähringer verbunden war. Die ehemalige Burg der Zähringer auf einem Berg in der Nähe von Freiburg im Breisgau ist heute eine Ruine, doch im 11. und 12. Jahrhundert war sie der Sitz eines ehrgeizigen Fürstengeschlechts, das bereits zwei Herzogtümer gewonnen und wieder verloren hatte und das nun zum dritten Mal nach einem Herzogtum strebte. Die Zähringer hatten sich als erfolgreiche Verwalter der Eigengüter ihrer Familie erwiesen; sie hatten im Schwarzwald ihre Rechte gegenüber der Kirche durchgesetzt, und nach der Gründung der Stadt Freiburg errichteten sie dort ein organisiertes System der Kommunalverwaltung. Sie führten im Kleinen vor, was der Kaiser in großem Rahmen durchzusetzen hoffte. Sehr viele burgundische Adelige hatten mittlerweile ihren Lehnseid vergessen. Im Jahr 1127 bestellte der Kaiser Konrad von Zähringen zum Rektor (königlicher Stellvertreter) von Burgund und übertrug ihm die Güter eines neu geschaffenen Herzogtums Burgundia Minor (»Klein-Burgund«). Die Zähringer sollten im Königreich Burgund die Disziplin wiederherstellen.67

      Der Herzogtum Klein-Burgund umfasste ein großes Gebiet östlich des Jura, das weitgehend identisch ist mit den Grenzen der heutigen frankophonen Schweiz. Es ist die Nr. VI auf der Liste von Bryce. Zum Territorium des Herzogtums der Zähringer gehörte auch ein kleineres Gebiet, die Landgrafschaft Burgund, die auf der Bryce-Liste die Nr. VIII darstellt. Dieses Territorium bestand aus dem Gebiet rechts der mittleren Aare zwischen Thun und Solothurn. Möglicherweise reichte es auch bis Habsburg, der »Habichtsburg«, die über der Aare bei Solothurn steht und als Stammburg der Habsburger gilt, die später СКАЧАТЬ