Verschwundene Reiche. Norman Davies
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Verschwundene Reiche - Norman Davies страница 14

Название: Verschwundene Reiche

Автор: Norman Davies

Издательство: Автор

Жанр: Историческая литература

Серия:

isbn: 9783806231199

isbn:

СКАЧАТЬ ein paar ältere Geschichten, wie sie auch in allen Führern und Websites zu finden sind:

      Dumbarton Rock steht über dem Leven am Zusammenfluss mit dem Clyde und ist das bekannteste historische Gebäude der Stadt. Die Burg, die in siebzig Meter Höhe auf dem gleichnamigen Felsen steht… ist eine auffällige Landmarke am Clyde. Der Felsen war … seit prähistorischen Zeiten befestigt. Die Burg war eine königliche Festung, lange bevor die Stadt königliche Privilegien erhielt; ihr Besitz [wechselte] von den Schotten zu den Engländern und wieder zurück. Sie spielte eine wichtige Rolle in den Unabhängigkeitskriegen und wurde kurzzeitig genutzt, um Wallace nach seiner Gefangennahme unterzubringen. Von hier aus wurde auch Maria Stuart nach Frankreich in Sicherheit gebracht. Und sie war auf dem Weg nach Dumbarton Castle, als sie bei Langside vernichtend geschlagen wurde.5

      William Wallace »Braveheart« und Maria Stuart sind die beiden Namen aus der schottischen Geschichte, die fast jeder kennt.

      Bei näherem Hinsehen ist der Doppelgipfel des Felsens von einer tiefen Schlucht durchzogen: mit seinen etwas mehr als siebzig Metern ist der »White Tower Crag« etwas höher als der »Beak«. Das älteste erhaltene Bauwerk ist ein Steinbogen aus dem 14. Jahrhundert, von dem aus eine Treppe mit 308 Stufen nach oben führt. Am Fuß des Felsens beherbergt das Governor’s House aus dem 18. Jahrhundert ein kleines Museum. Hier erfährt man von der netten jungen Führerin, dass der frühe englische Historiker Beda eine befestigte Stadt namens »Alcluith«, »Felsen des Clyde«, erwähnte und dass Dumbarton einst zusammen mit Castle Dundonald in Ayrshire die wichtigste königliche Festung des Königreichs Strathclyde war. »Wir wurden im Jahr 870 von den Wikingern überfallen«, erzählt uns die Führerin. Als sie gefragt wird, wer »wir« denn seien, antwortet sie mit einem Lächeln: »Ich bin von hier, ich bin eine Piktin.«

      Der Ausblick vom White Tower Crag belohnt alle, die hinaufsteigen, für ihre Mühe. Die moderne Stadt liegt ihm direkt zu Füßen, sie wimmelt von Menschen, die von hier oben aus wie Ameisen aussehen. Das Stadtzentrum von Glasgow, zehn Kilometer entfernt, hüllt sich in Dunst, doch in Richtung Westen verbessert die feuchte Luft die Sicht wie ein Vergrößerungsglas. Der Firth präsentiert sich als riesige ausgestreckte Hand, deren Finger rechts nach Gareloch und Loch Long, in der Mitte nach Holy Loch und am Horizont auf die Hügel von Arran und Argyll weisen. Weit im Norden erheben sich die blaugrauen Spitzen des Ben Lomond und des Ben Oss. Jenseits des Flusses liegen die mit Kiefern überzogenen Hänge der Glennifer Braes in Renfrewshire und der Hill of Stake; und links im Vordergrund sieht man die Landebahnen des Flughafens.

      Holy Loch ist ein Name, der es in den 1960er- und 1970er-Jahren oft in die Schlagzeilen schaffte. Es ist der kleinste Meeresarm am Firth, nur zwei oder drei Meilen lang, aber er bildet einen wunderbaren, geschützten Hafen. Über dreißig Jahre lang befand sich dort ein U-Boot-Stützpunkt der United States Navy – Schauplatz vieler Demonstrationen der Bewegung für nukleare Abrüstung. Die offiziell und euphemistisch als Refit Site One (Instandsetzungsposten Eins) bezeichnete Basis beherbergte die SUBRON-14-U-Boot-Flotte, die im Atlantischen Ozean patrouillieren sollte. Es gab ein Schwimmdock, ein großes Depotschiff, eine Flotille von Schleppern und Lastkähnen und bis zu zehn U-Boote mit Atomraketen der Polaris/Poseidon-Klasse. Wenn diese Unterwasserkolosse aus ihrem Dock glitten und in den Firth hinausfuhren, war der Felsen etwa 50 Kilometer flussaufwärts durch das Periskop des Kapitäns gut zu erkennen. Heute gehört der Hafen wieder der Royal Navy, aber das muss nicht so bleiben. Die Regionalregierung Schottlands wird von der Scottish Nationalist Party beherrscht. Falls sie je das von ihr vorgeschlagene Referendum zur völligen Unabhängigkeit des Landes gewinnt, fordert sie sicher sofort die Schließung des Stützpunktes.6

      Dumbarton kämpft heute ums Überleben im postindustriellen Zeitalter. Die Blütezeit des Schiffbaus dort endete in den 1960er-Jahren, und man hat bisher keinen angemessenen Ersatz gefunden. Der Kai ist betoniert worden, um einen Parkplatz zu schaffen, und Supermärkte füllen den Raum, den einst die riesigen Lagerhäuser nutzten. In manchen Reiseführern zu Schottland wird die Kleinstadt nicht einmal erwähnt. Noch früher traf der industrielle Niedergang das Vale of Leven. Viele Fabriken wurden schon vor 1939 geschlossen. Die dort herrschende Dauerarbeitslosigkeit radikalisierte die Bevölkerung, und die Region bekam den Beiname »Little Moskow«, passend zum »Red Clydeside« ganz in der Nähe. In den 1950er-Jahren wurde der abgewirtschaftete Distrikt immer wieder für gewaltige Projekte des sozialen Wohnungsbaus für den Großraum Glasgow genutzt. Vierzig oder fünfzig Jahre später waren die riesigen, verfallenen Wohnanlagen wie etwa Mill of Haldane in Fast Balloch Schauplätze ähnlich groß angelegter Kampagnen zur Stadterneuerung.

      Eine positive Entwicklung begann, als eine führende schottische Whiskybrennerei nach Dumbarton umzog und den entlassenen Hafenarbeitern Arbeit gab. »George Ballantine’s Einest« ist einer der beliebtesten und bekanntesten Marken von verschnittenem Whisky weltweit. Jede Flasche trägt stolz die Bezeichnungen »Scotch Whisky, Fully Matured, Finest Quality«, »George Ballantyne & Sons, Founded in 1827 in Scotland« und »By Appointment to the Late Queen Victoria und the Late King Edward VII«. Unten auf dem Etikett steht: »Bottled in Scotland«, »Product of Scotland« und »Allied Distillers Limited, Dumbarton G82 2SS«.7 Es kann gar kein Zweifel aufkommen: Dies ist schottischer Scotch aus Schottland.

      Anfang des 21. Jahrhunderts liegt Dumbarton tatsächlich in Schottland, und Schottland ist Teil des Vereinigten Königreichs. Aber das war nicht immer so, und es wird vielleicht auch in Zukunft nicht immer so sein. Man muss nur auf Dumbarton Rock stehen und die Jahrhunderte zählen. Vor hundert Jahren war Clydeside die Lebensader eines Ballungsraums, der den Industrieunternehmen des Empires diente. Vor zweihundert Jahren war es das Zentrum einer Region des Vereinigten Königreichs, oft als »Nordbritannien« bezeichnet, die allmählich das Schottische verlor und immer britischer wurde. Vor dreihundert Jahren stand es gerade auf der Schwelle zu einer noch nie dagewesenen Verfassungsunion mit England. Vor vierhundert Jahren wurde es von einem König regiert, der kürzlich nach London ausgewandert war, aber dennoch Schottlands Herrscher blieb. Vor fünfhundert Jahren, vor der Schlacht von Flodden Field, war es Teil eines Landes, das sich als gleichrangiger Nachbar Englands betrachtete. Vor tausend Jahren, unter König Macbeth und anderen, gehörte es zu einem Reich, in dem die meisten Menschen noch Gälisch sprachen. Und vor eintausendfünfhundert Jahren gehörte es zum »Alten Norden«.

      Dumbarton ist ein englischer Name, die anglisierte Form eines gälischen Vorläufers, Dun Breteann, mit der Bedeutung »Festung der Briten«. Dies wiederum liefert einen Hinweis auf die Menschen, die am Clyde lebten, lange bevor die Englisch und Gälisch sprechenden Siedler hier ankamen. Es ist schon ziemlich seltsam, dass bei der Gründung der Bezirksverwaltung im Jahr 1889 die ältere Schreibung des Namens wiederbelebt wurde, um »Dunbartonshire« einen authentischen Anstrich zu geben. (Der Bezirk wurde 1975 wieder abgeschafft und ist seitdem in der größeren Region Strathclyde aufgegangen.) Dennoch ist die Form des Namens, die am häufigsten mit dem Felsen in Verbindung gebracht wird, um die Welt gegangen, getragen von den Erinnerungen schottischer Emigranten. Es gibt ein Dumbarton in Westaustralien, ein zweites in Queensland, ein drittes in Neuseeland und ein viertes in New Brunswick, Kanada. In den Vereinigten Staaten gibt es Dumbartons zu Dutzenden: in Maryland, in Virginia, in South Carolina, in Louisiana, in Wisconsin … Man findet Dumbarton Oaks in Washington, DC; Dumbarton Village in Houston, Texas; eine Dumbarton Bridge über die Bucht von San Francisco; eine Dumbarton Church in Georgetown, DC; eine Dumbarton School in Baltimore und ein Dumbarton College in Illinois. Im amerikanischen Bürgerkrieg brachte die US Navy einst ein Schiff der Konföderierten namens Dumbarton auf, und die Royal Navy hat ein Fischereischutzboot namens HMS Dumbarton Castle. Außerdem findet man noch ein Dunbarton in New Hampshire.8 Ob die Einwohner dieser vielen Dumbartons wissen, fragt man sich, wie alles angefangen hat? Zumindest für sie ist es vielleicht wichtig, dass Dumbarton nicht immer eine relativ unwichtige Trabantenstadt einer modernen Metropole war. Genährt durch das fruchtbare Ackerland des benachbarten Levanach – des Vale of Leven, ursprüngliche Heimat des Clan Lennox – bildete es den Mittelpunkt eines mächtigen Reiches, die Hauptstadt eines ausgedehnten Staates. Es war ein richtiger Königssitz.

      II

СКАЧАТЬ