Verschwundene Reiche. Norman Davies
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Название: Verschwundene Reiche

Автор: Norman Davies

Издательство: Автор

Жанр: Историческая литература

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isbn: 9783806231199

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СКАЧАТЬ Jahrzehnt lang verfolgte der Ostgote Theoderich seine pangotischen Träume. Er war der Vormund von Amalrich, junger Erbe Alarichs II., sein Enkel, und der nominelle Herrscher eines, wie man hoffte, gerade entstehenden »Reiches«, das sich von den Alpen bis zum Atlantik erstrecken würde. Doch die Säulen seiner eigenen Macht bröckelten. Er konnte die Ordnung in Italien nicht aufrechterhalten, geschweige denn die Franken in Gallien herausfordern oder den Westgoten in Spanien helfen. Die römischen Kaiser in Konstantinopel nutzten die günstige Gelegenheit zu einer weiteren strategischen Offensive. Kurz nach Theoderichs Tod im Jahr 526 startete Kaiser Justinian einen Zug in den Westen.25 Für den Rest des 6. Jahrhunderts setzten sich kaiserliche Soldaten in Italien fest, während Alarichs Nachfolger ihre Herrschaft auf der Iberischen Halbinsel festigten und die Nachfolger des Franken Chlodwig die mühsame Aufgabe antraten, Gallien in das Frankenreich und das Frankenreich in Frankreich zu verwandeln.

      III

      Obwohl das westgotische Tolosanische Reich neunundachtzig Jahre lang große Gebiete beherrschte, gibt es nur minimale greifbare Belege für seine Existenz. Archäologische Grabungen haben kaum etwas zutage gefördert.26 Ein Gold-solidus Alarichs II. ist erhalten geblieben, die meisten Münzen aus dem westgotischen Tolosa dagegen sind reichsrömische Prägungen. Hunderte Marmorsarkophage aus der Zeit tragen keine Erkennungsmerkmale. Fast alles, was wir wissen, entstammt fragmentarisch erhaltenen Schriftquellen. Selbst das Schlachtfeld der Auseinandersetzung mit Chlodwig ist nicht ganz sicher zu orten. Eine Gruppe von Altertumswissenschaftlern setzt Gregors campus Vogladensis mit Vouillé gleich, eine andere beharrt darauf, dass das in der Nähe liegende Dorf Voulon gemeint sei.27 Die Westgoten kommen in den weitgefächerten Übersichten über das historische Erbe von Toulouse und Aquitanien praktisch nicht vor.28 Erst vor einiger Zeit ist eine umfassende Bibliografie zusammengestellt worden, die den Forschern hilft, das Puzzle zusammenzusetzen.29

      Die Kirche Nostra Domina Daurata – Notre-Dame de la Daurade –, deren Ursprünge mit den Westgoten in Verbindung gebracht werden, wurde 1761 total zerstört, um Platz für den Bau von Flussquais zu schaffen. Sie hatte einst den Schrein einer Schwarzen Madonna beherbergt. Das ursprüngliche Gnadenbild wurde schon im 15. Jahrhundert gestohlen, die erste Ersatzfigur verbrannten die Revolutionäre 1799. Überlebt haben Drucke einer frühmittelalterlichen achteckigen Kapelle mit Marmorsäulen und goldenen Mosaiken. Die heutige Basilika ist wie die Kathedrale des hl. Saturninus (Saint Sernin) ganz und gar aus moderner Zeit.30

      Glücklicherweise sind die Karten und die Museen nicht völlig leer. Eine Häufung von Ortsnamen mit der Endung -ens, wie etwa Douzens, Pezens und Sauzens, alle im Département de l‘Aude, soll westgotische Wurzeln verraten. Das Dorf Dieupentale (Tarn-et-Garonne) weist den einzigen Namen rein westgotischer Herkunft auf: diup bedeutet »tief« und dal »Tal«. Auch bestimmte schlichte Bronzewaren, Adlerfibeln und Glaswaren werden aufgrund ihrer Ähnlichkeit mit Funden in den früheren Donauprovinzen Roms den Westgoten zugeordnet. Und auf der Straße zwischen Narbonne und Carcassonne fährt man am beeindruckenden Walrücken der Montagne d’Alaric entlang. Lokale Quellen erklären den Namen als Erinnerung an Befestigungen aus der Zeit Athaulfs und an einen hartnäckigen Mythos um die letzte Ruhestätte Alarichs II. Auf dem Berg finden sich die Ruinen eines mittelalterlichen Klosters, St. Pierre d’Alaric, und am Nordhang eine anerkannte Weinlage mit Qualitätsweinen des AOC Corbières.31

      Die schlagendsten Hinweise einer westgotischen Vergangenheit tauchen heute ganz unerwartet in wilden Legenden auf, in historischen Erzählungen und vor allem in einem kleinen Dorf tief in den Ausläufern der Pyrenäen. Rennes-le-Château ist ein von einer Mauer umgebener Weiler auf der Spitze eines Hügels im Pays de Razès; er besteht aus vielleicht zwanzig Häusern, einer Kirche und einer mittelalterlichen Burg. Man hat von dort, unterhalb des »Heiligen Berges« Pic de Bugarach, Ausgangspunkt von Jules Vernes Reise zum Mittelpunkt der Erde, einen bezaubernden Blick über das Val des Couleurs. Dieser Weiler, der sich an der Stätte der antiken Stadt Rhedae befinden soll, erlangte im 19. Jahrhundert eine gewisse Bekanntheit, weil man ihn mit der unüberwindlichen Festung der Westgoten nach ihrer Vertreibung aus dem nicht allzu fernen Tolosa gleichsetzte. Die Steinpfeiler der Pfarrkirche sollten westgotischen Ursprungs sein, und sagenhafte Gerüchte über vergrabene Schätze waren im Umlauf.32

      Im Jahr 1885 übernahm der außergewöhnliche, um nicht zu sagen berüchtigte Pfarrer Bérenger Saunière (1852–1917) die Gemeinde. Zusammen mit seinem Nachbarn und Kollegen, dem Abbé Boudet aus dem nahen Rennes-les-Bains, Autor eines bizarren Bandes über alte keltische Sprachen,33 dilettierte Saunière sowohl in Geschichte wie auch in den okkulten Wissenschaften. Bei der Renovierung seiner Kirche fand er angeblich drei in einem westgotischen Pfeiler versteckte Pergamente mit codierten Botschaften. Kurz darauf protzte er mit einem Reichtum, dessen Herkunft er nicht erklärte; die prächtige Villa und der pseudomittelalterliche Bibliotheksturm, die er bauen ließ, sind noch heute zu bewundern. Seine Beichte auf dem Totenbett schockierte seinen Beichtvater so sehr, dass er dem Geistlichen die letzte Ölung verweigerte. Dessen liebstes Motto war angeblich ein Balzac-Zitat: »Il y a deux histoires: l’histoire officielle, menteuse, et l’histoire secrète, où sont les véritables causes des événements« (»Es gibt zwei Arten von Geschichte: die verlogene offizielle und die geheime, in der man die wahren Ursachen der Ereignisse finden kann«).34

      Man muss fairerweise sagen, dass die Westgoten nur eines der vielen Elemente in dem fantastischen Potpourri von Geschichten sind, die seit Saunières Tod kursieren. Sie befinden sich in der Gesellschaft der Katharer, Templer, Rosenkreuzer, der schattenhaften Prieuré de Sion und des Heiligen Grals höchstselbst. Dan Browns Sakrileg ist nur eines von einem Dutzend Bücher, die sich dieser modernen Legende bedienen.35 Je nach Geschmack ist der geheime Schatz von Rhedae als der »Schmuck der Westgoten« beschrieben worden, der angeblich aus Rom oder aus Tolosa stammte, oder als der »Hort von Jerusalem«, den die Westgoten aus Byzanz mitgebracht hätten. Die Verbindung zur sogenannten »Blutlinie Christi« hängt an noch weiter hergeholten Annahmen, vor allem an der Vorstellung, dass Maria Magdalena nach Südgallien gereist sei und ihre Nachkommen in westgotische Familien eingeheiratet hätten.

      Man muss deshalb die Fantasie spielen lassen, um die verlorene westgotische Kultur der aquitanischen Zeit zurückzuholen. Es wäre zum Beispiel möglich, sich von den bekannten Realien des westgotischen Spaniens aus in der Zeit zurückzuarbeiten. Schließlich dominierten die religiösen und künstlerischen Praktiken, die die Westgoten wohl aus Aquitanien mitgebracht hatten, in Teilen der Iberischen Halbinsel bis ins späte 6. Jahrhundert; die gotische Sprache, die Sidonius in Tolosa hörte, hielt sich in Toledo bis zum 7. Jahrhundert; und die politische Kultur der Westgoten, wie sie Eurich als Erster definierte, entwickelte sich bis ins 8. Jahrhundert hinein weiter. Natürlich muss man sehr vorsichtig vorgehen. Nicht alle Dinge, die das westgotische Etikett tragen, wie etwa der westgotische Kirchengesang oder die westgotische Schrift, stammen wirklich von den Westgoten. Und der iberische Kulturboden, in den die westgotischen Bräuche hineinverpflanzt wurden, war zwar ähnlich romanisiert, aber dennoch nicht mit dem des gallischen Aquitanien identisch.

      Dennoch gibt es verschiedene Hinweise, bei denen man ansetzen könnte. In der Kirchenarchitektur könnte die ausgesuchte Schlichtheit der westgotischen Kirche San Pedro de la Nava in Zamora durchaus Parallelen im nachrömischen Gallien gehabt haben. Ihre erhaltenen Hufeisenrundbögen und Tunnelgewölbe СКАЧАТЬ