Название: Gefangen im russischen Winter
Автор: Roland Kaltenegger
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: Zeitzeugen
isbn: 9783475543029
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Nicht viel anders erging es den Soldaten der Berlinbrandenburgischen 68. Infanterie-Division. Bei ihr hatten die ersten Umgruppierungen im Frühjahr 1941 begonnen, so dass bereits Ende Mai die sogenannte »Braune-Bären«-Division in zwei Abteilungen aufmarschiert war: die eine im Raum Jaroslau und die andere im Grenzwinkel nördlich von Sieniawa. Es war am 21. Juni 1941, Punkt 3.30 Uhr morgens, als die ersten Stoßtrupps über den San setzten und die sowjetischen Grenzwachen überwältigten. Im zügigen Angriff wurde rasch schwächer werdender Widerstand gebrochen, so dass sich die Infanteristen im Raum von Jaworow wieder vereinigen konnten. Ein Bataillon des Infanterie-Regiments 196 wurde nach Süden verlegt, um bei der Einnahme der sich noch zäh verteidigenden Festung Przemysl zu helfen.
Im Raum von Jaworow trafen die deutschen Truppen auf starken Widerstand, so dass es zur Panzerschlacht von Jaworow kam. Dabei zeichnete sich das I./Infanterie-Regiment 188 unter Hauptmann Grasnau besonders aus. Ihm wurde daher als erstem Angehörigen der 68. Infanterie-Division das Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes verliehen. Doch um welchen Preis! Die Infanterie-Regimenter hatten derart schwere Verluste zu verzeichnen, dass diese nicht schnell genug ersetzt werden konnten.
4.
Die Grenzschlachten in Galizien
Dzikow hieß das verschlafene Dorf in Ostgalizien, das unweit der deutsch-sowjetischen Demarkationslinie lag. In dessen Umgebung waren die Männer der Gebirgs-Jäger-Regimenter 98 und 99 sowie die gesamte Artillerie der 1. Gebirgs-Division aufmarschiert, um in den frühen Morgenstunden des 22. Juni 1941 in die UdSSR einzumarschieren. In seinen Aufzeichnungen aus dem Russlandfeldzug beschreibt der Gefreite Hubert Hegele den spannungsgeladenen Tag vor Angriffsbeginn folgendermaßen:
Mit verschlafenen Augen steige ich aus meinem Nachtquartier, einem alten, schönen Herrschaftsschlitten, der wahrscheinlich schon fürstlichere Zeiten gesehen hat. Ein herrlicher Morgen ist angebrochen. Und so allmählich wird das Gut, das zum Dorfe Grodzisko gehört, in dem unsere Kompanie untergebracht ist, lebendig. Die Feldküche dampft, und das Kochgeschirrgeklapper der Kaffeefasser weckt auch den letzten Schläfer aus seinem Sommernachtstraum.
Dienst ist für heute nicht angesagt, so dass man sich vorkommt wie im höchsten Urlaub. Und doch ist etwas da, das den ganzen Haufen nicht zur Ruhe kommen lässt. Es ist die Nähe von etwas Neuem, Unerforschtem, das in diesen nahen polnischen Wäldern seinen Ursprung haben muss. Viele Gerüchte gingen um in letzter Zeit, angefangen von der Revolution Molotows, der wir im Notfall beistehen sollen, bis zum freien Durchmarsch durch Russland, um dem bedrängten Irak gegen seine englischen Angreifer beizustehen. Ein Angriff auf die Sowjetunion? Na, das glauben wir schon gleich gar nicht. Erstens hat Deutschland einen Freundschaftsund Nichtangriffspakt mit der Sowjetunion abgeschlossen, und zweitens: Einen Kampf gegen dieses riesige Reich, nein, das gibt es nicht.
Was ist nun Wahrheit – was Gerücht? Was wollen denn wir kleine Rädchen in diesem riesigen Getriebe schon wissen? Nichts, rein gar nichts. Nur die Unruhe ist in unseren Herzen über dieses bevorstehende Neue. Dass es kommt, ja, das wissen wir. Die Fahrzeuginspektionen – das viele Impfen in letzter Zeit – vor einigen Tagen der Feldgottesdienst, alles deutet darauf hin, dass es bald wieder losgeht. Heute Vormittag wird durchgesagt: Man solle sein überflüssiges Geld nach Hause schicken. Ach was, Geld heimschicken – wir brauchen es doch notwendig für unseren zünftigen Schafkopf, den wir gerade aufgezogen haben und den nur das Mittagessen unterbrechen kann.
Auf der nahen Landstraße wird der heiße polnische Sand immer wieder und wieder von den Bergschuhen der Jäger, den Hufen der Mulis und den Rädern der Karren gemahlen. Unser Regiment zieht in den Bereitstellungsraum ein. Wir Motorisierten liegen ja schon eine Woche hier und hatten neben anderem auch einen interessanten Dienst zu tun. Etliche Mann von der Kompanie mussten die »Grenzer«, die seit der Ziehung der Demarkationslinie im Jahre 1939 hier Dienst tun, bei ihren Patrouillen verstärken. Ein Grenzer und zwei Mann von uns, so zogen wir jede Nacht los, fünf Stunden lang, entlang dem rostigen Grenzdraht. Zur Tarnung […] mussten wir unser Mützen-Edelweiß abnehmen und über unseren Waffenrock eine Zeltplane anziehen. Die ersten Nächte waren ein böses Gestolper für uns zwei Geländeunkundige. In wie viele Sumpflöcher sind wir doch getappt – dann erschreckte uns wieder ein Rudel Wildschweine, die urplötzlich vor uns aus ihrem Versteck herausrumpelten – ein glimmender Lichtschein hinter einem Baum lässt uns zu Stein erstarren – es war nur eine alte, halbverfaulte Baumrinde […]. Als Entschädigung für solch »reizvolle« Sommernächte gab es dann des Öfteren einen kleinen Plausch mit dem Kollegen von der anderen Seite, dem russischen Grenzposten.30
Während die Landser in ihren Bereitstellungsräumen auf den Einsatz warteten, erließ Hitler einen Tagesbefehl »An die Soldaten der Ostfront«, dessen entscheidender Passus lautete:
Deutsche Soldaten!
Damit tretet ihr in einen harten und verantwortungsschweren Kampf ein. Denn: Das Schicksal Europas, die Zukunft des Deutschen Reiches, das Dasein unseres Volkes liegen nunmehr allein in eurer Hand. Möge uns allen in diesem Kampf der Herrgott helfen!
Mit ernsten Gesichtern verlasen die Einheitsführer ihren Männern diesen Tagesbefehl ihres Obersten Befehlshabers. An jenem 21. Juni 1941 hatte es den Anschein, als sollte die Sonne nicht versinken; als wollte sie ausharren und das beginnende Inferno der abertausend Waffen und Kanonen mit ihren Strahlen gespenstisch erhellen.
Mit geröteten Augen starrten die deutschen Soldaten in Richtung Osten, als jener Sonntagmorgen des 22. Juni 1941 heraufdämmerte.
Deutscher Zollgrenzschutz war des Nachts wie gewohnt entlang der Demarkationslinie patrouilliert. Da und dort zogen noch Frühnebel über die feuchte Erde und umhüllten Bäume und Sträucher, Menschen und Tiere. Auf Hochsitzen und Beobachtungstürmen saßen sowjetische Posten dermaßen apathisch, als schienen sie das heraufziehende militärische Unwetter gar nicht zu bemerken.
Der Gefreite Hegele notierte am 22. Juni 1941 in seinem Tagebuch:
Sonnenwendnacht ist heute. Um 1 Uhr werden wir zwei Horchposten zurückgeholt. Inzwischen sind auch der Zugführer Lt. Hahn und auch unser Geschützführer Obj. Schäffler, die beide schon tagelang auf Beobachtungsposten waren, wieder zurückgekehrt. Wir sind schon sehr froh darüber, denn beim ersten Einsatz möchte man gerne seine gewohnten Führer um sich haben.
An Schlaf ist nicht zu denken, zu groß ist die Spannung in uns. Allenthalben sieht man die dunklen Schatten der Gruppen und Grüppchen beisammenstehen; der nahe Angriff führt sie so zum Diskutieren zusammen. Es ist 2 Uhr. Soeben gehen die Pioniere unseres Stoßtrupps die Straße entlang. Ganz langsam und sehr leise bewegen sie sich vorwärts. Ein Gespensterzug. Kein Ton darf laut werden, damit der russische Posten ja nichts merkt. Gleich darauf erhält auch unser Geschütz den Auftrag, ebenfalls bis an den Stacheldraht vorzugehen, unter Wahrung der größtmöglichen Ruhe. Das ist nun leichter gesagt als getan, denn unser Geschütz ist ja kein MG, das man auf den Buckel nehmen kann. Die Fahrzeuge bleiben hier im Wald und kommen erst nach, wenn das Gefecht im Gange ist. Also Mannschaftszug. Je ein Kasten Panzer- und Sprenggranaten wird am Panzerschild angehängt, und nun kann die Schieberei und Zieherei losgehen. Nochmals wird jeder überprüft, ob auch alles richtig sitzt, dass nicht die Gasmaske scheppert oder der Spaten an das Seitengewehr schlägt. Der Stahlhelm wird aufgesetzt, die Bergmütze ins Koppel gesteckt. Wir schieben unser Geschütz auf СКАЧАТЬ