Название: Gefangen im russischen Winter
Автор: Roland Kaltenegger
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: Zeitzeugen
isbn: 9783475543029
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Endziel des deutschen Angriffsplanes war jedoch, »Sowjetrussland in einem schnellen Feldzug niederzuwerfen«21, um den Krieg noch vor Einbruch des russischen Winters und vor dem Wirksamwerden der umfangreichen alliierten Pacht- und Leihgesetz-Lieferungen zu beenden.
Nach Ansicht des Sowjet-Marschalls Gretschko musste die UdSSR »einen Schlag von ungeheurer Wucht auffangen«. Denn Deutschland verfügte zu dieser Zeit über ein militärökonomisches Potenzial, das außer auf die eigene Wirtschaft auch noch auf die Ressourcen der okkupierten Länder Westeuropas zurückgreifen konnte. Die Deutschen verfügten nach Meinung des Sowjet-Marschalls zum Beispiel »vor Beginn der Aggression gegen die UdSSR über 2- bis 2,5-mal mehr Kapazitäten zur Erzeugung von Metall- und Elektroenergie und zur Kohleförderung als die Sowjetunion. Die deutsche Industrie lieferte 1941 mehr als 11 000 Flugzeuge, über 5000 Panzer und gepanzerte Fahrzeuge, 30 000 Geschütze und viele andere Kampftechnik und Bewaffnung.«22 Und der Sowjet-Marschall Kyrill Semjonowitsch Moskalenko resümierte: »1941 war die faschistische Wehrmacht die stärkste der kapitalistischen Welt. Sie hatte große Erfahrungen in der Führung von Gefechtshandlungen und verfügte über ein gut ausgebildetes Generals- und Offizierskorps. Sie hatte gut organisierte Stäbe und war vollständig mobilisiert.«23
Wir werden in den folgenden Kapiteln sehen, ja stellenweise hautnah miterleben, welcher Seite es am schnellsten gelungen ist, dem Gegner das Gesetz des Handelns zu diktieren, ihn zum Kampf zu stellen und – was das Ziel jeder militärischen Operation ist – ihn zu besiegen.
3.
Der Aufmarsch
Der Aufmarsch des deutschen Ostheeres umfasste von Ostpreußen über die Slowakei und Galizien bis Rumänien fast 3 Millionen Soldaten. Bei Beginn des Russlandfeldzuges war das XXXXIX. Gebirgs-Armeekorps des Generals der Infanterie Ludwig Kübler mit der 1. Gebirgs-Division des Generalmajors Hubert Lanz, der 68. Infanterie-Division des Generalmajors Georg Braun und der 257. Infanterie-Division des Generalleutnants Karl Sachs sowie später mit der 4. Gebirgs-Division des Generalmajors Karl Eglseer, der 100. leichten Infanterie-Division des Generalmajors Werner Sänne, der 97. leichten Infanterie-Division des Generalmajors Maximilian Fretter-Pico und der schnellen slowakischen Panzer-Brigade unter Oberst Pilfousek im Rahmen der 17. Armee des Generals der Infanterie Carl-Heinrich von Stülpnagel in Richtung Lemberg angesetzt, um dann frühzeitig den Raum um Winniza zu erreichen. Für den Kommandierenden General und seine Gebirgssoldaten bedeutete das, dass sie Lemberg nach dem Polenfeldzug nun ein zweites Mal zu erobern hatten.
Bis Anfang Mai 1941 waren alle Teile des XXXXIX. Gebirgs-Armeekorps und der 1. Gebirgs-Division nach einem Bahntransport über Wien, Preßburg und Kaschau in der nördlichen Slowakei im Raum von Presov – Krynica – Neu Sandez versammelt. Meist wurde nachts gefahren und marschiert, um den deutschen Aufmarsch so lange wie möglich zu verschleiern. Zwischen den Waldkarpaten und der Hohen Tatra – also unweit der historischen Schlachtfelder aus dem Ersten Weltkrieg – warteten die Infanteristen und Gebirgsjäger dann auf die weiteren Befehle.
Zunächst dankte Generaloberst Halder dem Kommandierenden General und seinen Truppen am 24. Mai 1941 »zum Abschluss für die bisher geleistete mustergültige Vorbereitung« und gab der Erwartung Ausdruck, »dass der deutsche General-Stab auch im kommenden Feldzug wieder Vorzügliches leisten werde.«24
Die Regimenter, Abteilungen und Bataillone der 4. Gebirgs-Division, die vorläufig noch für ein paar Tage dem XXXXIV. Armeekorps unterstellt war, waren nach mühevollen Tag- und Nachtmärschen vom Ausladebahnhof Humenné über den Dukla-Pass in die Gegend von Rzeszow verlegt worden. Das geschah teilweise in vier Fuß- und drei motorisierten Marschkolonnen, die der 100. leichten Infanterie-Division in Richtung deutsch-sowjetischer Demarkationslinie folgten.
Ende Mai 1941, als die ersten Vorbefehle für das »Unternehmen Barbarossa« bei der Truppe eingingen, schwirrte die Luft von Gerüchten. Es war eine Zeit, in der das Wort »Latrinenparole« groß geschrieben wurde.
»Nur Grenzsicherung im Osten«, meinten die unverbesserlichen Optimisten und spielten weiter Karten, als ginge sie der ganze unheimliche Aufmarsch, der sich da vor ihren Augen vollzog, nichts an.
»Krieg gegen Stalin«, raunten die anderen, die Pessimisten, hinter vorgehaltener Hand.
»Warum ausgerechnet gegen Russland?«, warfen die politisch Interessierten ein. »Deutschland und die UdSSR haben doch erst im August 1939 einen Nichtangriffspakt abgeschlossen. Wer wird denn da wort- und vertragsbrüchig werden?«
»Das Ganze ist als Ablenkungsmanöver für eine bevorstehende Landung auf den Britischen Inseln gedacht«, dozierte ein Oberjäger, der seinerzeit bei den Vorbereitungen für das dann doch wieder abgebrochene Unternehmen »Seelöwe«, der vorübergehend geplanten Invasion auf den Britischen Inseln, dabei gewesen war.
»Vielleicht geht es nach Indien«, meldete sich plötzlich jemand zu Wort.
»Wieso nach Indien?«
»Um das britische Weltreich von Russland aus im Nahen Osten und auf dem indischen Subkontinent zu schlagen«, kam die nicht ganz abwegige Antwort.
Doch allzu lange brauchten die Landser sich nicht mehr den Kopf zu zerbrechen, denn die militärischen Aktivitäten steigerten sich so sehr, dass auch der Letzte einsah, dass ein neuer Waffengang bevorstand. Karten und Merkblätter, die sich ausschließlich mit Russland befassten, wurden nun an die Truppe ausgegeben. Als es Anfang Juni in Richtung Osten ging, löste sich die ungeheure Anspannung. Die Skeptiker, die an kein schnelles Ende des Krieges glauben mochten, sollten einmal mehr Recht behalten.
Der Stab des XXXXIX. Gebirgs-Armeekorps hatte sich in Lancut im märchenhaft anmutenden und gut ausgestatteten Barockschloss des Grafen Potocki einquartiert. Der freundliche und hilfsbereite Adelige und seine Mutter, eine geborene Radziwill, die beide fließend Deutsch sprachen, wohnten in einem Seitenflügel und fuhren täglich mit zwei Lakaien aus. Der Dienstbetrieb verlief fast ungestört und friedlich. Er wurde aber zunehmend hektischer, als sich der ungefähre Angriffsbeginn erahnen ließ. In dieser Zeit besuchte General Alfred Jodl als Chef des Wehrmachtführungsstabes seinen jüngeren Bruder Ferdinand. Dieser war Generalstabschef des XXXXIX. Gebirgs-Armeekorps. Nun kamen für das Korps und damit auch für die unterstellten Divisionen die entscheidenden Anweisungen für den 22. Juni 1941. Es war der Tag des Angriffs auf die Sowjetunion. Die Spannung wurde von Stunde zu Stunde unerträglicher.
»Das wird ein Unternehmen, das weder Deutschland noch die Welt je erlebt haben«, triumphierte der Chef des Wehrmachtführungsstabes.
»Das wird unser Verhängnis«, antwortete der Kommandierende General überaus pessimistisch.25
In dieselbe Kerbe schlug der Architekt der deutschen Gebirgstruppe später, als ein hoher SS-Mann davon sprach, dass die deutschen Operationen aufgrund des schnellen Vorstoßes der Panzer so weit über den Ural hinausgehen würden, dass dieser bald ein Teil des Großdeutschen Reiches sei. Darauf gab Kübler zu bedenken, dass die Panzerwaffe ohne begleitende Infanterie nicht viel wert sei. Weil die Infanterie aber bedeutend langsamer sei als die motorisierten Teile einer Armee, sei der schnelle Vormarsch zum Ural fraglich.26
Am 12. Juni 1941 traf beim Gebirgs-Artillerie-Regiment 79 der Befehl für den Vormarsch aus dem Raum um Lancut in den Raum südostwärts von Tarnograd ein. Am folgenden Tag bereitete sich das Regiment für den Abmarsch vor. Wiederum einen Tag später fuhr das Quartiermacher-Vorkommando voraus. Durch Regenfälle war der Zustand der Straßen СКАЧАТЬ