Название: Die Lichtstein-Saga 3: Fineas
Автор: Nadine Erdmann
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Die Lichtstein-Saga
isbn: 9783958344037
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Kapitel 7
Ari schlüpfte in die klobigen Wanderschuhe und merkte, wie seine Schulter schmerzte, als er die Schnürsenkel zuband. Sobald sein Kreislauf morgens in Gang kam, wurden die Schmerzen jedes Mal schlimmer. Das war normal, nervte aber trotzdem gewaltig. Mit zusammengebissenen Zähnen brachte er das Schuhebinden zu Ende, sank dann müde auf dem Sofa zurück und schloss für einen Moment die Augen.
Er war diesen Mist so verdammt satt.
Jahrelang hatte er klaglos den Drill seines Großvaters hingenommen, hatte trainiert und sich auf seine Aufgabe als Cay vorbereitet. Er war ohne groß zu murren allen Anweisungen gefolgt, wenn die Erwachsenen in seinem Umfeld über sein Leben bestimmt hatten. Er hatte sich beigebracht, auf andere zuzugehen und Menschenansammlungen auszuhalten, obwohl er sich dabei nicht wohlfühlte. Er hatte seinen Lichtstein von den Nymphen geholt und dabei Raik verloren. Und er war von den Harpyien in den Abgrund der Weißen Schlucht gestoßen worden, als er Kaelan und den Stein des Windes beschützt hatte.
Bitter presste er die Lippen aufeinander und gab sich alle Mühe, diese ätzende Mischung aus Wut, Verdrossenheit und unendlicher Müdigkeit in seinem Inneren zu ignorieren. Es würde noch Wochen dauern, bis er die Verletzung nicht mehr spürte, und er hatte keine Ahnung, wie oft er noch schweißgebadet aus dem Schlaf schrecken würde, weil er im Traum in eine bodenlose Schlucht hinabstürzte. Er merkte nur, dass ihn all das langsam zermürbte. Der ewige Erwartungsdruck, der auf ihm als Cay lastete, die Angst, dass die Zeit zu knapp wurde, weil Konstantin mit dem Bau des Portals zu schnell voranschritt, all die Sorgen um die Menschen, die ihm wichtig waren – und dazu jetzt auch noch die ständigen Schmerzen samt körperlichen Einschränkungen. Sollte es auf ihrer Reise zu den Drachen zu einem Kampf kommen, würde er sich nur sehr eingeschränkt verteidigen können. Deshalb auf die Hilfe der anderen angewiesen zu sein und sie dadurch zusätzlich in Gefahr zu bringen, weil sie nicht nur auf sich selbst, sondern auch auf ihn aufpassen mussten, war ein widerliches Gefühl. Er wollte keine verfluchte Belastung sein. Das hatten die anderen nicht verdient!
Unwirsch grub er seine Finger in seine Schulter und versuchte die Muskeln zu lockern, die sich aufgrund der Schonhaltung, die er unbewusst immer wieder einnahm, verspannten und für zusätzliche Schmerzen sorgten.
Mann, es reichte einfach.
Er war müde, frustriert und wütend und hätte am liebsten alles hingeschmissen – nur um sich allein für den Gedanken daran schlecht zu fühlen, denn schließlich war er von Cayaniel ausgewählt worden. Das war eine Ehre, die er verdammt noch mal wertschätzen sollte. Immerhin schien der Engel ja irgendwas in ihm zu sehen, das seine Wahl rechtfertigen musste.
Ari wünscht nur, er selbst würde das auch sehen können.
Im Moment sah er nur, dass sie gerade mal die Hälfte der Lichtsteine ins Kloster geholt hatten und er sich so k. o. fühlte, dass er keine Ahnung hatte, wie er die noch anstehenden Reisen durchhalten sollte.
Er atmete tief ein und aus und öffnete dann wieder die Augen.
Seine Gedanken waren in letzter Zeit auf sehr dunklen Pfaden unterwegs und er hasste sich dafür. Das Gefühl von Ausweglosigkeit, weil sein Schicksal vorbestimmt war und er sein Leben nie selbst hatte bestimmen dürfen, brachte zu oft viel zu viel Selbstmitleid und Verzweiflung mit sich. Dazu die Trauer um Raik und diese bleischwere Müdigkeit, weil die Reisen anstrengend waren, sie sich kaum Pausen dazwischen gönnen konnten und ihm jetzt auch noch diese elende Verletzung zu schaffen machte. All das wirkte wie eine tonnenschwere Last, die ihn niederdrückte und zu ersticken drohte. Manchmal stürzte ihn das wie in ein dunkles Loch und er hatte eine Heidenangst davor, dort womöglich irgendwann nicht mehr herauszukommen.
Im Moment half ihm dabei noch die Wut auf die Ungerechtigkeit, dass man ausgerechnet ihm all das aufgebürdet hatte. Das war zwar irgendwie auch eine Art von Selbstmitleid, aber wenigstens eine, die Energie gab und dafür sorgte, dass er den ganzen Mist einfach so schnell wie möglich durchziehen wollte – um dann endlich selbst bestimmen zu können, wie er leben wollte.
Bis dahin musste er allerdings überleben. Und da er sich im Moment kaum alleine verteidigen konnte, standen die Chancen dafür nicht gerade rosig.
Wieder grub Ari seine Finger in seine Schulter.
Nach allem, was er als Cay schon hatte opfern und entbehren müssen, wollte er nicht auch noch sein Leben geben.
Er knetete die verhärteten Muskeln noch stärker und spürte, wie der Schmerz in die Wunden schoss, als die Fäden unangenehm spannten.
Da war sie. Die Wut. Die musste er festhalten. Die war sein Antrieb.
Zumindest so lange, bis die Tränke wirkten.
Er atmete noch einmal tief durch und stemmte sich dann entschlossen vom Sofa hoch. Über der Lehne hing die Lederhose, die er gestern als Cay getragen hatte, und er zog sechs kleine Phiolen aus den Hosentaschen. Seine maximale Tagesration, obwohl er hoffte, dass er nicht alle brauchen würde. Drei der daumengroßen Fläschchen enthielten eine Mischung aus Kräuterblut und verschiedenen Aufputschern für die nötige Kraft und Energie – und gegen all die düsteren Gedanken, die ihn in dieses schreckliche dunkle Loch ziehen wollten. Die anderen drei enthielten ein Schmerzmittel. Er nahm von beiden Tränken einen und stürzte den Inhalt der Phiolen hinunter. Die Wirkung würde recht schnell einsetzen und hielt für drei bis vier Stunden an. Er versenkte die anderen Phiolen in den Taschen seiner Stoffhose, die zu seiner Tarnung als Fischer gehörte.
Vom Flur erklangen Schritte und Kaelan erschien in der Tür zum Wohnraum. »Wir müssen langsam los.« Er hatte mit Noah und Mattes nach dem Frühstück noch ein paar Vorräte für ihre Wanderung zusammengepackt. »Vin ist im Rucksack, aber ich hab keine Ahnung, wie lange er friedlich da drinbleibt, wenn Mattes ihn nicht mehr füttert.«
»Ich komme.« Ari sah sich kurz um, ob sie nichts vergessen hatten. Mattes würde dafür sorgen, dass alles, was sie nicht mitnehmen wollten, den Weg zurück ins Kloster fand.
Kaelan strich ihm zärtlich eine wirre Haarsträhne aus der Stirn, als Ari zu ihm an die Tür trat. »Sobald wir auf dem Fluss sind, ruhst du dich wieder aus, okay?«
Ari gab ihm einen flüchtigen Kuss. »Mach ich. Versprochen. Aber jetzt lass uns gehen, bevor die halbe Stadt unterwegs ist.«
Die Verabschiedung von Mattes fiel kurz aber herzlich aus, dann stahlen Kaelan, Noah und Ari sich mit Angelruten, Fischerkörben und einem großzügigen Proviantkorb aus der Hintertür der Schmiede. Wie am Tag zuvor trug Kaelan den Rucksack mit Vin. Vermutlich wäre der kleine Wolf nicht mal weiter aufgefallen und die meisten Leute hätten ihn bloß für einen Hund gehalten, der mit seinen Herrchen die Stadt verließ. Doch sie wollten nichts riskieren, falls doch jemand genauer hinschaute und Vin erkannte.
»Diese Strohhüte sind eine Zumutung.« Genervt strich Noah seine Haare in die Stirn, damit das Stroh auf der Haut nicht so juckte.
»Du kannst ihn absetzen, sobald wir ausreichend Abstand zwischen uns und die Stadt gebracht haben«, sagte Kaelan. »Obwohl du auf dem Fluss sicher dankbar für das Ding sein wirst, wenn die Sonne dir damit nicht Gesicht und Nacken verbrennt.«
Ari СКАЧАТЬ