Название: Der Geselle des Knochenhauers
Автор: Frank Goyke
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Hansekrimi
isbn: 9783863935122
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Nachdem es vorbei war, atmete Jacob noch eine Zeit lang heftig. Er hatte sich der Sünde der Selbstbefleckung hingegeben, aber das war mit zwanzig Vaterunsern und einem halben Pfennig für die Armenkollekte aus der Welt zu schaffen. Bei jeder Beichte bekannte er, was er Nacht für Nacht tat, und manchmal hatte er das Gefühl, dass der Priester seinem Geständnis nicht nur angehaltenen Atems lauschte, sondern dass sich seine Hände dabei unter die Soutane verirrten.
Knecht Matthias täuschte sich, als er vermutet hatte, Jacob hätte am Abend Bier getrunken. Der Geselle war keineswegs in einer Schänke gewesen, weder im Bunten Ochsen noch im Pferdekopf oder in der Sau, sondern er hatte im Frauenhaus Befriedigung gesucht. Neben Kost und Logis bekam er von Vater Klingenbiel auch ein wenig Geld, das er in einen kleinen Lederbeutel tat, den er auf einem Balken in der Diele versteckte. Andere Gesellen setzten ihre mehr als bescheidenen Einkünfte in Bier um, Jacob trug sie zu den losen Frauen, denn es lohnte sich nicht, das Geld zu sparen: Für Eschung und Bürgereid würde es niemals reichen. Und im Frauenhaus bekam man ein passables Weib bereits für einen halben Kreuzgroschen, den Preis von einem Pfund Schweinefleisch oder einem Pfund Hirsch.
Aber es nutzte nichts, die Hübschlerinnen verschafften ihm nur eine kurzzeitige Erleichterung. Er hatte eine Favoritin, Kristin, die fünfzehn Jahre alt war, aber manchmal trieb er es auch mit der Hurenmutter, mit Madame Catherine, wie sie sich nannte, seitdem ihr irgendein Durchreisender erzählt hatte, Kaiser Karl sei am burgundischen Hof aufgewachsen und beherrsche nur Französisch. Katharina, wie sie wirklich hieß, behauptete gern, als junges Mädchen dem Enkel des im Volk sehr beliebten Kaisers Maximilian oft zu Willen gewesen zu sein, dabei hatte sie Hildesheim nie verlassen. Und sie war entsetzlich ungebildet: Sie hielt Burgund für eine spanische Provinz. Doch Jacob hörte ihr gern zu, wenn sie ihn in die Arme nahm und ihn ihren Kaiser nannte. Sie tippte auf seine Nase, strich ihm über die Stirn, berührte sein Kinn und erklärte, Karl, der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, der König von Spanien und Neapel, der Herr der Niederlande und Herrscher über Amerika sehe eigentlich aus wie er. Jacob Findling, der ein Nichts war, genoss diese Schmeicheleien. Er genoss das Gefühl von Geborgenheit, das er nur bei Katharina hatte, er genoss, dass er ihr mit seinem Wissen überlegen war, und er genoss, dass er mit ihr reden konnte; Kristin kicherte immer nur, wenn er von sich und seinen Träumen sprach.
Aber Befriedigung, wirkliche Befriedigung verschafften ihm beide Frauen nicht. Die erhoffte er sich allein von Marie, die sich verweigerte. Denn sie liebte er.
Jacob war der festen Überzeugung, sie zu lieben. Er liebte sie so sehr, dass er sie heiraten wollte.
Heiraten wollte er sie auch, um aufzusteigen. Um nicht mehr Jacob Findling zu sein, sondern Meister Johannes Klingenbiel.
ZWEITES KAPITEL
Die Freiheit eines Christenmenschen
Als sich Bruder Eusebius in seiner Zelle im Paulikloster auf die Lagerstatt legte, begann die Welt um ihn zu kreisen. Die Wände und die Decke des engen Raums verwandelten sich zu lebendigen Wesen, in denen Blut floss; anders war doch gar nicht zu erklären, dass sie hin und her, hoch und nieder wogten. Eusebius richtete sich sofort wieder auf. Bruder Balthazar hatte ihn mit zu viel Wein traktiert.
Eusebius stöhnte. Er hatte den guten Rheinwein quasi auf nüchternen Magen genossen, und das bekam nicht einmal dem stärksten Ritter. Obwohl das Rittertum ja quasi – quasi, dachte Eusebius – vernichtet worden war. Jedenfalls quasi ausgeschaltet: Vor zwanzig Jahren, als ein gewisser Franz von Sickingen durch das Heer der Kurfürsten von Trier und der Pfalz und vom hessischen Landgrafen besiegt worden war und tödlich verwundet auf dem Landstuhl starb. Das Rittertum hatte sich einfach überlebt. Niemand brauchte Ritter, wenn man mit Landsknechten auskam. Die wollten nur Geld und keine Lehen. Obwohl, Ritter neigten – wenn sie keine Raubritter waren – eher zur Treue. Quasi. Landsknechte wechselten die Fronten, wenn sie unzufrieden waren. Die kämpften für den, der besser bezahlte. Quasi!
Geld, dachte Eusebius. Geld, Geld, Geld! Er krümmte und streckte seine Zehen. Quasi, quasi, Geld, Geld! Der Augsburger Geldsack Anton Fugger hatte so viel von diesem sündigen Stoff, dass er es sich leisten konnte, den Kaiser zu finanzieren. Ein Augsburger Handelsherr kaufte Kaiser, als wären sie Bergwerke; das musste man sich doch einmal vorstellen! Vermutlich war er der Antichrist.
Ich hätte nicht so viel Wein trinken dürfen. Und das hier ist doch gar nicht meine Zelle!
Es könnte aber seine Zelle werden. Der Prior, der ihn so freundlich als Gast aufgenommen hatte, hätte sicher nichts dagegen, wenn der weit gereiste Eusebius von Braunschweig seinem Konvent beitreten würde.
Immerhin kannte er seine Schrift Des Doctor Luthers Irrtümer von der Gnade Gottes nebst einer Apologie der sieben Sakramente, so notwendig sind für die Erlangung ewiger Seeligkeit. Gedruckt wurde sie ja nicht, während man diesen Luther vertausendfacht hat. Quasi vertausendfacht.
Mein armer, armer Kopf, dachte Eusebius und tippte an denselben. Der weiche Kern unter der harten Schale verfertigte seine Gedanken. Im Moment jedoch war sein Hirn ein Weinfass.
»Was wollte Bruder Balthazar eigentlich von mir?«, fragte Eusebius die Wand, die er anstarrte. Dann erbrach er sich.
»Wer bist du?« Tile Brandis beugte sich vor. Der Wandergeselle stand mit verschränkten Armen vor ihm. Christoph von Hagen hatte ihn nicht ohne Grund in das Verlies gesperrt, das unmittelbar neben dem Einbecker Keller gelegen war. Manche Gefangenen zermürbte es, wenn sie das fröhliche Zechen von nebenan hörten.
Doch der Wandergeselle sah nicht aus, als könne ihn irgendetwas rasch zermürben.
»Ein Geschöpf des Herrn«, sagte er. Das traf zweifellos zu, aber der arrogante Ton forderte Brandis heraus.
»Bist du Protestant?«
»Was ist das?«
»Mir scheint, dass du dir deiner Lage nicht bewusst bist«, sagte Brandis sanft. Ihm war es durch seine Beredsamkeit – und auch weil er einer der reichsten Familien angehörte – gelungen, die anderen Ratsherren und sogar den Proconsul davon zu überzeugen, dass sie sich um die Bettler und den betrunkenen Tagelöhner kümmern sollten, die Christoph von Hagen neben dem Wandergesellen ins Loch eingeliefert hatte. Für sie interessierte sich Tile Brandis nicht. Sie waren verdächtig, weil sie zu den Armen gehörten, aber was bedeutete das schon? Jede Stadt, die er kannte, litt darunter, dass die Schicht der Armen immer größer wurde. Das war eine enorme Gefahr. Und aus diesem Grund befasste er sich mit dem Protestantismus und wollte alles über die lutherische Konfession in Erfahrung bringen. In allen befreundeten Städten hatte sie sich, nach anfänglichen Ausbrüchen von Zorn, als probates Mittel erwiesen, die Gärung der Massen in anständiges Bier zu verwandeln. In ein Bier, das seine außerordentliche Würze obendrein dadurch erhielt, dass man Kirchengüter für die Stadtkasse einzog. Um Glaubensdinge, wie dieser komische Augustiner in Wittenberg wohl noch immer hoffte, ging es längst nicht mehr. Luther träumte, und das fand Tile Brandis durchaus sympathisch. Doch seine Anhänger machten Politik.
Und Politik machte auch Brandis, denn er war Ratsherr.
»Ich erkläre es dir. Auf dem Reichstag zu Speyer Anno tausendfünfhundertneunundzwanzig setzte Ferdinand, unser König und der Bruder sowie Statthalter des Kaisers, das Wormser Edikt wieder in Kraft. Dieses Edikt verhängte immerhin die Reichsacht über Martinus Luther! Außerdem hob Ferdinand jene Passagen eines Reichsabschieds СКАЧАТЬ