Der Geselle des Knochenhauers. Frank Goyke
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Название: Der Geselle des Knochenhauers

Автор: Frank Goyke

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Hansekrimi

isbn: 9783863935122

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СКАЧАТЬ das geringste Interesse aus; eher schon schien es, als würde er durch den Ratsherrn hindurchsehen.

      »Ein Reichstagsbeschluss«, erklärte Brandis. »Beim ersten Reichstag zu Speyer rechneten alle noch mit einem Konzil, also beschloss man, dass sich jeder Stand gegenüber seinen Untertanen so verhalten möge, wie ein jeder solches gegen Gott und die kaiserliche Majestät hofft und vertraut zu verantworten. Im Grunde bedeutet es, dass jeder Reichsstand – also die Kurund Reichsfürsten, die Reichsgrafen und die Reichsstädte – die Konfession seiner Untertanen selbst entscheiden darf. Eine Art Religionsfrieden, könnte man sagen.«

      »Kommt zur Sache, Herr!«, verlangte der Geselle. Tile Brandis fuhr zurück. Das war ja eine unerhörte Frechheit: Ein Mensch ohne Bürgerrecht bot ihm die Stirn und forderte ihn auf, ihm langatmige Erklärungen zu ersparen. Aber Brandis beherrschte sich.

      »Wie gesagt, auf dem zweiten Speyrer Reichstag wollte König Ferdinand diese Beschlüsse aufheben, weil ein Konzil nicht zustande gekommen war. Die evangelischen Reichsstände legten aber eine protestatio gegen Ferdinand und seine katholischen Verbündeten ein, und seither nennt man die Martinianer auch Protestanten.«

      »Aha.«

      »Mehr hast du dazu nicht zu sagen?«

      »Ich bin ein einfacher Mann, Herr.«

      »Und führst im Bunten Ochsen laute Reden gegen Papst und Reich«, fügte Tile Brandis hinzu.

      »Nicht gegen das Reich, Herr, sondern gegen den Kaiser«, sagte der Wandergeselle. Diese Antwort machte Tile Brandis stutzig: Der Mann verstellte sich und war klüger, als es den Anschein hatte. Dass er zwischen Kaiser und Reich unterschied, bewies, dass er über Rechtskenntnisse verfügen musste. Die verfassungsrechtliche Formel Kaiser und Reich setzte die beiden Seiten nicht etwa in eins, sie schied sie voneinander: Kaiserliche und Reichsinteressen waren beileibe nicht mehr identisch. Frankreich und Karl V. führten Krieg gegeneinander, weil sich der französische König aus der Umklammerung durch die Habsburger befreien wollte; alle Landgrenzen Frankreich stießen an habsburgisches Territorium. Der Krieg gegen Franz I. lag aber allein im Interesse des Kaisers, Reichsinteressen wurden von ihm eigentlich nicht berührt. Aber konnte ein Wandergeselle so etwas wissen? Es fiel ja sogar Brandis nicht leicht, es zu durchschauen. War der Wandergeselle am Ende gar keiner, sondern ein lutherischer Prädikant? Die Neugierde des Consuls war endgültig herausgefordert.

      »Aus welcher Stadt stammst du?«

      »Aus Nordhorn.«

      »Und was ist dein Beruf?«

      »Zimmermann, Herr.«

      »Wie Joseph?«

      »Ja, aber ich habe keinen Sohn.« Der angebliche Geselle lächelte. Brandis’ Zweifel wuchsen nur noch. Sogar etwas wie Witz schien der Mann aus Nordhorn zu haben, wenn er denn wirklich aus dieser Stadt kam.

      »Was willst du in Hildesheim?«

      »Ich suche Arbeit, Consul.«

      »Im Bunten Ochsen

      »Ihr kennt meine Wege nicht, Herr. Kreuz und quer bin ich durch die Lande gezogen, aber niemand brauchte mich. Auch in Hildesheim habe ich bei drei Zimmerleuten vorgesprochen. Und ich beherrsche mein Handwerk. Aber nein, leider kein Bedarf. Ich erhielt ja nicht einmal die Gelegenheit zu zeigen, was ich kann, also musste ich meinen Ärger mit ein paar Bier wegspülen.«

      »Um dann gegen den Heiligen Vater zu lästern«, sagte Tile. »Er betrügt uns, Herr.«

      »Und der Kaiser?«

      »Der betrügt uns auch. Das Reich ist ihm doch schnurz – er kann ja nicht mal Deutsch. Aber Geld will er. Eine Türkensteuer. Was gehen mich die Muselmanen an? Für mich sind sie weit weg. Bei den Hungarn … Wo ist das? Jedermann ist doch der Rock näher als die Hose. Auch Euch, Ratsherr. Oder ist Euch das Magyarenreich wichtiger als Hildesheim?«

      »Man darf nicht nur an sich selbst denken«, sagte Brandis ohne große Überzeugungskraft, denn nichts anderes tat er üblicherweise. Seine Familie – und Gott natürlich – bildeten den Mittelpunkt seiner Welt. Gesche war schwanger. Er wünschte sich einen Sohn. Das und seine Geschäfte beherrschten sein Denken sogar mehr als die Ratsangelegenheiten seiner Heimatstadt; insofern hatte der Wandergeselle schon Recht. Aber wenn Tile vor seinem Gedenkbuch saß, zwang er sich zu einem weiten Horizont. Die Nachwelt sollte nicht nur sehen, dass er ein guter Geschäftsmann und ein liebevoller Familienvater gewesen war, sondern auch ein Homo politicus.

      »Ihr habt auch keine Arbeit für mich, Herr?«, fragte der Geselle.

      »Kennst du die Lovekenstube?«, wollte Tile Brandis wissen; auf die Frage des Gesellen ging er vorerst bewusst nicht ein.

      »Wie?«

      »Die Lovekenstube?«

      »Nein, Herr. Ist das eine Badestube?«

      »Allerdings.«

      »Mit drallen Bademägden?« Der Wandergeselle lächelte. »Kann man so sagen.«

      »Ich kenne sie nicht … würde sie aber gern kennen lernen.«

      »Nun, heute ist sie geschlossen«, sagte Brandis. »Aber vielleicht kann man sie morgen wieder besuchen … Wie ist dein Name?«

      »Wenzel«, sagte der Geselle.

      »Nun, Wenzel, auch ich habe keine Arbeit für dich.« Consul Brandis erhob sich. »Ich habe meine Hände zwar in vielerlei Geschäften, aber das Handwerk der Zimmerleute gehört nicht dazu. Tut mir Leid.« Er begab sich zur Tür und schlug dreimal gegen sie. Wenige Lidschläge später öffnete der Büttel. »Er kann gehen«, sagte Brandis mit einer Kopfbewegung hin zu dem Verdächtigen.

      »Was, Herr Consul?«

      »Spreche ich so undeutlich? Er ist entlassen.«

      »Nicht mal als Knecht?«, fragte der Wandergeselle. »Ich mache alles, selbst die schmutzigsten Arbeiten.«

      »Ich habe Knechte«, erwiderte Tile und ging hinaus.

      »Tot?«, fragte Johanna von Alfeld. Ihr Gesicht war bleich.

      »Ja, tot«, sagte Heinrich. Er hatte nicht die geringste Lust, über den Vorfall in der Lovekenstube zu sprechen. Hunger hatte er, aber die Weinsuppe war längst erkaltet. Heinrich von Alfeld brach sich ein Stück vom Brot.

      »Soll ich die Suppe aufwärmen lassen?«, fragte Johanna. »Ich wäre dir sehr dankbar«, entgegnete Heinrich.

      »Nun, dann sage ich der Magd Bescheid.« Johanna blieb aber sitzen. Weiber waren nun mal furchtbar neugierig. »Wer hat es denn getan?«

      »Weiß ich doch nicht.« Heinrich von Alfeld hatte die Nase voll. Seine Ratskollegen hatten ihn bereits mit inquisitorischen Fragen gequält, nun wollte er in Ruhe gelassen werden.

      »Hast du nichts gesehen?«

      »Geh ins Bett!«, sagte von Alfeld müde. Er mochte kein weiteres Wort mehr wechseln, mit niemandem.

      »Heinrich!« Jetzt machte Johanna auch noch diese Kuh augen, von denen sie glaubte, sie würden ihn erregen. Und sie neigte den Kopf zur СКАЧАТЬ