Ab 40 wird's einfach nicht schwer. Sylvia Kling
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Название: Ab 40 wird's einfach nicht schwer

Автор: Sylvia Kling

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783956691492

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СКАЧАТЬ Liebmann wollte schon immer fliegen. Wenn es sein musste, auch allein.

      »Du wirst schon noch fliegen«, meinte ihre Freundin Sandra aufmunternd. Sandra aß wieder, Gott sei Dank! Monatelang war sie in der Psychiatrie gewesen, weil sie gehungert und unter schweren Depressionen gelitten hatte. Viel gesünder sah sie heute noch nicht aus, aber immerhin.

      Silke war neunundvierzig Jahre. Sie trug ihr kastanienbraunes Haar bis zur Taille, hatte eine umwerfende, weibliche Figur, braune Augen und einiges hinter sich. Als sie gerade selbst eine schwere Krankheit überstanden hatte, die ihr nach monatelangen Kortisoninfusionen dreißig Kilogramm mehr auf den Rippen einbrachte, war ihre geliebte Jugendfreundin Martina schwer erkrankt. Sie starb. Ihr Kolibri, den sie nicht fliegen lassen wollte. Diese unglaublich lebenslustige, blond gelockte und liebevolle Frau, ihr mutiger und zarter Engel Martina. Die Trauer hatte sie überwältigt. Doch damit nicht genug. Sie hatte ihren Ehemann Harry verloren, der an einem Herzinfarkt gestorben war. Einfach so. Mitten in der Nacht. Während sie geschlafen hatte. An einem Sonntagmorgen, sie kochte wie immer am Wochenende den Kaffee, hatte sie Harry wecken wollen, diesmal sogar mit dampfenden und duftenden Brötchen und in einem verführerischen Negligé.

      »Ey, du Langschläfer!«, hatte sie fröhlich gerufen, als sie ins Schlafzimmer zurückgekommen war. Er schlief immer noch. Hatte sie geglaubt. Doch die Stille, die sie umgab, war stiller als sonst. Irgendetwas war anders, wirkte starr. Sie war stehen geblieben, hatte das Tablett mit dem Kaffee und den Brötchen leise auf Harrys Nachttisch abgesetzt, um ihn nicht zu stören. Sie starrte ihn an, auf das schlafende, unheimlich bleiche Gesicht. Ich gehe jetzt zu Harry, gebe ihm einen Kuss auf den Mund. Wie immer, hatte sie gedacht, dieses aufsteigende Gefühl von Entsetzen missachtend. Sie war zu seinem Bett geschlichen. Wie eine Wachspuppe hatte er dagelegen, reglos. Sie hatte sich wie in Trance gebückt, küsste ihn mit geöffneten Augen auf die Wange – und schrie. Immer wieder schrie sie seinen Namen. Sie hatte es bereits begriffen, als sie das Zimmer betrat. Das Haus hatte nach Tod gerochen. Sie war Witwe geworden. Einfach so.

      Lange Zeit schlief sie in seinen T-Shirts und trug sogar seine Socken. Sie musste weiter Kaffee kochen, jeden Tag. Sie musste weitermachen, denn ihr Sohn Julian war gerade erst zehn Jahre jung. Jeden Tag besuchte sie mit ihm Harrys Grab, tröstete den Sohn, sprach mit ihm. Sie weinte mit ihm, sie fing seinen Schmerz auf. Vier Wochen konnte Julian nicht zur Schule gehen, weil es ihm sehr schlecht ging. Vier lange Wochen erlebte sie den Schmerz doppelt, als ob sich ihrer noch mehr füllen, mit Steinen beschwert werden würde. Ihrer beider Schmerz wurde zu einer Insel, auf die sie nach diesen vier Wochen immer wieder zurückkehrten. Selbst nach sechs Monaten hatten sie Angst, er würde gehen. Mit dem Schmerz würde auch Harry für immer verschwinden, so dachten sie.

      Für Julian gab sie alles. Jetzt sah sie Harry und Martina oft in ihrem Spiegel. Wenn es ihr besonders gut oder schlecht ging, stellte sie sich so lange im Bad vor den Spiegel, bis sie die beiden sah. Manchmal sprach nur sie mit ihnen, manchmal antworteten Harry und Martina. Manchmal nur einer der beiden. Der andere lächelte liebevoll. Das erzählte sie niemandem, denn es würde ihr niemand glauben.

      Als ihr Sohn Julian eines Tages auszog, um das Leben zu lernen, verlor sie sich beinahe selbst. Erst mithilfe ihrer Freundinnen zog sie sich wieder aus dem Sumpf und lernte, von nun an endlich wieder Frau, nicht nur Mutter zu sein – besser gesagt: Glucke, denn zu nichts anderem war sie damals mutiert. Sie war Mutter und hatte den Vater ersetzt. Zumindest war das ihr Ziel gewesen. Ein Doppelleben. Ihre Zeit als Frau und eigenständiger Mensch begann. Genau jetzt.

      Tränen auf Eis

      »Eine Frau, die viel liest, malt, Gitarre spielt

      und gern lacht – die sollte nicht alleine sein.«

      Hans, der Träumer

      Sie spielte inzwischen wieder Gitarre und begann zu malen. Ihr war es gleich, ob ihre Bilder jemandem gefallen würden. Es steckten ihre Gefühle in ihnen, es waren ihre Farben; sie waren ein Teil ihrer Selbst. Wieder war ein neues Bild entstanden: »Tränen auf Eis«.

      Warum auch immer, es war ihr danach, nach Tränen und nach Eis. Müde streckte sie ihre Glieder und ging zur Küche, um eine Flasche Rotwein zu öffnen. Es war Sommer und alles blühte. Als Silke auf die Terrasse trat, trällerte ihre nette Nachbarin Frau Schröder irgendeinen alten Schlager vor sich hin.

      »Hallo, Frau Schröder, Sie sind aber gut gelaunt«, rief Silke hinüber. Die alte Dame trat an die Hecke und strahlte Silke an.

      »Natürlich, ich habe allen Grund dazu. Wir sind gesund, die Sonne scheint und mein Mann hat mir heute zum Hochzeitstag einen großen Wunsch erfüllt.«

      Silke lächelte und ertappte sich wieder bei diesem grässlichen Gefühl des Neids. Schnell wischte sie es weg, als ob sie auf ihrer Leinwand einen Farbklecks beseitigte, der hässliche Flecken hinterließ.

      »Na, wenn das nicht genug Gründe sind, um zu singen«, stimmte Silke zu und nippte an ihrem Glas.

      »Was trinken Sie denn da?«, fragte Frau Schröder.

      »Einen Bordeaux natürlich.« Silke grinste breit.

      »Das ist mein Lieblingswein! Ach, tun Sie mir doch den Gefallen, liebe Nachbarin, und besuchen Sie uns mal! Vielleicht gleich heute?«

      Silke zögerte. Frau Schröder fügte rasch noch hinzu:

      »Natürlich nur auf ein Gläschen Wein. Mein Mann würde sich auch freuen, ist er doch ein Verehrer von Ihnen.« Sie zwinkerte verschmitzt.

      Das Haus der Schröders war entzückend eingerichtet. So viele Jahre wohnten sie nun schon nebeneinander und sie war noch nie in deren Haus gewesen. Als hätte Herr Schröder Silkes Gedanken gehört, strich er sich eine weiße Strähne aus dem Gesicht und flüsterte ihr bei der Begrüßung zu:

      »Na, Silke, jetzt wird es aber mal Zeit, dass Sie uns in unseren heiligen Hallen beehren, oder?« Sie lachte. Herr Schröder war ein Gentleman, ganz alte Schule. Hatte er sich so schnell umgezogen, nachdem seine Frau ihm verkündete, dass die Nachbarin sie in wenigen Minuten besuchen würde, oder war er immer so gut gekleidet? Er trug eine moderne dunkelblaue Jeans, dazu ein weißes Shirt und darüber ein blau-weißes Holzfällerhemd. Andere in dem Alter trugen doch eher alte Jogginghosen zu Hause, oder irrte sie sich? Er rückte der »schönen Nachbarin«, wie er sie nannte, sogar den Stuhl zurecht, etwas, was Silke gar nicht mehr kannte. Der Feminismus, so erklärte sie sich, sei etwas Wunderbares, wenn man ihn nicht so maßlos übertreiben würde. Sie verstand diese »Überfrauen« nicht, die behaupteten, es sei diskriminierend, wenn ein Mann einer Frau in den Mantel helfe, »als ob wir das nicht alleine könnten«. Sie behaupteten doch nicht etwa, wir würden kleingehalten werden und als beschränkt dargestellt, nur weil ein Mann uns die Tür aufhalte. Was sollte dieser Quatsch? Frauen wollten Anerkennung und, verdammt noch mal, durchaus verwöhnt und hofiert werden. Was war daran falsch? In ihre Überlegungen hinein servierte Frau Schröder Salzgebäck in einer wunderschönen weißen Porzellanschale mit bemalten Rosen. Sie sah Silkes Blick.

      »Echtes Meißner, schauen Sie mal drunter. Aber erst, wenn die Schale leer ist, wenn ich bitten darf«, und sie lachte über ihren eigenen Scherz am lautesten. Als Silke einstimmte und das Lachen verstummte, fügte Frau Schröder hinzu:

      »Sie ist noch von meiner Mutter. Lange habe ich sie nicht benutzt, aus Angst, sie könnte kaputt gehen. Aber jetzt, wo ich alt bin, will ich sie sehen und mich dabei an meine Eltern erinnern.« Sie lächelte traurig in sich hinein.

      »Mein Elternhaus traf eine Bombe, als ich gerade bei meiner Tante war«, flüsterte sie. Silke berührte sanft СКАЧАТЬ