Название: Vom Wind geküsst
Автор: Lin Rina
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783959913683
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Als würde sich irgendein Wildfremder für mich interessieren. Das wäre doch absurd.
Mei lachte nur, sprang zu ihren Brüdern und zog mich mit. »Habt ihr den Mann gesehen, der uns die Tür aufgehalten hat? Ich denke, er hat ein Auge auf Cate geworfen«, verkündete sie sogleich, strich sich kokett ein paar ihrer Zöpfe aus dem Gesicht und wackelte albern mit den Augenbrauen.
»Im Ernst?«, sprang Marc sofort darauf an und grinste wölfisch.
Mir war sofort klar, dass er vorhatte, mich mindestens die nächsten zwei Wochen damit aufzuziehen.
Ich konnte nicht länger aufhalten, dass das Glühen von meinen Ohren in meine Wangen wanderte. Dabei lag mir an diesem Fremden nichts und an seinen möglichen oder auch eingebildeten Gefühlen schon gar nicht.
»Redet keinen Stuss«, fuhr Justus die beiden unvermittelt an und sah sie mit einem Ausdruck an, der deutlich machte, dass er sie nicht für voll nahm. Doch das führte nur dazu, dass sie anfingen, unkontrolliert zu kichern.
Mein Kopf wurde immer heißer.
Justus verzog genervt die Lippen, griff nach meiner Hand und zog mich zu sich. Vor Schreck ließ ich Mei los.
»Achte nicht auf sie. Die haben nur nichts zu tun«, redete er mit ernstem Gesicht auf mich ein und neigte den Kopf näher zu mir. Sein Blick wurde noch eindringlicher.
Alles in mir kribbelte. Seine Finger waren so unglaublich warm. Ich schluckte gegen meinen ausgedörrten Hals an. Halte deine Sinne beisammen, Cate!, sagte ich zu mir und versuchte mich zu konzentrieren.
»Fühlst du dich stark genug, es mit der Menge aufzunehmen, oder soll ich mit dir zurückgehen? Marc und Mei können die Besorgungen auch allein machen«, fragte er und ich musste lächeln. Er machte sich Sorgen. Mal wieder.
Schon immer hatte er sich als mein Beschützer gefühlt. Seit damals, als er den Deckel eines Wasserfasses geöffnet und darin ein kleines weinendes Mädchen entdeckt hatte, dessen Eltern gerade in einer Schlacht ums Leben gekommen waren. Er hatte mich gefunden, meine Hand genommen und manchmal, so wie jetzt, hatte ich das Gefühl, er hatte sie niemals losgelassen.
»Es wird gehen«, versicherte ich ihm und konnte nur hoffen, dass das stimmte. Warm lagen seine Finger um meine.
Justus nickte und der Ernst wich seiner üblichen Gelassenheit. Er richtete den Rücken wieder auf, trat aus der Gasse auf den Platz hinaus und hielt mich dicht bei sich.
Die Menschen traten instinktiv zur Seite, als er durch die Menge schritt. Feuerleute hatten diese Wirkung, flößten anderen Respekt ein, auch wenn es ihnen vielleicht nicht bewusst war.
Mei und Marc kamen hinter uns her. Sie scherzten immer noch über heimliche Verehrer und wie vielen armen Bauernsöhnen ich wohl schon das Herz gebrochen hatte.
Als ich ein kleines Butterfass bei einem Stand am Rande des Platzes bezahlte und Marc es von der gebückten Marktfrau entgegennahm, bemerkte ich plötzlich, dass der Wind seit einiger Zeit verdächtig still war.
Stumm rief ich ihn und erwartete, dass er an meinen Haaren ziehen oder mir über die Wange streichen würde. Doch nichts geschah.
Ich rief ihn noch einmal und sah mich um, ob ich etwas entdecken konnte, was ihn aufhielt. Ein loses Tuch, das er bewegen wollte, oder ein Stück Wolle, das er über den Boden jagte. Aber ich fand nichts dergleichen.
Meine Füße fühlten sich an wie am Boden festgenäht.
Den Wind nicht mehr zu spüren, setzte ein zweites Mal an diesem Tag Panik in mir frei, die mir eiskalt im Nacken saß und mir den Brustkorb enger schnürte. Etwas stimmte nicht.
Justus blickte zu mir, sah mir meine Unruhe wohl sofort an. Matt seufzte ich in mich hinein, denn ich machte ihm heute nur Ärger. Er verstärkte den Druck um meine Hand und öffnete gerade den Mund, um etwas zu sagen, als ein lautes Rauschen erklang.
Der Wind schwoll plötzlich an und fegte heftig über den Platz. Und da spürte ich ihn wieder, die Verbindung zwischen uns und die Leichtigkeit kehrte zu mir zurück, als mir die Haare aus dem Gesicht geweht wurden.
Männer hielten ihre Hüte fest oder rannten ihnen hinterher, Frauen versuchten ihre Röcke zu halten und kreischten, als der Wind sie hochwirbelte. Eine Schar Mädchen stützte ihren Milchstand und Marc konnte sich das Lachen nicht verkneifen, als eine Böe einem davon die Unterwäsche entblößte.
Der Wind ebbte so schnell ab, wie er sich aufgebäumt hatte, und sammelte sich als laues Lüftchen in meinen Haaren. Er wirkte seltsam erschöpft.
Ich fuhr mit den Fingern hindurch und streifte ihn dabei beruhigend. Was ist los?, fragte ich, bekam aber keine Antwort. Nur noch mehr Erschöpfung.
Und dann begann er leise zu singen.
»Was war das denn?«, zischte Justus und zog mich unauffällig vom Butterstand weg.
»Keine Ahnung. Ich war das nicht«, entgegnete ich verwirrt.
Der Wind summte weiter, wurde lauter und dann erklang die Melodie auch neben mir. Überrascht drehte ich mich um und brauchte nur einen Augenblick, bis ich die Quelle fand. Das Lied kam durch das offene Fenster eines kleinen Ladens zu mir herübergeweht.
Ich hielt die Luft an, als mich Emotionen übergossen wie ein Eimer kaltes Wasser. Die Melodie weckte etwas in mir. Bilder, Gerüche, verschüttete Erinnerungen. Eine Frau in einem langen grünen Kleid, der Duft von Vanille, eine goldene Kette, Salz in der Luft, blaue Muscheln und die starken Arme eines Vaters, der mich auf seine Schultern hob.
Ich blinzelte. Diese Melodie kam mir so bekannt vor.
»Hörst du das?«, fragte ich Justus und drückte ihm, ohne nachzudenken, den Beutel mit den Münzen in die Hand.
»Cate?« Er sah mich verständnislos an, als ich seine Hand losließ und mich umwandte.
»Dieses Lied. Ich kenne es. Kannst du es hören?«, wollte ich erneut wissen, wartete aber nicht auf eine Antwort.
Die vertrauten Klänge zogen mich an. Ich ging ihnen entgegen, achtete nicht auf die Menschen, an denen ich mich vorbeischob, und betrat den winzigen Geschäftsraum ohne Tür.
Der Wind kam unter meinen Haaren hervor, streifte sanft durch das halbdunkle Zimmer, das vollgestopft war mit Ramsch und Glitzerzeug. In gleichmäßigen Bahnen begann er um einen Gegenstand zu kreisen, der vor einem der hinteren Fenster hing.
Bedächtig ging ich darauf zu und betrachtete ihn. Es handelte sich um einen hölzernen Ring, an dem silberne Röhren unterschiedlicher Dicke baumelten. Immer wieder ließ der Wind sie gegen eine Kette blauer Muscheln stoßen, sodass die verschiedenen Töne zum Lied beitrugen, das der Wind weiter vor sich hin summte. Wie in Trance drehte er seine Runden um das klimpernde Gebilde.
Ich streckte die Hand aus und berührte eine der blauen Muscheln. Es waren die gleichen, die ich gerade in meinen verschütteten Erinnerungen gesehen hatte. Sie schimmerten im Licht der Vormittagssonne, das durch die Fenster fiel, und erinnerten an das Meer und an Wellen und …
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