Minarett. Leila Aboulela
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Название: Minarett

Автор: Leila Aboulela

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Lenos Babel

isbn: 9783857879845

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СКАЧАТЬ an. »Aber das stimmt nicht. Wir müssen das System verändern. Es liegt immer an den Studenten und den Arbeitern, den Wandel zu bringen.«

      Ich erzählte ihm, was ich im Time über die Iranische Revolution gelesen hatte. Es schien ihn zu belustigen, dass ich Time las. Vielleicht weil es auf Englisch geschrieben und mein Englisch sehr gut war, da ich eine Privatschule besucht hatte. Oder weil es eine amerikanische Zeitschrift war.

      Ich wollte wissen, was er von der Revolution hielt. Er dozierte eine Weile darüber und begrüsste den Sturz des Schahs, war aber gegen einen islamischen Staat. Er sagte dasselbe wie Randa – »Wir müssen vorwärtsgehen und nicht zurück« – und sprach verächtlich von den schwarzen Tschadors.

      »Dann hast du also ein sehr fortschrittliches Bild von der Rolle der Frau?« Ich lächelte erfreut über die Wendung, die das Gespräch nahm, denn jetzt konnte ich flirten und mir einmal mehr beweisen, dass ich ihm trotz meiner Herkunft gefiel.

      Anwar schrieb für eine der Studentenzeitungen, die der Front. Die handschriftlichen Ausgaben wurden allwöchentlich ans Anschlagbrett der Cafeteria geheftet. Es gab jedes Mal einen Auflauf, die Studenten drängten sich davor und stellten sich auf die Zehenspitzen, um die obersten Seiten zu lesen, und hockten sich auf die Fersen für die unteren. Nach ein, zwei Tagen, wenn der Andrang nachgelassen hatte, riskierte ich auch einen Blick. Die meisten Artikel langweilten mich, aber seine las ich immer und versuchte ernsthaft, sie zu würdigen. Meist jedoch lenkten mich die Farben der Buchstaben und die Schönheit der Handschrift von der Bedeutung der Worte ab. Die Titel prangten in grossen, fliessenden Lettern und wirkten dreidimensional in ihrem kühnen Rot mit schwarzer Schattierung. Es gab auch einige Illustrationen: ein Blatt an einem Artikelende oder eine fliegende Taube. Auch Karikaturen, Glossen und ein zynischer Witz fehlten nicht. Innerhalb der Mauern der Universität herrschte Redefreiheit. Die Mauern der Universität waren heilig, und selbst die Polizei durfte nicht hinein. Aber alle wussten, dass es Spione gab. Stolz erzählte mir Anwar, dass die Geheimpolizei eine Akte über ihn hatte.

      Wie er meinen Namen sagte. Wie er »Du lässt mich nicht kalt« sagte. Manchmal beleidigte er mich und nannte mich dumm, und manchmal brachte er mich zum Lachen.

      Ich erzählte Mama von ihm. Sie sagte: »Setz deinen Ruf nicht aufs Spiel, und verschwende deine Zeit nicht mit einem, der nie ein passender Ehemann für dich sein wird.« Sie sah, dass ich nicht überzeugt war, und ihr Ton wurde schärfer: »Dein Vater würde nie einwilligen. Und mit deinem gewohnten Leben wäre es vorbei: keine Bediensteten und keine Reisen mehr. Glaub mir, du würdest dich schlecht fühlen vor deinen Freunden und der Familie. Es wäre eine solche Demütigung für dich und für uns.«

      »Okay«, sagte ich allzu laut, »okay.«

      Ihre Stimme wurde begütigend und wollte erklären. »Ich hab dich doch so erzogen, dass du in der Gesellschaft etwas gelten und einen gewissen Lebensstandard halten kannst.«

      Ich stapfte hinaus und erhaschte den Blick echter Sorge in ihren Augen. Sie hatte Angst, ich könnte ungehorsam sein und etwas Überstürztes tun. Aber der Rhythmus des Studentenlebens lullte mich ein: Ich ging Tag für Tag an die Uni, und manchmal sah ich ihn und manchmal nicht. Ich wusste nicht, ob ich in seinen Zukunftsplänen vorkam; er liess sich nichts anmerken. Und meine Träume waren von Popsongs und amerikanischen Filmen geprägt. Bis ich mir kopfschüttelnd klarmachte, dass er ja genau diese Dinge verachtete.

      Sein Englisch war gut, was Wortschatz und Grammatik betraf, aber er sprach es zugegebenermassen mit starkem Akzent. Seine Kleider waren sauber und hatten gefällige Farben – aber sie waren altmodisch, und statt Socken und Turnschuhen trug er Sandalen. Er war nicht an einer Privatschule gewesen und hatte keine Privatlehrer gehabt; er war einfach intelligent, er las und besuchte Vorträge und Debatten. Sein Vater arbeitete als technischer Leiter bei der Eisenbahn. Er hatte zwei Onkel, einer war studierter Architekt und wegen Mitgliedschaft bei der Kommunistischen Partei im Gefängnis gewesen. Er hatte fünf Geschwister: Die älteste Schwester war Polizistin, verheiratet und hatte ein Kind. Ein Bruder studierte in Moskau und einer an der Aussenstelle der Universität Kairo in Khartum. Dann kam Anwar, und zwei jüngere Schwestern besuchten noch die Grundschule. Eine der jüngeren Schwestern war krank, aber davon sprach er ungern. Seine Mutter war ausgebildete Krankenschwester, aber sie arbeitete nicht mehr. Er hatte eine Tante, die das grosse Los gezogen hatte und mit ihrem Mann nach Saudi-Arabien gegangen war. Er wohnte im Studentenheim und ging nur selten nach Hause, obwohl sein Elternhaus gleich hinter der Brücke in Sâfia lag. Er rauchte täglich, trank aber nur gelegentlich. Er rauchte bloss Zigaretten und betete nicht. Im Ramadan fastete er nie, er sah nicht ein, weshalb. Im Ausland war er noch nie gewesen, aber er hatte das Land bereist, war in Port Sudan und in den Nuba-Bergen, in al-Ubajjid und sogar in Dschuba ganz im Süden gewesen. Ich war noch nie aus Khartum herausgekommen.

      »Warum reist du nach Europa und willst dir nicht lieber dein eigenes Land ansehen? Unser Land ist doch so schön«, sagte er, entfachte ein Streichholz und zündete sich eine Zigarette an. Wenn uns niemand sah, abends, wenn die Universität schwach beleuchtet war, hielten wir Händchen oder sassen so nahe beisammen, dass unsere Arme sich berührten.

      Der Redner stand auf einer umgedrehten Plastikkiste unter einem Baum. Ein sanfter Wind blies, und die Sonne schien mild, aber ich hielt trotzdem mein Schreibheft über den Kopf und kniff die Augen zusammen. Um mich herum war ein Gedränge. Mädchen im weissen Tob waren da und auch einige wie ich, mit dem Notizheft über dem Kopf. Ein paar Jungs sassen im Gras und andere auf dem Sims, der die Wege vom Garten trennte. In der Ferne wirbelte ein Rasensprenger und warf Wasserfontänen über die Blumenbeete und das Gras. Heute funktionierte das Mikrofon, und das machte den Unterschied. Es zog mehr Menschen an, und das Echo von Anwars Stimme drang in die Cafeteria und bis in die Bibliothek.

      Er sprach unaufgeregt zuerst, beinahe kühl, und dann mit kontrollierter Leidenschaft. Er hielt sich zurück und wartete die Herausforderungen und Provokationen ab, die mit den Fragen kommen würden. Erst dann lieferte er seine besten Formulierungen, die schärfsten Argumente, den Sarkasmus und die Pointe, nach der er grinsend die Brauen hochzog, wie um zu sagen: Ich schliesse mein Plädoyer ab. Ein Witz, der den Gegner vorführte, ein guter Witz, über den die im Gras glucksten und die in den hinteren Reihen lächelten. Ich war stolz auf ihn, und ihm zuzuschauen und zuzuhören war eine Wonne – wie ein Eis, als ich ein Kind war, ein Schokoladeneisbecher mit Sahne, der nie alle werden sollte. Aber dann verletzte er mich, und ich hätte darauf gefasst sein müssen. Ich hätte ihn kommen sehen sollen, den unvermeidlichen Seitenhieb auf die Bourgeoisie. Das war sein Lieblingswort. Aber diesmal war es noch schlimmer, er nahm kein Blatt vor den Mund und sprach den Namen meines Vaters aus – meinen Familiennamen, so vertraut und so nahe –, und es war wie ein Schlag in den Magen, in die Magengrube. Es verschlug mir den Atem, und mir wurde eiskalt, nur die Wangen brannten. Im Dröhnen in meinen Ohren – dem Gelächter ringsum – ging der Rest seines Satzes unter. Er sah mich kein einziges Mal an. Ich war unsichtbar, doch beim direkten Angriff auf meinen Vater fiel mein Name. Mein Name fiel, und alle lachten. Ich gehörte der Oberschicht an, ja, mütterlicherseits, mit einer langen Geschichte von Ländereien, Unterstützung der Briten, Hotels in der Hauptstadt und Bankkonten im Ausland. Und als ob dies nicht schon schlimm genug wäre, wurde mein Vater der Korruption bezichtigt.

      Ich drängelte mich aus der Menge, taub und blind für etwaige Blicke. Ich wusste, dass ich nicht weinen durfte und auf dem Weg zu meinem Auto Haltung bewahren musste. Ich liess mich auf dem heissen, klebrigen Plastiksitz nieder. Ich löste die Handbremse und steckte den Schlüssel ins Zündschloss. Als ich wegfahren wollte, klopfte es ans Fenster. Omar. Ein lächelnder, gutgelaunter Omar. Nicht der Omar der zwielichtigen Partys und dubiosen Gerüche, sondern ein strahlender Omar in weissem T-Shirt und Jeans. Ich kurbelte die Scheibe herunter.

      »Was ist los, Nana?«

      Wie konnte er es wissen? Vor langer Zeit hatten wir zusammen in Mutters Bauch geschlafen, einander zugewandt, strampelnd und zuckend. Ich würde gern wieder dorthin СКАЧАТЬ