Название: Minarett
Автор: Leila Aboulela
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Lenos Babel
isbn: 9783857879845
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Ich musste nicht lange warten. Einer von Omars Freunden forderte mich auf, und wir entfernten uns von Randa zur Mitte der Tanzfläche. Weisser Rauch stieg aus dem Boden auf wie in Saturday Night Fever. Ich wirbelte herum, dass meine Ohrringe schaukelten, und die Arme der anderen Tänzer streiften die meinen.
Leider kamen nach Boney M. die Bee Gees mit How Deep Is Your Love an die Reihe, und das Volk auf der Tanzfläche schrumpfte auf höchstens fünf Paare zusammen. Erhitzt vom Tanzen, kaufte ich mir eine Pepsi und lief grüssend an den Tischchen vorbei, bis ich Randa in Gesellschaft von Omar und dem ewig ernsten Amîr fand. Seine Brille blitzte im Dunkeln und verbarg seine Augen; Randa lächelte hoffnungsvoll.
»Und wie geht’s an der Uni?«, fragte sie ihn.
»Ganz gut«, sagte er einsilbig.
»Wann kriegt ihr dieses T-förmige Lineal?«, fragte ich. Die Architekturstudenten fielen auf dem Campus nämlich immer auf, wenn sie mit ihrem Lineal rumspazierten.
»Nächstes Jahr.« Sein Langweilertum war ansteckend. Ich gab auf, lehnte mich in meinem Stuhl zurück, goss Pepsi in mein Glas und schaute den Tänzern zu. Einige Paare tanzten engumschlungen, andere linkisch auf Armeslänge Abstand. Sundari und ihr Marine tanzten dicht an dicht – seine Hände umschlossen ihre schmale Taille, und ihre lange Mähne berührte sie. Sie hob den Kopf von seinen Schultern, warf ihn in den Nacken und flüsterte ihrem Freund etwas zu. Er lächelte. Ich stellte mir vor, ich würde mit Anwar so tanzen, und ermahnte mich gleich, nicht so dumm zu sein, denn für genau so was hatte er doch bloss Verachtung übrig: westliche Musik und westliche Sitten. Ich hatte Randa nicht von ihm erzählt. Sie würde es nicht begreifen. Zwar würde sie ihn auch attraktiv finden, aber er war keiner von uns, nicht wie wir … Und Mitglied der Demokratischen Front; sie wüsste nicht einmal, was die Front war.
Omar bot Amîr eine Zigarette an. Ein Windstoss kam plötzlich auf und blähte das Tischtuch. Bald kam der Winter, und wir würden Strickjacken tragen, und es wäre zu kalt zum Schwimmen.
»Nächsten Monat gehe ich weg«, stiess Randa plötzlich hervor.
»Was!«, riefen Omar und ich gleichzeitig. »Wohin gehst du?« Omar und ich bedrängten sie mit Fragen.
Amîr zuckte nicht mit der Wimper und sagte kein Wort. Sie antwortete uns und liess ihn dabei nicht aus den Augen, um seine Reaktion zu beobachten und ihn zu prüfen.
»Ich gehe nach England, um dort Abitur zu machen.«
»Aber wolltest du nicht die mittlere Reife noch mal versuchen, um es dann vielleicht doch an die Uni Khartum zu schaffen?«
»Meine Eltern wollen, dass ich gehe.«
»Wie bei meinem Cousin Samîr«, sagte Omar. »Er hat es nicht geschafft und darf ins Ausland. Und wir sitzen hier fest.« Er sah Amîr an, der ihm zustimmen oder wenigstens die Ironie des Schicksals würdigen sollte. Es kam keine Reaktion.
»Oh, Randa, ich bin völlig durcheinander.« In den ganzen höheren Klassen hatte ich gehofft, wir würden zusammen an die Uni gehen. Und als ihre Noten nicht gut genug waren, hatte ich gehofft, sie würde es noch mal versuchen und ein Jahr später nachkommen. Ich hatte geträumt, wir wären zusammen, und sie würde Anwar kennenlernen und endlich auch wissen, was die Front war.
»Ich kann ja nach dem Abitur wiederkommen.« Ein harter Ton lag in ihrer Stimme. Und auf einmal verloren der Flitter im Haar und das Lipgloss etwas von ihrem Reiz.
»Was meinst du dazu, Amîr?« Sie wandte sich erneut ihm zu, und ihre Stimme war fast schon schneidend und konzentriert.
Er zuckte die Schultern. »Warum nicht?«
»Genau, warum nicht?« Sie liess sich in ihrem Stuhl zurückfallen.
So, das war’s dann, sie war ihm egal. Es tat mir leid für sie, und dazu kam der Schock, dass sie fortgehen würde. Wollte sie jetzt mit mir zur Toilette gehen und weinen? Verzweiflung lag auf ihrem Gesicht.
»Komm, Omar, gehen wir tanzen«, sagte sie.
Es gab eine Pause, bis mein Bruder begriffen hatte, was sie sagte, und entschieden hatte, ob er seine Zigarette ausdrücken oder mitnehmen wollte. Ich starrte auf den Boden. Sie begaben sich auf die Tanzfläche und versperrten mir die Sicht auf Sundari und ihren Marine. Ich schaute ihnen nicht beim Tanzen zu und ergab mich stattdessen den süsslichen Gesängen der Bee Gees. Amîr sagte nichts, und ich trank meine Pepsi aus und biss auf den letzten Eisklümpchen herum. Ich wartete, bis die langsamen Songs zu Ende waren und Omar und Randa zurückkommen würden.
Nach der Party ging ich mit zu ihr. Omar brachte uns hin und fuhr dann zu einer anderen, diesmal privaten Party weiter – einer dubiosen Veranstaltung, an der er mich nicht dabeihaben wollte. Sie wurden zahlreicher, seine rätselhaften Eskapaden, und damit auch die Orte und die neuen Freunde, zu denen ich keinen Zugang hatte.
Randas Eltern hatten gerade Gäste zum Dinner. Um der Gesellschaft auszuweichen, gingen wir durch die Küchentür ins Haus, an den fieberhaft arbeitenden Dienstboten vorbei und über einen Fussboden, der von Frittieröl und Küchenabfällen ganz klebrig und rutschig war. Randas Zimmer im Obergeschoss war sauber, und die Klimaanlage blies sanft. Randa zog eine langärmlige Bluse über ihr rückenfreies Shirt. »Damit wir uns was zu essen holen können«, sagte sie. Ich zupfte meine Bluse aus meiner Hose, und obwohl der untere Teil ganz zerknittert war, bedeckte er wenigstens meine Hüften und machte meine Kleidung etwas schicklicher.
Randas Eltern waren ein wenig verrückt, fanden meine Eltern. Sie hatten aus England, wo sie studiert hatten und Randa geboren worden war, auch exzentrische englische Gewohnheiten mitgebracht. Sie gingen spazieren, luden zum Dinner mit Kartenspiel ein und hatten einen jungen Hund. Randas Mutter war eine der allerersten Professorinnen im Land. Darum war Randas Unvermögen, es an die Universität zu schaffen, eine herbe Enttäuschung. Und jetzt wollten sie sie nach England auf die Schule schicken – auch dies ein kühnes Unterfangen, denn nur wenige Mädchen gingen allein im Ausland studieren.
Die Erwachsenen hatten fertiggegessen und waren im Garten, wir mussten also nicht alle begrüssen und Konversation machen. Kurz bevor das Dienstmädchen im Speisezimmer abzuräumen begann, füllten wir unsere Teller mit Essen und verzogen uns wieder in Randas Zimmer. Sie hatte wohl Liebeskummer wegen Amîr und ass nicht viel. Ich jedoch putzte meinen Teller leer und ihren noch dazu.
»Hast du Sundari mit ihrem Marine gesehen?« Ich lachte. »Das wird allmählich ernst …«
»Stell dir vor, ich hab ihr Auto neulich auf dem Parkplatz vor dem Marine House gesehen.«
»Das soll wohl ein Witz sein?«
»Nein, und es war während der Siesta!«
Ich kreischte und Randa lachte. Sie wurde wieder sie selbst, und bald kicherten wir zusammen und hechelten alle aus der Disco durch (ausser Amîr, natürlich) – was sie anhatten, mit wem sie getanzt hatten und wie eng. Ich wartete, bis sie Amîr erwähnen würde, aber sie tat es nicht. Sie trug die leeren Teller in die Küche und sagte, sie werde ein Dessert mitbringen.
Allein in ihrem Zimmer, tat ich das, was Mama mir jahrelang vergeblich abzugewöhnen versucht hatte: Ich schnüffelte herum. Ich öffnete Randas Schränke und begutachtete ihre Schubladen. Ich fand ein Foto von uns beiden in der Schule in der gleichen Uniform – dunkelblaue Schürze und weisser Gürtel. Arm in Arm lächelten wir in die Kamera. Es war schön damals, СКАЧАТЬ