Minarett. Leila Aboulela
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Название: Minarett

Автор: Leila Aboulela

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Lenos Babel

isbn: 9783857879845

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СКАЧАТЬ Notizen lesen. Sie sagten mir nichts und erfüllten mich mit Leere. Ich ahnte, wie viele Stunden es brauchen würde, auswendig zu lernen, was ich nicht begriff. Als ich aufblickte, sah ich, dass Anwar al-Sir an einem Nachbartisch sass. Er war in seinem letzten Studienjahr, und man wusste, dass er Bestnoten bekam. Heute war er mit seiner Zigarette und einem Glas Tee allein. Auf dem Campus waren die meisten ungepflegt, aber er hatte immer saubere Hemden an, war glattrasiert und trug sein Haar kurz, obwohl längere Frisuren Mode waren. Omar trug sein Haar genauso wie Michael Jackson auf dem Cover seines Albums Off the Wall.

      Anwar al-Sir war Mitglied der Demokratischen Front, des studentischen Zweigs der Kommunistischen Partei. Vermutlich hasste er mich, schliesslich hatte ich ihn in einer nadwa4 voller Witz und Verachtung über die Bourgeoisie herziehen hören. Die Familien mit Ländereien, die Kapitalisten, die Aristokraten, sie seien schuld an dem Schlamassel, in dem sich unser Land befinde, sagte er. Ich unterhielt mich mit Omar darüber, aber der fand, ich nähme das zu persönlich. Omar hatte keine Zeit für Leute wie Anwar, er hatte seine eigenen Freunde. Sie tauschten untereinander Videos von Top of the Pops und wollten alle einmal nach Grossbritannien gehen. Omar fand, es sei uns unter den Engländern bessergegangen und es sei schade, dass sie nicht mehr da waren. Ich passte auf, dass er in seinen Aufsätzen in Geschichte und Wirtschaft nichts dergleichen schrieb, denn alle Lehrbücher und Dozenten waren sich einig, dass der Kolonialismus an unserem Entwicklungsrückstand schuld war.

      Es wäre kindisch gewesen, mich woandershin zu setzen. Aber ich fühlte mich unbehaglich Auge in Auge mit Anwar. Er lächelte mich an, und das verblüffte mich. Er liess mich nicht aus den Augen. Meine Bluse fühlte sich zu eng und mein Gesicht zu erhitzt an. Ich muss gestöhnt haben, denn er sagte: »Es ist heiss, was? Und du bist Klimaanlagen gewohnt.« Sein Ton war spöttisch.

      Ich lachte. Als ich antwortete, klang meine Stimme fremd in meinen Ohren, als ob sie nicht mir gehörte: »Aber ich mag es lieber heiss als kalt.«

      »Warum?« Er warf seine Zigarettenkippe weg und wischte Sand mit den Füssen darüber. Seine Bewegungen waren sanft.

      »Das ist doch natürlicher, nicht?« Zwei Tische trennten uns, und ich fragte mich, wer wohl den ersten Zug machen, aufstehen und zum Nachbartisch gehen würde.

      »Kommt drauf an«, sagte er. »Ein Russe würde vielleicht die Kälte natürlich finden.«

      »Wir sind aber keine Russen.«

      Sein Lachen war angenehm, und dann verstummte er. Sein Schweigen enttäuschte mich, und ich überlegte mir, wie ich das Gespräch wieder in Gang bringen könnte. Schnell stoppelte ich mir im Kopf ein paar Sätze zusammen: Du hast doch einen Bruder, der in Moskau studiert. Mir ist die Klimaanlage im Auto ausgestiegen. Weisst du, Doktor Baschîr wollte mich nicht mehr reinlassen. Aber ich verwarf alle als einfältig und fehl am Platz.

      Das Schweigen begann zu dröhnen, bis mein Herzklopfen das Vogelgezwitscher übertönte. Ich stand auf und verliess die Cafeteria, ohne ihn anzuschauen oder mich zu verabschieden. Es war fast zehn und Zeit für die Makroökonomie.

      Der Dozent liess die Präsenzliste zirkulieren. Ich trug mich ein, nahm einen anderen Stift und schrieb in steileren Buchstaben Omars Namen auf das Blatt.

      Als die Makro-Vorlesung um war, wartete Omar vor dem Saal auf mich.

      »Gib mir den Autoschlüssel.«

      »Hier. Und vergiss nicht, dass wir um zwölf Geschichte haben. Bitte lass dich da blicken.«

      Er runzelte bloss die Stirn und eilte davon. Ich machte mir Sorgen um ihn. Sie liessen mich nicht los. Schon als ich klein war, hatte meine Mutter zu mir gesagt: »Pass gut auf Omar auf, du bist das Mädchen, du bist die Ruhige und Vernünftige. Pass auf Omar auf.« Und Jahr um Jahr nahm ich meinen Bruder in Schutz. Ich spürte seine Schwachheit und kümmerte mich um ihn.

      Zwei

      Ich nahm Brieftasche, Notizbuch und Federmäppchen aus meiner Strohtasche und liess sie auf der Ablage neben der Bibliothekstür. Zwei Mädchen aus meinem Kurs kamen gerade heraus, und wir lächelten einander zu. Ich wusste ihre Namen nicht mit Bestimmtheit. Sie trugen beide einen weissen Tob,5 und eine war besonders hübsch, mit ihren tiefen Grübchen und funkelnden Augen. Sie kamen aus der Provinz, und ich war ein Mädchen aus der Hauptstadt, darum waren wir keine Freundinnen. Ihretwegen machte mich meine Kleidung zum ersten Mal im Leben verlegen: meine zu kurzen Röcke und zu engen Blusen. Viele kleideten sich wie ich, ich fiel nicht auf. Trotzdem fühlte ich mich unwohl in Gesellschaft dieser Mädchen aus der Provinz. Ich nahm ihre bescheidene Anmut wahr, den Tob, der ihre schlanken Körper bedeckte – reine weisse Baumwolle über den Armen und auf ihrem Haar.

      Im Erdgeschoss der Bibliothek schnauften die Klimaanlagen, und die Fächer an der Decke surrten. Ich legte meine Sachen auf den Tisch und musterte die Regale. Etwas Russisches, um ihm näherzukommen und ihm etwas zu sagen zu haben. Marxistische Theorie, Dialektik. Nein, davon würde ich gar nichts verstehen. Schliesslich griff ich nach einem dicken Wälzer im Regal und nahm Platz, um in einer Sammlung übersetzter Gedichte zu lesen.

      Ich verstand die Zeile »Ich überlebte all mein Sehnen«6. Aber ich wusste nicht, woher dieses Verständnis kam. Ich führte ein glückliches Leben. Meine Eltern liebten mich und waren stets grosszügig. Im Sommer machten wir in Alexandria, Genf und London Urlaub. Es gab nichts, was ich nicht hatte, nicht haben konnte. Keine Träume verrosteten, und keine Wünsche wurden begraben. Und trotzdem lauerte in mir manchmal Schmerz wie von einer verheilten Wunde und Traurigkeit wie von einem vergessenen Traum.

      »Ich mag russische Schriftsteller«, gestand ich Anwar beim nächsten Mal, denn es gab ein nächstes Mal, eine zweite Chance, die nicht so zufällig wie die erste war. Wir gingen zusammen an der Post und an der Universitätsbuchhandlung vorüber.

      »Wen denn?«

      »Puschkin«, sagte ich, aber meine Antwort beeindruckte ihn nicht.

      »So«, sagte er, »hilfst du mir ein paar Flugblätter verteilen?«

      »Ich kann nicht. Ich habe meinem Vater versprochen, ich würde mich nicht in Studentenpolitik einmischen.«

      Er zuckte die Achseln und hob die Brauen, wie um zu bemerken: Wer sagt’s denn?

      »Was sind denn deine eigenen politischen Ansichten?«, fragte er.

      »Ich weiss nicht. Ich hab keine.«

      »Was soll das heissen, du weisst es nicht?«

      »Jeder scheint jedem die Schuld zu geben.«

      »Gut, aber jemand muss die Schuld auf sich nehmen für das, was geschieht.«

      »Und warum?«

      »Damit diese Leute den Preis zahlen können.«

      Diese Bemerkung gefiel mir nicht: den Preis bezahlen.

      »Dein Vater steht dem Präsidenten nahe?«

      »Ja, sie sind befreundet.«

      »Bist du ihm schon mal begegnet?«

      »Natürlich. Und er ruft meinen Vater zu Hause an, und ich gehe ans Telefon.«

      »Einfach so«, sagte er lächelnd.

      »Ja, ganz normal. Einmal vor СКАЧАТЬ