Nochmal Schwan gehabt. Christoph Wagner-Trenkwitz
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Название: Nochmal Schwan gehabt

Автор: Christoph Wagner-Trenkwitz

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

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isbn: 9783902998996

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СКАЧАТЬ am Burgtheater Hauptrollen wie den Mephisto gegeben, aber er war sich nicht zu gut, bei der Uraufführung von Schnitzlers Liebelei den Fremden Herrn zu spielen, mit nur einer Szene. Es war ein riesiger Triumph für ihn.«

      Die Geschichte vom »großen Mitterwurzer« beeindruckte Balser, und als er 1928 ans Wiener Burgtheater engagiert wurde, beschloss er, der Geschichte auf den Grund zu gehen. Was hat die überragende Wirkung der Szene damals, 1895, ausgemacht?

      Balser fand einen Zeitzeugen: »Ja, der Mitterwurzer, ein ganz Großer! Wie er da herausgekommen ist als Fremder Herr, in seinem schwarzen Paletot, wie eine Statue …«

      Und noch einen Zeitzeugen: »Mitterwurzer – überwältigend. Und das Kostüm so irritierend – ein weißes Tennisdress.«

      Und noch einen: »Natürlich erinnere ich mich an den Mitterwurzer in Liebelei. Mich hat am meisten beeindruckt, dass er in Straßenkleidern aufgetreten ist …«

      Balser beschloss, in der Kostümabteilung des Burgtheaters eine Klärung des Mysteriums herbeizuführen. Der große Mitterwurzer konnte doch nicht gut gleichzeitig im schwarzen Paletot, im weißen Tennisdress und in Straßenkleidern aufgetreten sein!

      Ein bejahrter Garderober wurde gefunden, der zu Ende des vergangenen Jahrhunderts schon Dienst getan hatte.

      Balser stellte die Schicksalsfrage: »Was trug der große Mitterwurzer für ein Kostüm in Liebelei?«

      »Ja wissen S’, der Mitterwurzer hat g’sagt: ›Für die Scheißroll’n wer’ i’ mer ka Kostüm anziehen – da kumm i’, wie i’ bin!‹«

      PS: Ob der wienerische Begriff »Wurzen« (für »kleine Rolle«) mit dem großen Mitterwurzer zusammenhängt, vermag ich nicht festzustellen.

      Begegnungen mit den Genies

      So viele Musiktheaterwerke auch gespielt werden, allzu selten hat man die Möglichkeit, ihren Schöpfern zu begegnen. Das liegt daran, dass die meisten bereits die Friedhöfe bevölkern. Umso glücklicher machte es mich, als ich im Jahr 2013 gleich zwei Komponisten-Genies begegnen und mit ihnen arbeiten durfte: Friedrich Cerha und Stephen Sondheim.

      Cerha ist der Schöpfer der Musikalischen Farce Onkel Präsident, die im Juni 2013 in München uraufgeführt und im Oktober 2014 an die Volksoper übernommen wurde.

      Beide Male hatte ich Professor Cerha bei Einführungsveranstaltungen zu Gast, die er mit seiner Weisheit und seinem feinen Humor adelte.

      Auf die Frage, ob er denn vor einer Uraufführung immer noch Nervosität verspüre, meinte er: »Ich habe schon eine gewisse Routine in Nervosität.«

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      Hausbesuch bei Friedrich Cerha

      Als ein Herr aus dem Publikum wissen wollte, was in Cerhas neuer Oper denn der absurde Humor für eine Rolle spiele, antwortete der betagte Tonsetzer bedächtig-verschmitzt: »Das Absurde … das ist schon die Oper.«

      Und auf die Frage, ob er schon ein neues Opernprojekt hätte, meinte Friedrich Cerha verschwörerisch – sodass man es einige Sekunden für wahr halten konnte –, auf seinem Schreibtisch befänden sich Skizzen zu einem monumentalen Nachfolgewerk der einaktigen Farce Onkel Präsident: »Ich arbeite am Ring des Präsidenten.«

      Im September 2013 gab die Volksoper Wien erstmals Stephen Sondheims Musical-Thriller Sweeney Todd. Der Weg zu dieser Entscheidung war ein verschlungener gewesen. Direktor Robert Meyer hatte zu mir gemeint, wenn wir einen Klassedirigenten wie Joseph R. Olefirowicz für die Saisoneröffnung 2013/14 zur Verfügung hätten, müssten wir auch ein anspruchsvolles Werk spielen – warum nicht Sweeney Todd?

      Da Meyer das Werk nicht näher kannte, borgte ich ihm erst einmal die Verfilmung von Tim Burton, mit Johnny Depp in der Hauptrolle – ein im wahrsten Sinne des Wortes »bestechend« gut gemachter Spielfilm, in dem die Hälfte der Musik fehlt, aber jeder Gurgelschnitt, den der »Teufelsbarbier aus der Fleet Street« ausführt, in genussvoller Großaufnahme gezeigt wird.

      Roberts erste Reaktion nach Ansehen des Filmes war: »Nur über meine Leiche!« Ich meinte, das ließe sich einrichten: Meyer solle einfach den Richter Turpin, Sweeneys Todfeind verkörpern und sich im Barbierstuhl hinrichten lassen!

      Der gemeinsame Besuch einer ausgezeichneten Aufführung des Sondheim-Musicals am Londoner West End besiegelte schließlich die mutige Entscheidung dafür.

      Gerne und mit Stolz erwähne ich, dass der Mut der Volksoper belohnt wurde und Sweeney Todd im Frühjahr 2015 den Österreichischen Musiktheaterpreis für die »Beste Produktion« gewann!

      Ich darf IHN Steve nennen

      Aber kehren wir zurück in die Vorbereitungszeit. Der Musikverlag ließ mich wissen, dass der Komponist – eine offizielle Einladung der Volksoper vorausgesetzt – gerne nach Wien kommen würde.

      Ich lud ein … und hörte einige Zeit nichts.

      Plötzlich ein Mail, in dem sich Stephen Sondheim für sein langes Schweigen entschuldigte.

      Dear Mr. Wagner-Trenkwitz – My apologies for not having replied to you sooner, but I’m still trying to settle my schedule for the rest of the year.

      Nur Musical-Aficionados können begreifen, was es bedeutet, ein Mail von Stephen Sondheim zu bekommen. Gläubigen Katholiken mag es ebenso gehen, wenn sie in ihrer Mailbox eine Nachricht von einem gewissen Franziskus vorfinden.

      Bald tauschten wir Mails über Flugdaten, eventuelle Allergien (relevant für die Verpflegung an Bord, aber: »No restrictions – thanks for asking«) und Unterbringung, sodass ich mich schon richtig vertraut fühlte mit dem Meister.

      Als bekannt wurde, dass Mr. Sondheim soeben die Edward-MacDowell-Medaille erhalten hatte, schrieb ich beherzt, ich hätte noch nie davon gehört, aber wenn es so etwas wie die Andie-MacDowell-Medaille gäbe, würde ich sie gerne bekommen.

      Eine einwöchige Mail-Abstinenz des Meisters empfand ich als Bestrafung für mein Scherzchen. Mittlerweile hatte ich nachgeforscht, dass Persönlichkeiten wie Thornton Wilder, John Updike, Edgar Varèse und Leonard Bernstein die MacDowell Medal erhalten hatten.

      Ich entschuldigte mich und gestand, in der Nacht davor Einschlafschwierigkeiten gehabt zu haben angesichts der Frage, wie ich den Komponisten auf dem Flughafen begrüßen sollte. Und dass ich mich für »Welcome, Mr. Sondheim« entschieden hätte.

      Bald erlöste mich ein Mail aus New York: »… please don’t feel nervous. I’m very easy to meet and get along with, and I look forward eagerly to both the production and Vienna.« Und: Mein »Andie MacDowell remark« wäre »funny« gewesen. Und vor allem: Er unterzeichnete mit »Steve S« – somit durfte ich mich also fast als Du-Freund einer der größten Musical-Legenden des 20. Jahrhunderts fühlen!

      Sondheim kam, offenbar frei von allem Aberglauben, am 11. September in Wien an. Eingedenk einer unangenehmen Episode mit der aus New York anreisenden Anna Moffo (ihr Flug war eine halbe Stunde zu früh angekommen, und als ich pünktlich erschien, fand ich nur eine Nachricht beim Information Desk vor, die Diva sei bereits auf eigene Faust mit dem Taxi nach Wien gefahren), war ich über-überpünktlich auf dem Flughafen. Eine Sonderlegitimation erlaubte es mir, direkt zum Flugzeugausstieg vorzudringen.

      Mister Genie war verschlafen, sein grauer Bart zerstrubbelt, er trug ein СКАЧАТЬ