Ich bin die, vor der mich meine Mutter gewarnt hat. Demian Lienhard
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Название: Ich bin die, vor der mich meine Mutter gewarnt hat

Автор: Demian Lienhard

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Debütromane in der FVA

isbn: 9783627022709

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СКАЧАТЬ war er nicht. Auch am Dienstag nicht. Am Mittwochnachmittag habe ich es nicht mehr ausgehalten. Ich habe Hugo genommen und mich zur Bushaltestelle aufgemacht, aber vom Käfer keine Spur.

      Keine Frage, ich war traurig und ich war allein, mutterseelenallein. Um mich herum war nur noch die Luft des Krankenzimmers und dieses Desinfektionsmittel, das einem in die Nase wabert andauernd und sticht über den Augen.

      Doch dann fällt mir plötzlich auf, dass er anders ist, der Flur und die Leute, die sich bewegen auf ihm. Es ist Freitagmorgen. Normalerweise gleitet lautlos ein Bett übers Linoleum, in seinem Schlepptau der müde Pfleger. Vor der Station verstopfen die Angehörigen irgendwelcher Neulinge den Durchgang und bestürmen die Schwestern, dass die mit der Bullerei drohen müssen. Im Wartezimmer läuft ein Radrennen der letzten Saison.

      Aber an diesem Tag hatte sich etwas verändert. Natürlich war da noch der Pfleger, der das Bett über den Flur schob, aber auf seinen Lippen zuckte ein Lächeln und um die Winkel seiner Augen. Und die dicken Winterjacken und Mäntel zeichneten sanftere Silhouetten auf die Schultern der Angehörigen, die sich brav auf den Plastiksitzen hielten heute.

      Mir war sofort klar: Heute würde es passieren.

      Jack tauchte gegen halb zehn auf, obwohl ich ihn nicht vor halb vier erwartet hatte. Der Alte mit der Prostata wurde gerade operiert, also setzte sich Jack aufs Bett gegenüber. Jack – man kann gar nicht so recht sagen, wie er ausgesehen hat an diesem Tag. Die Haare ducken sich zu einem bierfarbenen Scheitel und über seiner Nase balanciert eine viel zu große Hornbrille mit Fensterglas. Der Rest von ihm steckt in einem schwarzen Anzug, der so eng ist und so kurz, dass man den Eindruck nicht los wird, dass es der Anzug ist, der Jack trägt und nicht umgekehrt.

      Zufrieden stellt er fest, dass Hugo nicht mehr im Zimmer ist.

      – Manchmal vermisse ich ihn, sage ich.

      Das hätte ich lieber nicht getan. Jacks Blick verfinstert sich. Er sagt nichts.

      Die Eifersucht.

      Natürlich.

      Aber er tut ja auch nichts dagegen, um nicht als Idiot dazustehen. Als er nämlich den Champagner aus dem Rucksack holt, blitzt da wieder der Seidenschal hervor. Und er schenkt ihn mir auch dieses Mal nicht.

      – Was tust du hier?, frage ich.

      Jack zögert. Er bringt seine Kiefer nicht auseinander. Ist irgendwie von der Rolle heute. Irgendwann sagt er doch etwas:

      – Meine Schwester …

      Ja, seine Schwester. Wo kommt denn die auf einmal her? Hat er mir nie erzählt von. Aber ich kapiere: Jetzt ist nicht der Moment, um dumme Fragen zu stellen.

      – Sie ist …, stammelt Jack, aber weiter kommt er nicht. Er schmiert irgendeinen Haken in die Luft, der entfernt an ein Kreuz erinnert. Ich begreife sofort. Bin ja nicht auf den Kopf gefallen.

      Jack langt nach der Flasche auf der Ablage und nimmt einen großen Schluck. Verdutzt schaue ich auf die leeren Gläser und begreife: Es ist keine Zeit mehr für Umwege. Ich ziehe an seiner Hand, die ich die ganze Zeit gehalten habe, und lasse nicht nach. Da kapiert es auch Jack. Wir biegen und strecken und krümmen uns im Bett wie die beiden Enden eines zerteilten Regenwurms.

      Die Küsse, die Berührungen, alles spüre ich einzeln, nacheinander und unendlich langsam. Und ich sehe das Neonlicht des Krankenwagens vor mir, wo mein Leben hinter den Augenlidern hellrot vorbeieilte, während der Tod auf mich wartete, und jetzt weiß ich, dass es nur richtig ist, dass in dem Moment, in dem ich endlich zu leben anfange, jede Empfindung einzeln und unendlich langsam auf mich kommt.

      Zwei

      Und dann fing das mit dem Rauchen an. Und das mit Eulalia.

      Ich fing es an.

      – Und du, Alba?, fragt sie.

      – Ich?

      Eulalia nickt. Und während ihr der Rauch langsam und blau aus dem Mund sprudelt, schneidet sie eine Grimasse, als wäre ich es, die gerade raucht und ihr den Qualm ins Gesicht bläst, und sie müsste gleich kotzen deswegen. Sie schiebt ihr Kinn nach vorne, wie sie das immer tut, wenn sie etwas von dir will. Ich starre auf den Glimmstengel zwischen meinen Fingern, die vor Kälte zittern, schaue am Filter auf das Braun der Verästelungen, die sich durch das Dunkelrot von Eulalias Lippenstift ziehen, folge dem dünnen Faden, der sich über unseren Köpfen in bläulichen Schwaden verliert, und spüre, wie sich die Härchen auf den Armen im Pulli verkrallen und die Haut sich aufstellt um sie.

      – Na, was ist?

      Ich weiß nicht. Ich schaue Hugo an, aber der ist mir irgendwie auch keine Hilfe.

      – Nimm ruhig n Zug von meiner, das ekelt mich nicht. Oder willst du dir eine eigene anzünden?

      Ich zögere. Ich schüttle den Kopf. Ich starre noch immer auf dieses dunkelrote Ende der Zigarette.

      – Also?

      Ich fühle einen Blick auf meinen Schultern. Es ist Hugo. Ein Windstoß lässt mich zittern vor Kälte.

      Hugo schüttelt den Kopf. Das will heißen: Nein.

      Und dann denke ich an Viktor, an die Schule und an Marcel, ich denke an die Chemieprüfung und den Abend ohne Softeis, und weil ich mir endlich einen Neuanfang wünsche, jetzt in diesem Moment, führe ich den Filter an meine Lippen und ziehe.

      Natürlich war ich nicht mutterseelenallein, als ich im Krankenhaus lag.

      Habe ich das gesagt?

      Ja, das habe ich.

      Gut. Meinetwegen.

      Aber was ich meinte damit, ist, was jeder damit meint, wenn er sagt, er sei mutterseelenallein: Er fühlt sich mutterseelenallein. Und das ist es doch, was zählt in dem Moment.

      Jedenfalls, da waren noch andere. Zum Beispiel die schlechte Schwester, die mir jeden Morgen einen anderen Finger zerstochen hat, um dann das Zeug, das sie rausgezogen hat an der Hand, doppelt und dreifach wieder hineinzuspritzen in den Oberschenkel. Natürlich nicht dasselbe. Aber so in etwa. Bisschen Blut gegen einen Haufen Verdünner. So.

      Da war außerdem die gute Schwester, Hilde, die auch mal ein Auge zudrückte, wenn man keine Lust hatte auf den Krankenhausfraß und die Hauptmahlzeit durch drei Becher Softeis ersetzte. Da war der gute Assistenzarzt, der immer nach künstlicher Minze roch und mit dem ich gerne gevögelt hätte, und da war Eulalia.

      Eulalia, das ist die andere Patientin im Krankenhaus, die gerne mit dem Assistenzarzt vögeln würde. Aber ihre Arme – sie waren gebrochen. Beim Skifahren. An einem Ort, wo sie die Cafés noch Tea Room nennen. Rutscht mit den Skischuhen aus und stürzt die Treppe hinunter, bleibt unten vor dem Herrenklo liegen. Als sie wieder zu sich kommt, haben es sich ihre Unterarme auf der Treppe bequem gemacht. Schmiegen sich an die unterste Stufe wie ein Winkeleisen und stellen sich schlafend. Sie schaut hin, schaut weg und dann wieder hin: Und schon knallt ihr Kopf zum zweiten Mal auf die braunen Fliesen. Woher ich das weiß? In Tea Rooms sind die Fliesen immer braun.

      Noch dazu holt sie sich eine Gehirnerschütterung. Als ihr Kopf zum zweiten Mal auf die Fliesen prallt oder auf der Treppe schon, das weiß ich nicht und Eulalia schon gar nicht. Eulalia, muss man wissen, СКАЧАТЬ