Название: Faszination Jesus
Автор: Roland Werner
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 9783765574993
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Wie entfernt diese Vorstellungen vom wirklichen Jesus sind, liegt auf der Hand. Jesus wird in diesen gnostischen Systemen nur als Chiffre genommen. Er ist letztlich in seiner Person unwichtig und fungiert stattdessen nur noch als Mittler eines Wissens, mit dessen Hilfe sich der Mensch selbst befreien kann. Statt der Zuwendung zum konkreten Menschen, zu allen Menschen, die wir beim wirklichen Jesus sehen, ist er zum Führer der wenigen „Wissenden“ geworden. Statt Umkehr und Lebenserneuerung heißt seine Botschaft jetzt höhere Erkenntnis und Selbsterlösung. Statt der Verkündigung der Herrschaft Gottes in allen Bereichen des Lebens, statt der Befreiung von Krankheiten und Leiden lehrt dieser gnostische Jesus, die Welt hinter sich zu lassen und das Heil in höheren Regionen zu suchen. Anstatt eine neue Gemeinschaft zu gründen, in die jeder eingeladen ist, die Armen und die Reichen, die Kranken und die Gesunden, die Männer und die Frauen, lehrt dieser Geheimlehrer Jesus nur die wenigen, ja er lehrt sogar die Frauen, wie sie Männer werden können, damit sie die höhere Erkenntnis erlangen können.11
Auch dieses Jesusbild ist nicht identisch mit dem wirklichen Jesus, egal ob es nun in antiker oder in moderner Aufmachung erscheint.
Jesus als Nur-Prophet
Dies ist das Bild von Jesus, das wir im Koran finden. Jesus ist ein Bote Gottes wie andere Propheten: Mose, Abraham, David. Zwar wird ihm auch im Koran eine besonders hohe Stellung unter den Propheten eingeräumt, er trägt Ehrentitel, die kein anderer, nicht einmal Mohammed selbst, für sich in Anspruch nimmt: Wort Gottes, Geist von Gott und andere. Auch im Koran wird von seinen Wundern berichtet. Und dennoch ist er letztlich doch nur Prophet und nicht mehr. Die koranische Vorstellung von Jesus formt ihn nach dem Vorbild des Propheten Mohammed. Die Kreuzigung Jesu wird geleugnet, da es unvorstellbar ist, dass Gott es zulassen würde, dass sein Prophet so leidet. Denn Gott ist allmächtig und kann nicht erlauben, dass der von ihm Gesandte eine solche endgültige Schlappe erleidet.12
Aber nicht nur im Koran findet sich dieses Jesusbild. Eine ganze Reihe von nachchristlichen Religionen hat versucht, Jesus in ihr System einzubauen. Und das ist so zu erklären: Diese in den letzten 2000 Jahren entstandenen Religionen können nicht an Jesus vorbei. Es geht nicht, ihn einfach zu ignorieren. So muss er irgendwie in die neue Religion aufgenommen werden. Und das geschieht meist, indem man ihn als einen der Propheten bezeichnet, die als Vorläufer des jeweiligen Religionsgründers gekommen sind. Jesus ist auf diese Weise unschädlich gemacht, denn man kann jederzeit sagen: Wir glauben auch an Jesus. Aber eben nur als Prophet. Als einer unter anderen. Als Vorläufer. Und so hat man ihn integriert, hält sich ihn aber gleichzeitig mit seinem Anspruch vom Hals.
So attraktiv diese Lösung des Problems Jesus ist, so schwierig ist sie auch. Denn alles, was wir vom wirklichen Jesus wissen, deutet in eine andere Richtung. Er behauptete eben nicht, nur ein Prophet unter anderen zu sein, einer von denen, die halt sporadisch in der Weltgeschichte auftauchen. Die Vorstellung von Jesus als nur einem Propheten ist eine unwahrhaftige Kompromisslösung. Auf der einen Seite kann man Jesus nicht ignorieren. Auf der anderen Seite will man ihn aber auch nicht als die entscheidende Schlüsselfigur anerkennen. So macht man ihn zu einem Propheten unter anderen, zum letzten großen Vorläufer des jeweiligen Religionsstifters. Das große Problem dabei ist nur: Die Berichte der Evangelien lassen einen solchen Lösungsversuch nicht zu. Genauso wie der liberale Jesus oder der Geheimlehrer Jesus ist der Nur-Prophet Jesus eine Erfindung.
WER WAR JESUS WIRKLICH?
Diese Frage ist wichtig. Denn dass Jesus von Bedeutung ist, ist klar. Seine Faszination besteht noch heute wie damals, als er seine ersten Jünger zu sich rief. Er konnte Menschen so ansprechen, dass sie alles verließen und ihm nachfolgten. Doch es blieb nicht bei einer kurzfristigen Faszination, einer oberflächlichen Begeisterung. Seine Jünger wanderten mit ihm durch die Städte Palästinas, sie hörten ihn täglich bei seinen öffentlichen Ansprachen und in persönlichen Begegnungen. Sie sahen seine Wunder und Heilungen. Sie erlebten ihn im Alltag. Wenn jemand behaupten konnte, Jesus zu kennen, dann sie. Und dennoch waren auch sie immer wieder erstaunt über Jesus. Wer ist dieser Mann?, rätselten sie. Und spürten, wie sich in ihnen eine Antwort bildete.
Von dieser anfänglichen und danach ständig wachsenden Faszination, die von Jesus ausging, berichten die Evangelien. Wer Jesus ist, das ist die geheime Frage im Hintergrund aller Erzählungen – und darauf mussten alle eine Antwort finden. Die Freunde von Jesus so wie seine Feinde. Die Juden und die Römer. Die Gebildeten und die einfachen Leute. Die Antworten waren verschieden. Der Gouverneur Pilatus ließ auf das Kreuz schreiben, als wen er Jesus verurteilen ließ: Jesus Nazarenus Rex Iudaeorum: Jesus der Nazarener, der König der Juden. War das seine eigene Meinung oder nur grausamer Spott, dass er Jesus als König der Juden bezeichnete? Die jüdischen Führer verurteilten ihn als Gotteslästerer. So unterschiedlich die Menschen, so unterschiedlich die Antwort. Doch die Frage lässt die Menschheit nicht los. Wir müssen eine Antwort darauf finden: Wer ist dieser Jesus?
Eines Tages stellte Jesus seinen Freunden genau diese Frage: „Was glauben die Leute, wer ich, der Menschensohn, bin?“ Die Antworten, die seine Jünger ihm berichteten, waren ebenso vielfältig wie die heutigen: „Manche sehen in dir Johannes den Täufer, andere den Elia, noch andere meinen, du bist Jeremia oder einer der anderen Propheten.“13 Und dann fragte er sie direkt: „Und ihr – was denkt ihr über mich? Wer bin ich eurer Meinung nach?“ Die Antwort, die Petrus im Namen aller Jünger formulierte, war eindeutig: „Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes!“ Zu diesem Schluss waren sie im Lauf ihres Zusammenseins mit Jesus gekommen. Obwohl sie in seiner nächsten Nähe lebten, waren sie seiner nicht überdrüssig geworden. Sie konnten keine Verfehlung, keine Schuld bei ihm finden. Uneingeschränkt war das ihre Überzeugung: Jesus ist der Christus. Er kommt von Gott. Bei Jesus sind wir an der Quelle, wenn wir etwas Verlässliches von Gott wissen wollen.
Wenn das stimmt, dann sprengt Jesus den Rahmen aller von Menschen gemachten Jesusbilder. Dann sind alle Kategorien zu klein. Dann ist er wirklich in kein Schema zu pressen, weil alle Schemata versagen. Und dann ist ganz deutlich: Es kommt wirklich auf Jesus an.
Denn dann ist Jesus einzigartig.
1Joh 12,21
2Mt 26,13; vgl. Joh 12,1-8
3 Mt 24,14
4Er lebte in der 1. Hälfte des 6. Jahrhunderts in Rom und machte sich in vieler Hinsicht wissenschaftlich verdient. Unter anderem beschäftigte er sich mit chronologischen Fragen und rechnete den alten römischen sowie den damals üblichen christlichen Kalender, der bei der Verfolgung durch Diokletian ansetzte, auf den heute gebräuchlichen christlichen Kalender „von Christi Geburt an“ um. Auch dieser Kalender hat im Lauf der Zeit immer wieder Revisionen erfahren, wobei es vor allem um die Einführung von Schaltjahren und Ähnliches ging.