Название: Honoré de Balzac – Gesammelte Werke
Автор: Honore de Balzac
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962815226
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»Was für ein Verfall!« sagte sich Herr d’Albon, nachdem er den düsteren Ausdruck empfunden hatte, den die Ruinen der Landschaft verliehen, die wie mit einem Fluch geschlagen erschien. Es war wie ein von den Menschen verlassener verwünschter Ort. Der Efeu hatte überall seine gewundenen Ranken und seinen reichen Blättermantel ausgebreitet. Braunes, grünes, gelbes oder rotes Moos überzog mit seiner romantischen Färbung Bäume, Bänke, Dächer und Steine. Die wurmstichigen Fenster waren vom Regen verwaschen und vom Wetter durchlöchert, die Balkone zerbrochen, die Terrassen zerstört. Manche Jalousien hielten nur noch an einem Haken. Die nicht schließenden Türen schienen keinem Angreifer standhalten zu können. Behangen mit leuchtenden Tuffs von Misteln, breiteten sich die ungepflegten Äste der Fruchtbäume weithin aus, ohne eine Ernte zu geben. Hochgewachsenes Kraut überwucherte die Alleen. Diese Reste gaben dem Bilde den Ausdruck reizvoller Poesie und erregten in der Seele des Beschauers träumerische Gedanken. Ein Dichter wäre hier in lange währende Melancholie versunken, voller Bewunderung für diese harmonische Unordnung, für dieses reizvolle Bild der Zerstörung. In diesem Moment erglänzten einige Sonnenstrahlen mitten durch die Lücken der Wolken und beleuchteten mit tausend Farben diese halb wilde Szene. Die braunen Dachziegel erstrahlten, das Moos leuchtete, phantastische Schatten huschten über die Wiesen unter den Bäumen hin; die erstorbenen Farben lebten wieder auf, eigenartige Gegensätze machten sich geltend, das Blattwerk hob sich scharf in der Helligkeit ab. Plötzlich verschwand das Licht. Die Landschaft, die gesprochen zu haben schien, wurde stumm und wieder düster, oder vielmehr matt wie der matteste Schimmer eines Herbstnebels.
»Das ist Dornröschens Schloß,« sagte sich der Rat, der das Haus nur noch mit den Augen des Eigentümers ansah. »Wem mag es nur gehören? Man muß sehr töricht sein, wenn man einen so hübschen Besitz nicht bewohnt!«
Plötzlich sprang eine Frau unter einem rechts vom Gitter stehenden Nußbaum hervor und huschte, ohne Geräusch zu machen, so schnell wie der Schatten einer Wolke bei dem Rat vorbei; diese Erscheinung machte ihn stumm vor Staunen.
»Nun, d’Albon, was haben Sie?« fragte ihn der Oberst.
»Ich reibe mir die Augen, um zu wissen, ob ich schlafe oder wache«, antwortete der Beamte und drückte sich an das Gitter, um zu versuchen, das Phantom nochmals zu erblicken.
»Sie ist jetzt wahrscheinlich unter dem Feigenbaum«, sagte er und zeigte Philipp die Blattkrone eines Baumes, der links vom Gitter über der Mauer emporragte.
»Wer denn, sie?«
»Ja, kann ich das wissen?« entgegnete Herr d’Albon. »Eben hat sich hier vor mir eine fremdartige Frauengestalt erhoben«, sagte er leise; »sie schien mir mehr dem Reich der Schatten als der Welt der Lebenden anzugehören. Sie erscheint so schlank, so leicht, so luftartig, daß sie durchsichtig sein muß. Ihr Gesicht ist weiß wie Milch. Ihre Kleidung, ihre Augen, ihre Haare sind schwarz. Sie hat mich im Vorbeikommen angeblickt, und obgleich ich nicht furchtsam bin, hat ihr unbeweglicher kalter Blick mir das Blut in den Adern erstarren lassen.«
»Ist sie hübsch?« fragte Philipp.
»Ich weiß es nicht. Ich habe nur die Augen in ihrem Gesicht gesehen.«
»Also zum Teufel mit unserm Diner in Cassan!« rief der Oberst, »bleiben wir hier. Ich habe eine kindische Lust, in diese eigenartige Besitzung hineinzugehen. Siehst du diese rotgemalten Fenstereinfassungen und diese roten, auf das Gesims der Türen und Fensterläden gemalten Streifen? Scheint das dir nicht das Haus des Teufels zu sein? Er wird es vielleicht von den Mönchen geerbt haben. Vorwärts! Eilen wir hinter der schwarzweißen Dame her! Vorwärts!« rief Philipp mit gemachter Lustigkeit.
In diesem Augenblick hörten die beiden Jäger einen Schrei, der dem einer in der Falle gefangenen Maus ziemlich ähnlich war. Sie horchten. Das Geräusch der gestreiften Blätter einiger Büsche machte sich in dem Schweigen bemerkbar, wie das Gemurmel einer erregten Welle; aber obgleich sie angestrengt lauschten, um weitere Töne zu hören, blieb die Erde still und bewahrte das Geheimnis der Schritte der Unbekannten, wenn sie überhaupt welche gemacht hatte.
»Das ist seltsam«, rief Philipp und verfolgte die Linie, die die Mauer des Parks beschrieb.
Die beiden Freunde gelangten bald zu einer Allee des Waldes, die nach dem Dorfe Chauvry führte. Nachdem sie den Weg auf der Straße nach Paris zurückgegangen waren, befanden sie sich vor einem großen Gitter und erblickten nun die Hauptfassade der geheimnisvollen Behausung. Von dieser Seite erschien die Zerstörung auf ihrem Gipfel: ungeheure Risse durchfurchten die drei Flügel dieses rechtwinklig errichteten Bauwerks. Trümmer von Ziegeln und Schieferplatten waren auf der Erde angehäuft, und zerstörte Dächer zeigten eine vollkommene Unbekümmertheit an. Etliche Früchte waren unter den Bäumen abgefallen und verfaulten, ohne daß jemand sie aufsammelte. Eine Kuh ging quer über den Grasplatz und schnupperte in den Beeten herum, während eine Ziege die grünen Beeren und Ranken eines Weinstocks kaute.
»Hier ist alles in Übereinstimmung, und die Unordnung ist gewissermaßen organisiert«, sagte der Oberst und zog an der Schnur einer Glocke; aber die Glocke hatte keinen Klöpfel.
Die beiden Jäger hörten nur den eigenartigen scharfen Ton eines verrosteten Glockenzuges. Obgleich sehr verfallen, widerstand die kleine Tür in der Mauer doch jedem Druck.
»Ei, ei! Alles macht einen hier neugierig«, sagte er zu seinem Gefährten.
»Wenn СКАЧАТЬ