Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac
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Читать онлайн книгу Honoré de Balzac – Gesammelte Werke - Honore de Balzac страница 228

Название: Honoré de Balzac – Gesammelte Werke

Автор: Honore de Balzac

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier

isbn: 9783962815226

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СКАЧАТЬ er be­glei­te­te uns nicht. Der Dom­herr, die Kam­mer­frau und ich, wir durch­streif­ten die Wege und Ra­sen­flä­chen des Parks, wir rie­fen, wir horch­ten und wa­ren alle um so mehr in Sor­ge, als ich von dem Tode des jun­gen Vi­com­te be­rich­te­te. Wäh­rend wir lie­fen, er­zähl­te ich die nä­he­ren Um­stän­de des ver­häng­nis­vol­len Er­eig­nis­ses und be­merk­te da­bei, daß die Kam­mer­frau ganz au­ßer­or­dent­lich an ih­rer Her­rin hing; denn sie teil­te mei­ne ge­hei­me Angst viel mehr als der Dom­herr. Wir eil­ten zu den Was­ser­flä­chen, wir durch­such­ten al­les, ohne die Grä­fin zu fin­den und ohne auch nur die ge­rings­te Spur zu ent­de­cken, daß sie ir­gend­wo vor­bei­ge­kom­men war. End­lich, als wir an ei­ner Mau­er ent­lang gin­gen, hör­te ich ein dump­fes, ge­walt­sam er­stick­tes Stöh­nen, das aus ei­ner Art von Scheu­ne her­vor­zu­drin­gen schi­en. Auf alle Fäl­le trat ich hin­ein: da ent­deck­ten wir Ju­li­et­te, die, um ihre Verzweif­lung zu er­sti­cken, sich hier tief ins Heu ver­gra­ben hat­te. Ei­nem un­über­wind­li­chen Scham­ge­fühl ge­hor­chend, hat­te sie ih­ren Kopf ver­steckt, um ihre fürch­ter­li­chen Verzweif­lungs­schreie nicht laut wer­den zu las­sen; es war ein Stöh­nen, ein Kin­der­wei­nen, nur noch durch­drin­gen­der und jam­mer­vol­ler. Nichts schi­en mehr auf der Welt für sie zu exis­tie­ren. Die Kam­mer­frau mach­te ihre Her­rin von dem Heu frei, die al­les mit der kraft­lo­sen Gleich­gül­tig­keit ei­nes ster­ben­den Tiers mit sich ge­sche­hen ließ. Die Kam­mer­frau fand kei­ne an­dern Wor­te als im­mer zu wie­der­ho­len: »Ach bit­te, gnä­di­ge Frau, ach, bit­te …«

      Der alte Dom­herr frag­te: »Aber was ist ihr denn? Was fehlt dir denn, lie­be Nich­te?«

      End­lich ge­lang es mir, Ju­li­et­te mit Hil­fe der Kam­mer­frau in ihr Zim­mer zu brin­gen; ich emp­fahl, sorg­sam über sie zu wa­chen und al­len Leu­ten zu sa­gen, daß die Grä­fin Mi­grä­ne hät­te. Dann gin­gen der Dom­herr und ich wie­der in den Spei­se­saal hin­un­ter. Es war eine ziem­li­che Zeit ver­gan­gen, seit wir den Gra­fen ver­las­sen hat­ten, und ich dach­te erst wie­der an ihn, als ich in die Vor­hal­le trat und sei­ne Gleich­gül­tig­keit mich über­rasch­te; aber mein Er­stau­nen wuchs noch, als ich ihn mit phi­lo­so­phi­schem Gleich­mut am Tisch sit­zen sah; er hat­te fast das gan­ze Di­ner auf­ge­ges­sen, zum großen Ver­gnü­gen sei­ner Toch­ter, die sich dar­über amü­sier­te, wie ihr Va­ter sich über die An­ord­nun­gen der Grä­fin ganz und gar hin­weg­setz­te. Die merk­wür­di­ge Gleich­gül­tig­keit die­ses Ehe­manns wur­de mir ver­ständ­lich durch eine Dis­kus­si­on, die sich so­fort zwi­schen dem Dom­herrn und ihm er­hob. Der Graf soll­te eine stren­ge Diät in­ne­hal­ten, die die Ärz­te ihm ver­ord­net hat­ten, um ihn von ei­ner erns­ten Krank­heit zu hei­len, de­ren Name mir ent­fal­len ist; von wil­der Ge­frä­ßig­keit, wie sie ziem­lich häu­fig bei Re­kon­va­les­zen­ten vor­kommt, ver­zehrt, hat­te der tie­ri­sche Hun­ger alle ver­nünf­ti­ge mensch­li­che Über­le­gung be­siegt. So hat­te ich zu glei­cher Zeit die Na­tur in all ih­rer Nackt­heit in zwei Bil­dern be­ob­ach­ten kön­nen, bei de­nen das Ko­mi­sche in­mit­ten des furcht­bars­ten Schmer­zes zu­ta­ge trat. Der Abend ver­lief in trüber Stim­mung. Ich war sehr er­mü­det. Der Dom­herr wand­te all sei­nen Scharf­sinn auf, um den Grund für den Jam­mer sei­ner Nich­te her­aus­zu­be­kom­men. Der Ehe­mann ver­dau­te still­schwei­gend, nach­dem er sich mit ei­ner ziem­lich un­be­stimm­ten Auf­klä­rung be­gnügt hat­te, die ihm die Grä­fin durch ihre Kam­mer­frau ge­ben ließ, und die, wie ich glau­be, in Zu­sam­men­hang mit dem na­tür­li­chen Un­wohl­sein der Frau­en ge­bracht wur­de. Dann be­ga­ben wir uns alle zei­tig zur Ruhe. Da ich bei dem Zim­mer der Grä­fin vor­bei­kam, um mein Nacht­la­ger un­ter Füh­rung des Kam­mer­die­ners auf­zu­su­chen, er­kun­dig­te ich mich ängst­lich nach ih­rem Be­fin­den. Als sie mei­ne Stim­me er­kann­te, ließ sie mich bei sich ein­tre­ten und woll­te mit mir spre­chen; aber sie konn­te kein Wort her­aus­brin­gen, nick­te nur mit dem Kop­fe, und ich zog mich zu­rück. Trotz der furcht­ba­ren Auf­re­gun­gen, die ich mit der vol­len An­teil­nah­me ei­nes jun­gen Men­schen durch­ge­macht hat­te, schlief ich gleich ein, über­wäl­tigt von Mü­dig­keit in­fol­ge mei­nes Ge­walt­mar­sches. Da wur­de ich in spä­ter Nacht­stun­de durch das krei­schen­de Geräusch der Rin­ge mei­ner Bett­vor­hän­ge jäh ge­weckt, die hef­tig zu­rück­ge­zo­gen wur­den, und ich sah die Grä­fin zu Fü­ßen mei­nes Bet­tes sit­zen. Ihr Ant­litz war von der Lam­pe mei­nes Ti­sches hell be­leuch­tet.

      »Ist es denn wirk­lich wahr, mein Herr?« sag­te sie. »Ich weiß nicht, wie ich nach dem furcht­ba­ren Schla­ge, der mich ge­trof­fen hat, noch wei­ter le­ben soll; aber jetzt bin ich ganz ru­hig. Ich will al­les wis­sen.«

      ›Ei­ne schö­ne Ruhe!‹ sag­te ich mir, als ich die er­schre­cken­de Bläs­se ih­res Ge­sichts wahr­nahm, die von der brau­nen Far­be des Haars ab­stach, als ich den Gra­be­ston ih­rer Stim­me hör­te und ent­setzt fest­stell­te, wie ver­wüs­tet und ver­zerrt ihr Ant­litz war. Sie er­schi­en wie ver­blüht, wie ein Blatt, das sei­ne letz­ten Herbst­far­ben ein­ge­büßt hat. Ihre Au­gen wa­ren rot und ge­schwol­len, hat­ten alle ihre Schön­heit ver­lo­ren und spie­gel­ten nur ih­ren tie­fen bit­tern Schmerz wi­der: man hät­te sa­gen mö­gen, daß an Stel­le der la­chen­den Son­ne eine graue Wol­ke ge­tre­ten war.

      Ich schil­der­te ihr in ein­fa­cher Wei­se, ohne all­zu­sehr ge­wis­se Ein­zel­hei­ten, die für sie zu schmerz­lich sein muß­ten, zu be­rüh­ren, den plötz­li­chen Un­glücks­fall, der ihr ih­ren Her­zens­freund ge­raubt hat­te. Ich er­zähl­te ihr von un­se­rem ers­ten Rei­se­ta­ge, der mit den Erin­ne­run­gen an ihre Lie­be aus­ge­füllt war. Sie wein­te nicht, sie hör­te be­gie­rig zu, das Haupt zu mir hin ge­neigt, wie ein sorg­sa­mer Arzt, der ei­ner Krank­heit auf der Spur ist. Als ich sie ganz ih­rem Schmerz hin­ge­ge­ben und in ihr Un­glück ver­sun­ken sah, er­griff ich die Ge­le­gen­heit, ihr von den Be­fürch­tun­gen des ster­ben­den ar­men Jun­gen zu be­rich­ten, und wes­halb er mir den trau­ri­gen Auf­trag ge­ge­ben hat­te. Das düs­te­re Feu­er, das tief in ih­rer See­le flamm­te, ließ ihre Trä­nen ver­flie­gen. Sie wur­de wo­mög­lich noch blei­cher. Als ich ihr die Brie­fe reich­te, die ich un­ter mei­nem Kopf­kis­sen ver­wahrt hat­te, nahm sie sie me­cha­nisch ent­ge­gen; dann ging ein hef­ti­ges Zit­tern durch ih­ren Kör­per, und sie rief mit rau­her Stim­me: »Ach, und ich habe die sei­ni­gen ver­brannt! Nichts von ihm habe ich, nichts, nichts!«

      Und sie schlug sich hef­tig vor die Stirn.

      »Gnä­di­ge Frau«, sag­te ich. Sie mach­te eine krampf­haf­te Be­we­gung und sah mich an. »Ich habe ihm eine Lo­cke ab­ge­schnit­ten,« fuhr ich fort, »hier ist sie.«

      Und ich gab ihr die­ses un­ver­wüst­li­che Rest­chen des­sen, den sie lieb­te. Ach, wenn ihr wie ich die glü­hen­den Trä­nen ge­fühlt hät­tet, die jetzt auf mei­ne Hand tropf­ten. Dann wür­det ihr wis­sen, was Dank­bar­keit ist, die un­mit­tel­bar auf eine Wohl­tat folgt. Sie preß­te mei­ne Hän­de und sag­te mit er­stick­ter Stim­me, wäh­rend ihre Au­gen im Fie­ber glänz­ten und in­mit­ten ih­res furcht­ba­ren Schmer­zes ein Strahl flüch­ti­gen Glücks­ge­fühls her­vor­brach:

      »Ach, auch Sie lie­ben! Mö­gen Sie stets glück­lich sein und die, die Ih­nen teu­er ist, nie ver­lie­ren!«

      Sie vollen­de­te den Satz nicht und ent­floh mit ih­rem Schat­ze.

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