Название: Die authentische Stadt
Автор: Stefan Lindl
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: Passagen Architektur
isbn: 9783709250402
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Die nicht materielle Seite der Geschichtlichkeit kann die Schaustellung nicht leisten. Sie kann nur durch Narration, soziale Konstruktion gewährleistet werden, aufgrund von forschenden Prozessen, die auf die Gedächtnisse der Gesellschaft angewiesen sind: Archive und Bibliotheken in der vordigitalen Zeit, heute in Form von Datenbanken. Darin liegt ein performativer Aspekt. Nur mit Performanz sozialer Konstruktion kann das In-der-Zeit-Sein der Materie eines Denkmals hinzugefügt werden: Publizieren, das Publizierte lesen und vortragen, darin besteht Performanz. Riegel geht nicht so weit in seinen Formulierungen. Wie sollte ihm dies 1903 auch möglich gewesen sein? Nicht die ewige konservatorische Gewährleistungspflicht des Kulturerbes obliegt uns für den Genuss des Alterswerts, sondern auch die Pflicht des historischen Werts, die soziale Konstruktion über die Geschichtlichkeit des Kulturerbes stets zu erinnern und aufzuführen. Diese Zweiteilung von Materie und Narration ist bemerkenswert.21 Bezogen auf den Kontext dieses Zitats dürfte die „ewige Schaustellung des Kreislaufes vom Werden und Vergehen“ allerdings nur auf die Materie bezogen werden, die für alle, selbst für Nicht-Experten, ersichtlich ist: „Einen alten Kirchturm von einem neuen zu unterscheiden, wird selbst der beschränkteste Landbauer vermögen.“22 Der Alterswert erreicht das Gefühl, nicht den Verstand, und deswegen sei er massentauglich. Riegl thematisiert mit seinem Alterswert zwar die Geschichtlichkeit, aber er beschränkt sie auf die Aktualität der Wahrnehmung, auf die jeweilige Gegenwart, in der sich das Denkmal gerade befindet und rezipiert wird. Die Apperzeption des Denkmals, also kognitive Wahrnehmung der sozialen Konstruktion des Denkmals, erlangt nur der historische Wert. Er macht die Eigenschaft der Geschichtlichkeit eines Objekts erkennbar. Riegl verdeutlichte dieses Prinzip in der Abgrenzung zum gewollten Erinnerungswert eines Denkmals: „Schon der historische Wert hatte […] die Tendenz gezeigt, einen entwicklungsgeschichtlichen Moment aus der Vergangenheit herauszugreifen und so deutlich vor unsere Augen hinzustellen, als ob er der Gegenwart angehören würde.“23
So sehr Riegl auch eine Zweiteilung des baulichen Kulturerbes in deren materiellen und deren sozial-konstruierten Bereich implizit anlegt, kämpfte er letztlich eine andere Schlacht der Werte, als sie heute noch gekämpft werden müsste und könnte: Seiner Schaffenszeit steht der architektonische Historismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts gegenüber. Die Phänomene, die ihn und seinen reichsdeutschen Kollegen Georg Dehio jeweils zu besonderen Formen der Denkmaltheorie führten, bestanden einerseits aus dem Diokletianpalast in Split, andererseits aus dem Ottheinrichsbau des Heidelberger Schlosses. Beide sollten in neuwertige Zustände rekonstruktiv zurückversetzt werden.24 Riegl und Dehio sprachen sich dagegen aus. Für Riegl entscheidend war die ethische Frage: Welchen Zustand unseres Kulturerbes wollen wir? Soll der originale Zustand belassen werden oder soll er in einen vermeintlichen Ursprungszustand überführt und neuwertig ausgestaltet werden? Welchen Zustand will die Denkmalpflege? Welche die Kunstgeschichte? Welche gegenteiligen oder differenten Interessen werden an das Kulturerbe herangetragen?
Aber Riegl fragte nicht, ob es Originale gibt, er hinterfragte auch nicht, ob es einen Ursprung gibt oder nur zugesprochene Ursprünge. Allgemein fragte er nicht nach der Zuschreibung von Alterswert und historischem Wert. Diese Fragen sind erst einer konstruktivistischen Kultur geschuldet und deswegen schlage ich hier einen konstruktivistischen Weg der Werte vor, ohne seine Leistung schmälern, sondern nur ergänzen zu wollen. Werte, so die These dieses Buchs, werden Objekten des Kulturerbes zugeschrieben. Es sind historische Werte. Historischer Wert meint nicht wie bei Alois Riegl eine das Kulturerbe reflektierende Form, die wissenschaftlich erbracht wird und aus der wirkungsgeschichtlichen Rekonstruktion besteht und ohne Wissenschaft nicht auskommt. Historischer Wert wird hier anders verstanden: Es gibt nicht nur einen historischen Wert, sondern sechs historische Werte, die Objekten zugeschrieben werden können. Durch die Vielfalt der Werte lässt sich Kulturerbe analytisch sezieren und klassifizieren. Das hat den Vorteil, nicht mehr dem Original hörig sein zu müssen, sondern ein Spiel des Historischen zu eröffnen, das alle Bestandteile, die epistemischen, materiellen, temporalen, lokalen, ästhetischen, idealistischen, in einen semiotischen Austausch bringt. Das Original wird durch das Wort Authentisch ersetzt. Authentisch wird ein Objekt durch die historischen Werte.
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