Die Farben meines Lebens. Arik Brauer
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Die Farben meines Lebens - Arik Brauer страница 7

Название: Die Farben meines Lebens

Автор: Arik Brauer

Издательство: Bookwire

Жанр: Афоризмы и цитаты

Серия:

isbn: 9783902998057

isbn:

СКАЧАТЬ Jahr eingemauert waren?“ Ein kleines Mädchen, ein junges, unverschämtes Geschöpf, hat die Frechheit gehabt, eine derart taktlose Frage zu stellen, aber der sonst so ernste Wanz lächelt milde, streichelt der Kleinen leicht über den Kopf und beginnt mit ruhiger, warmer Stimme zu erzählen. „Vor langer, langer Zeit lebte das edle Volk der Wanzen mit den Menschenungeheuern in friedlicher Harmonie. Man konnte am helllichten Tag ungestört auf den Wänden spazieren gehen, die Betten waren voller gemütlicher Ecken und Spalten, das Bettzeug wurde selten gewaschen, und von Giftgas und dergleichen Terror war nicht die Rede. Es geschah wohl manchmal, dass jemand von einem Menschenungeheuerkind mit einer Stecknadel am Tisch festgenagelt wurde, aber im Allgemeinen war das Verhältnis zwischen Mensch und Wanze ein freundliches.“ Wanz macht eine Pause, sein Blick hat etwas Entrücktes: „Ich entsinne mich eines eher lächerlichen Versuchs einer Menschenungeheuerin, uns den Zutritt zum Bett zu verwehren. Sie stellte die Bettfüße in kleine, mit Petroleum gefüllte Gefäße, wohl wissend, dass wir in dieser stinkenden Brühe nicht gerne schwimmen. Natürlich machten wir uns einen Spaß daraus, auf die Zimmerdecke zu klettern und uns von oben ins Bett fallen zu lassen. Ja, damals waren wir jung und verspielt. Ich war zu dieser Zeit in eine Wanzin verliebt, deren Schönheit und Fruchtbarkeit nichts Vergleichbares hatte in der weiten Wanzenwelt. Wir wohnten in einem netten Nagelloch in der Wand über dem Bett. Der Platz war zentral gelegen und bot einen herrlichen Rundblick. Eines Tages bemerkten wir merkwürdige Vorgänge im Zimmer. Kästen und Betten wurden verschoben und mit Zeitungspapier bedeckt, fremde Menschenungeheuer brachten unbekannte Geräte, auf die sie hinaufkletterten, um an den Wänden herumzuschaben. Als sie begannen, einen weißen Schleim auf die Wände zu schmieren, fingen wir an, unruhig zu werden. Meine Frau, die hochschwanger war, wollte das Nagelloch nächtens verlassen und einen sicheren Platz im Bett aufsuchen. Ich aber fand die Übersiedlung unter den gegebenen Umständen zu riskant und entschied mich für den Verbleib im Nagelloch. Dieser mein Entschluss hatte tragische Folgen!“

      Wanz macht wieder eine Pause und man kann sehen, wie eine im Dämmerlicht glänzende Träne über sein vom Alter gezeichnetes Gesicht rinnt. Die Intelligenteren unter den Zuhörern ahnen bereits, was damals geschah, und starren mit schreckensgeweiteten Augen auf den Greis. Dieser fährt mit leiser, zitternder Stimme fort: „Ich werde mir diesen Fehler nie verzeihen, denn er hatte den Tod meiner geliebten Frau zur Folge. Wir wachten morgens zeitig auf und blinzelten in das Licht des jungen Tages, als plötzlich unser Loch mit einer breiigen Masse zugestopft wurde. Ich stürzte mich sofort gegen den klebrigen Brei, um einen Ausgang ins Freie zu erzwingen, aber ein weiterer Stoß von außen trieb die rasch härter werdende Masse so tief ins Loch, dass dieses fast zur Gänze gefüllt war und wir keine Bewegungsfreiheit mehr hatten. Dicht aneinander gepresst dämmerten wir einige Wochen vor uns hin, dann musste meine Frau entbinden, aber es gab für die zahlreichen Eier keinen Platz. Die Situation schien aussichtslos. Alles drehte sich natürlich um das Wohl der Eier, und ich machte meiner Gattin den Vorschlag, sie möge mich auffressen, um erstens Platz für die Eier zu schaffen und zweitens ihre eigene Überlebenschance zu vergrößern. Sie sprach kein Wort, aber den Blick ihrer Augen werde ich nie vergessen. Als ich am nächsten Morgen in der Dunkelheit nach ihr tastete, durchfuhr ein eiskalter Schauer meine Seele. Mein Herz blieb stehen, und ich hatte das Gefühl, nicht mehr atmen zu können. Meine Frau hatte, um für ihre Nachkommen Platz zu schaffen, sich selber teilweise aufgefressen.“ Wanz unterbricht laut schluchzend seine Schilderung. Alle Anwesenden weinen und halten einander an den Händen.

image

      Nach langer Pause fährt Wanz fort: „Sie hatte sich geopfert, und meine Pflicht war es nun, die heiligen Eier zu retten. Ich verspeiste weinend den Rest meiner geliebten Gattin, um die Eier besser lagern zu können, und verfiel in einen scheintotartigen Schlaf. In diesem Dämmerzustand verbrachte ich fünfzehn Jahre. Von Zeit zu Zeit, wenn ich zu Besinnung kam, drehte ich die Eier um, damit sie durch die lange Lagerung keinen Schaden erleiden mochten. Es war im Frühjahr, als ich von lauten Schabgeräuschen geweckt wurde. Der Lärm wurde stärker, kam näher, und plötzlich wurde die Vermauerung aufgerissen und Licht fiel in das Loch. Jetzt galt es, kühn und blitzschnell zu reagieren. Ich packte alle Eier mit meinen zahlreichen Beinen und warf mich mit einem Sprung, der auch einem Floh Ehre gemacht hätte, weit in die Luft und fiel aufs Bett. Schon stürzte ein Menschenungeheuer mit erhobenem Besen herbei, aber es gelang mir, mit allen Eiern in einer Ritze zu verschwinden, während der Besen auf das Bett donnerte, welches unter der Wucht des Schlages krachend zusammenbrach. Bald musste ich feststellen, dass ich völlig allein in der Welt war. Es gab keine Wanzen mehr, sosehr ich auch suchte. Aber der liebe Wanzengott hatte sein Volk nicht ganz vergessen, und nach einigen Wochen kroch aus den Eiern eine fröhliche Bande gesunder, kleiner Wanzenkinder. Diese, meine lieben jungen Leute, wurden eure Stammeltern. Ich aber habe meine geliebte Frau auf dem Gewissen und werde diese Last auf meiner Seele tragen bis in den Tod.“ Da meldet sich eine Stimme aus dem Hintergrund: „Dich, Vater Wanz, trifft keine Schuld, vielmehr bist du der Held und Retter deiner Gemeinschaft.“ Es ist ein Gast aus dem Nebenhaus, der da spricht, selbst ein Stammvater und König, der gute freundschaftliche Beziehungen zur Gemeinschaft pflegt. Er fährt fort: „Von einer Ahnin wurde mir berichtet, dass vor zirka fünfzehn Jahren eine Katastrophe über euer Haus hereinbrach. Die sadistische Menschin, die schon jene dumme, aber teuflische Idee mit den Petroleumgefäßen hatte, engagierte eine Firma, die das ganze Haus mit Giftgas vollpumpte. Das Wanzenvolk verkroch sich verzweifelt in die geheimsten Ritzen und Löcher, aber das Gas drang überall ein und der Tod ereilte jeden. Die Schreckenskunde wurde auch bei uns gehört, und es herrschte Trauer um den vernichteten Wanzenstamm, auch waren wir in Angst und Panik vor etwaigen weiteren Aktionen dieser Art. Zum Glück war die Giftgasmethode den Menschenungeheuern in unserem Haus offensichtlich zu teuer, und so kam es bei uns nur zu sporadischen Pogromen. Euer Stamm aber war nicht ganz tot. Ein letztes schwaches Lebenslicht brannte noch unerkannt in dem vermauerten Nagelloch. Dein weiser Entschluss, Vater Wanz, und die Opferbereitschaft deiner edlen Gattin haben der Welt dein Wanzengeschlecht erhalten.“

      Der Gast reicht Vater Wanz die Hände und macht eine tiefe Verbeugung vor ihm. Das kleine freche Mädchen stimmt mit hellem Organ die Wanzenhymne an, alle fallen ein und tanzen im Kreis um Vater Wanz herum. – Manchmal kann man wirklich stolz darauf sein, Wanzenblut in den Adern zu haben.

       Der Chef

      Wer als Kind Mitglied einer Bubenbande war, kann ohne falsche Illusionen ins Erwachsenenleben treten. Die Gesetze dort sind einfach und hart. Die Stärkeren sind die Herren, die Schwächeren (Jüngeren) deren Sklaven. Jeder Herr hat seinen Sklaven, der von ihm aus Langeweile gefoltert, aber gegen andere beschützt wird. Beispiele für beliebte Foltermethoden: Kanalzuzeln (das Opfer wird mit dem Gesicht nach unten an ein Kanalgitter gebunden und angepisst), Hartnussen (ein Draht wird um den Kopf des Sklaven gebunden und mit einem Nagel zugedreht), Gwaschtn (der Sklave wird mit dem giebelförmigen Deckel einer Schotterkiste eingezwickt, auf die sich der Herr draufsetzt), frisch wickeln (es werden Brennnesseln in die Unterhose des Opfers gestopft). Je bedeutender der Herr, umso arrivierter auch sein Sklave. Der Chef der Bande vom Ludo-Hartmann-Platz war ein unumstrittener Herrscher. Sein Name war Simsanreut, ein alter Bauernname aus der Steiermark. Mit der Polizei hatte er schon zu tun gehabt, und er hatte auch schon ein Jahr in der grausamen Besserungsanstalt in Kaiserebersdorf verbracht, was ihm natürlich einen Glorienschein verlieh. Er war keineswegs der Stärkste, hatte aber herausgefunden, dass es genügt, so zu tun als sei man der Stärkste, um die Menge zu beherrschen. Sein Sklave hatte ebenfalls eine Sonderstellung und zwar aufgrund einiger bemerkenswerter Fähigkeiten. So konnte er beispielsweise lebensnahe Karikaturen mit Kreide auf den Asphalt zeichnen. „Brauer-Burli zeichne den Greißler, wie er grad scheißt!“, oder „Brauer-Burli sing Bananen-Zitronen!“ – und der Sklave zeichnete und sang zur Ziehharmonika, die der Chef recht gut zu spielen verstand. Im Baumklettern war der Kleine einsame Spitze und es wurden bei besonders glatten Stämmen oft Wetten abgeschlossen, die von ihm respektive von seinem Herrn immer gewonnen wurden. Er war auch ein ausgezeichneter Läufer und wurde bald der „Stänkerer“ der Bande. Stänkerer ist ein gefährliches, aber ehrenvolles Amt, eine Art Dschahid (Selbstmordterrorist) im Gassenbubenformat. Der Stänkerer schleicht sich zum Beispiel СКАЧАТЬ