Название: Frühere Verhältnisse
Автор: Katrin Unterreiner
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 9783902862426
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Um die Fassade der Wohlanständigkeit zu wahren, hatte die bürgerliche Gesellschaft eigene, inoffizielle Spielregeln ersonnen, wie mit dem unliebsamen Zwischenfall diskret umzugehen sei.
Schnitzlers »Der Weg ins Freie« beschreibt die damals übliche Verfahrensweise:
Anfang März war er [Georg] mit Anna aus Wien abgereist, da ihr Zustand kaum länger zu verbergen war … Der Plan für die folgenden Monate war entworfen. Bis zum Frühsommer wollte Georg sich mit Anna im Auslande aufhalten, dann sollte in der Umgebung von Wien ein Landhaus gemietet werden, so daß in der schwersten Zeit die Mutter nicht fern wäre und das Kind ohne Schwierigkeiten in der Nähe der Stadt in Pflege gegeben werden konnte.29
Die Realität war hier Pate gestanden. Schnitzlers große Liebe Marie Reinhard wurde 1897 schwanger. Eine Ehe kam für ihn offensichtlich nicht in Betracht und Schnitzler suchte daher eine Wohnung auf dem Land, wo seine Geliebte die Geburt abwarten konnte. Das Kind, ein Sohn, kam nach mehrtägigen Wehen tot zur Welt. Marie Reinhard starb zwei Jahre später an einem Blindarmdurchbruch.
Auch als seine Geliebte Olga Gussmann nach zweijähriger Beziehung schwanger wurde, dachte er nicht an Heirat. Sie verlor das Kind, wurde allerdings erneut schwanger. Wieder suchte Schnitzler – wie bereits zuvor bei Marie Reinhard – Quartier auf dem Land, wo sie die Geburt des Kindes fern vom Wiener Tratsch erwarten konnte. 1902 wurde Sohn Heinrich geboren, doch erst ein Jahr später am 26. August 1903 heiratete er Olga auf ihr Drängen hin.
Schnitzler war bei weitem kein Einzelfall, auch sein enger Freund Felix Salten wurde mehrere Male ungewollt Vater. Salten und die sozialdemokratische Frauenaktivistin Lotte Glas waren seit 1894 ein Paar. Als Lotte Glas schwanger wurde, zog auch sie sich, um die Schwangerschaft zu verbergen, in den Monaten vor der Geburt aufs Land zurück. Erst kurz vor der Niederkunft kehrte sie nach Wien zurück und brachte 1895 im Wiener Gebärhaus ein Mädchen zur Welt. Salten zahlte dafür nach eigenen Angaben fünfhundert Kronen.30 Wie damals üblich, wurde das Kind nach Niederösterreich zu einer Kostfrau in Pflege gegeben, wo es kurz darauf starb. Die Beziehung der beiden scheiterte daraufhin.
Salten, geborener Salzmann, hatte aber noch weitere uneheliche Kinder. Die hier erstmals veröffentliche Lebensgeschichte von Elisabeth Kotter zeichnet ein für damalige Verhältnisse keineswegs ungewöhnliches Bild. Elisabeth Kotter, 1873 geboren, ein aus Groß Enzersdorf gebürtiges Mädchen, trat wie für Mädchen aus der Vorstadt üblich im Hause Salzmann in Hütteldorf eine Stelle als Dienstmädchen an. Salten verliebte sich in das Mädchen und ging mit ihr eine Liebesbeziehung ein. Das Verhältnis hatte Folgen, Elisabeth wurde schwanger. Offensichtlich überlegte Salten eine Legalisierung der Beziehung, doch die Tatsache, dass das Mädchen streng katholisch war, Felix Salten jüdisch und sie unterschiedlichen sozialen Schichten entstammten, machte eine Heirat unmöglich. Dennoch entschloss sich Elisabeth, das Kind zur Welt zu bringen und gebar 1896 ihre Tochter Caroline. Die Umstände der Geburt sind nicht näher bekannt. Obwohl eine legitime gemeinsame Zukunft nicht vorstellbar war, bestand das Verhältnis weiter und 1898 wurde Sohn Ottmar Peter geboren. Salten unterstützte im Unterschied zu vielen anderen seiner Geschlechtsgenossen seine beiden unehelichen Kinder finanziell und ermöglichte ihnen eine Erziehung nach bürgerlichen Maßstäben. Die Tochter erhielt unter anderem Klavierunterricht und der Sohn eine Ausbildung an der Akademie in Wien.
Elisabeth Kotter
Offensichtlich noch während seiner Beziehung zu Elisabeth hatte Salten bereits 1896 eine Liebesaffäre mit der Burgschauspielerin Ottilie Metzl begonnen, die er 1902 heiratete. 1903 wurde Sohn Paul geboren und 1904 Tochter Anna Katharina. »Von da an begann mein Schicksal leichter zu werden. Meine Frau, geistig, künstlerisch hochstehend, von großem Seelenadel, hatte bestimmenden Einfluß auf mich.«31 Das Kompliment, das Salten seiner Frau bezüglich ihres Seelenadels machte, mag sich auf die Tatsche begründen, dass Ottilie offensichtlich über seine Beziehung zu Elisabeth Kotter Bescheid wusste, und Verständnis zeigte. Caroline, seine Tochter aus dieser Verbindung, soll nämlich mehrmals im Hause Salten erschienen sein und nach ihrem Vater gefragt haben.32
Elisabeth Kotter, alleinstehend und Mutter zweier unehelicher Kindern, hatte in der Zwischenzeit per Heiratsannonce einen Mann gesucht. Der Schlossermeister Peter Hartmann meldete sich und sah in den beiden Kindern kein Hindernis für eine Ehe. Die Ehe scheint glücklich gewesen zu sein, denn es folgten noch weitere fünf Kinder. Einige erhaltene Postkarten, die Salten Lisi – wie er sie nannte – schrieb, zeigen, dass ein freundschaftliches Verhältnis weiterhin bestehen blieb.33 Die Postkarten stammen aus den Jahren 1909 bis 1921, als beide bereits verheiratet waren. Elisabeth Kotter, verehelichte Hartmann starb 1946.
Genaueren Einblick in eines der unzähligen namenlosen Schicksale unehelicher Kinder und deren Mütter bietet die Geschichte einer weiteren Künstlergeliebten. Ein erhaltener Briefwechsel zeigt aus der Sicht des Kindesvaters die Situation seiner ungewollt schwanger gewordenen Geliebten. Der Vater der beiden Kinder Maria Zimmermanns war niemand geringerer als der zu diesem Zeitpunkt bereits bekannte und gefeierte Maler Gustav Klimt.
Gustav Klimts Hang zum schönen Geschlecht war legendär und soll ihm insgesamt vierzehn uneheliche Kinder beschert haben, sechs davon wurden nach seinem Tod gerichtlich anerkannt.34
Rund zwei Monate vor der Geburt seines ersten Kindes mit Mizzi, wie Klimt sie nannte, hatte ihm bereits das Prager Wäschermädel Maria Usicka einen Sohn Gustav geschenkt.35 Ebenso war er nachweislich der Vater dreier Kinder der Consuela Camilla Huber, die seit ihrem fünfzehnten Lebensjahr als seine Haushälterin arbeitete.
Postkarte von Felix Salten an Elisabeth Kotter verehelichte Hartmann
Die Beziehung zu Maria begann im Herbst 1897. Auf dem Weg von der Wohnung ihrer Eltern in der Friedmanngasse 6 im 16. Bezirk zu einer Fortbildungsschule im 8. Bezirk, in dem Gustav Klimts Atelier lag, begegnete das junge Mädchen dem Künstler. Ein Traumbild von einem Mann, wie sie selbst beschrieb, »so wie ich mir das immer vorgestellt hab.«36 Maria nahm daraufhin öfter den Weg über die Josefstädter Straße um ihren Traummann auf sich aufmerksam zu machen. Nach einigen Begegnungen lud Klimt das hübsche Mädchen tatsächlich in sein Atelier in der Josefstädter Straße 21 ein. Mizzi wurde sein Modell: »… wie viel künstlerische Inspiration und Anregung danke ich Ihnen, wie viel schöne Bilder entstanden in meinem Kopfe, im Geiste, beim Anblick Ihrer schönen Gestalt, welche ich ahnen konnte, mit dem schönen Hals, dem lieben Kopf darauf, mit dem prachtvollen Haar, wie oft habe ich davon gesprochen«37 schrieb Klimt in einem Brief an sie.
Tatsächlich fand sich ihr Porträt in dem1899 im Zuge der Ausstattung des Palais Dumba fertig gestellten Bildes »Schubert am Klavier II«, das 1945 in Schloss Immendorf verbrannte.38
Aus der zunächst platonischen Beziehung scheint erst nach ungefähr zwei Jahren eine Liebesbeziehung geworden zu sein, die auch bald Folgen zeigte – Mizzi wurde schwanger. Klimt, der nur höchst ungerne Briefe schrieb und seine Korrespondenz vorwiegend in knappen Postkarten abwickelte, begann einen intensiven Briefwechsel mit Mizzi. Die an sie geschriebenen Briefe schildern nicht nur Klimts liebevolles Verhältnis zu seiner Geliebten, sondern auch die alltäglichen Nöte und Sorgen, die ihre ungewollte Schwangerschaft СКАЧАТЬ