Название: Die Familie Lüderitz
Автор: Paul Enck
Издательство: Автор
Жанр: Документальная литература
isbn: 9783873222984
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Ob sich Carls Situation verbesserte, als er am 18. Dezember 1899 zum Sanitätsrat ernannt wurde, wissen wir nicht. Sicher half es ihm, Privatliquidationen zu erzielen. Der nichtakademische Titel wurde vom preußischen Gesundheitsministerium (korrekt: Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medicinal-Angelegenheiten) für mindestens 20-jährige Verdienste im öffentlichen Gesundheitswesen verliehen.
Die Akte des Ministeriums für die Jahre 1898 bis 1899 10 gibt Auskunft. Von den ca. 2500 Ärzten im Berlin des Jahres 1898 trugen 25 den Titel „Sanitätsrath“, davon wiederum ein geringer Teil den des „Geheimen Sanitätsrathes“. Vorschlagsrecht hatten Ministerialbeamte, aber auch Gemeindevorsteher und andere Amtspersonen konnten Vorschläge einreichen.
Die Vorschlagsliste des Ministeriums ging dann zwecks sozialer Überprüfung als Erstes an den Polizeipräsidenten in Berlin. Dabei wollte man vor allem ermitteln, ob der Arzt bereit war, die damit verbundenen 300 Mark „Stempelgeld“ zu bezahlen. Bereits die preußische Bürokratie ließ sich diese als privat angesehenen Privilegien offenbar gern bezahlen und erhob deftige Gebühren. Zum Vergleich: Das war in jenen Jahren ein Viertel des Jahresgehaltes eines Armenarztes und 5 % seines Jahreseinkommens.
Dazu war nicht jeder Arzt bereit oder in der Lage. In einem Schreiben des Polizeipräsidenten an den Minister schilderte dieser, dass die Erkundungen manchmal von der örtlichen Schutzpolizei durchgeführt worden seien, was den einen oder anderen „Auserwählten“ erbost habe.
Das Einschalten des Polizeipräsidenten hatte aber sicherlich noch einen anderen Hintergrund: Im Falle von Dr. Lüderitz schrieb der Polizeipräsident am 15. Februar 1898:
„Dr. Lüderitz ist nicht verheiratet, lebt in geordneten Verhältnissen (hat ein Jahreseinkommen von 5500 bis 6000 Mark und ein Vermögen von 24000 bis 28000 Mark). Politisch gehört er zur deutschfreisinnigen Vereinigung. In moralischer Beziehung hat er zu Ausstellungen keine Veranlassung gegeben. Als Arzt erfreut er sich einer ganz guten Praxis, besonders in weniger bemittelten Kreisen der Bevölkerung, er ist auch langjähriger städtischer Armenarzt und hat sich durch sein gründliches Wissen das Vertrauen seiner Kranken erworben. Am ärztlichen Vereinswesen nimmt er als Mitglied des Luisenstädtischen Ärztevereins sowie wissenschaftlicher Vereinigungen theil. Bei seinen Kollegen steht er im Ansehen.
In wissenschaftlicher Beziehung ist er eifrig und mit Erfolg thätig gewesen. Seine ersten Veröffentlichungen stammen aus einer Zeit, in welcher er in Jena als Assistent Nothnagels angestellt war, aber auch später, als er in das eigentliche, praktische Leben eingetreten war, bestätigte er fortgesetzt eine Vorliebe für wissenschaftliche Forschung. Er hat auch nachher wiederholt in staatlichen Laboratorien gearbeitet und seine Ergebnisse in Pflügers Archiv, in Virchows Archiv, in der Zeitschrift für klinische Medizin, in der Zeitschrift für Hygiene veröffentlicht, auch befand er sich auf den ärztlichen Kongressen zu Berlin unter den Vortragenden. Seine Arbeiten sind meist physiologischer Natur, sie betreffen besonders die Darmperistaltik, behandeln aber auch praktische Fragen. Eine derselben ist anatomischer Natur und bezieht sich auf das Rückenmarksegment, eine andere Veröffentlichung betrifft bakterielle Forschungen und ist im Hygienischen Institute vorhanden“.(10)
In einem weiteren Vorgang in der gleichen Akte schlägt der Polizeipräsident am 18. April 1899 vor, einen an sich sehr verdienten Arzt aus der Auswahl für zwei weitere Jahre herauszunehmen. Er sei noch sehr jung und eine so frühe Auszeichnung könne insbesondere unter den älteren Kollegen, die noch nicht ausgezeichnet worden seien, Unruhe erzeugen. In einem Obrigkeitsstaat regelte die oberste Ordnungsbehörde, die Polizei, offenbar auch Eifersüchteleien unter Privatleuten.
Carl zahlte und erhielt mit Datum vom 18. Dezember 1899 sein Patent als Sanitätsrat. Wie wir vom Polizeipräsidenten wissen, hatte er zusätzlich zu seinem Gehalt als Armenarzt einige Einnahmen (4000 bis 4500 Mark / Jahr). Zumindest nachdem er seine wissenschaftlichen Forschungen um 1892 eingestellt hatte, dürfte ihm dazu die Zeit geblieben sein. Andererseits waren seine Armenbezirke in der Berliner Luisenstadt mit 20 Ärzten für 20.000 Einwohner (1890) damals eher überversorgt. Reich wird er dort nicht geworden sein, vergleicht man sein Einkommen mit dem der anderen Ärzte aus den Sanitätsrats-Akten jener Jahre. Und dann verschwand Carl 1907 von einem Tag auf den anderen aus Berlin. Es sollte Wochen dauern, bis wir ihn wieder ausfindig gemacht hatten.
Lebensabend in Waldsieversdorf
Wir haben Carl auf zwei verschiedenen Wegen und nahezu gleichzeitig wiedergefunden. Beide Wege sind typisch für die Art und Weise, wie Recherchen manchmal verlaufen: lange Zeit langweiliges Durchforsten von Akten und Dokumenten und dann Überraschungsfunde an Stellen, an denen man sie nicht erwartet hätte.
Weg 1 (der systematische): Auf der Suche nach weiteren Veröffentlichungen von Carl hatten wir auch das Zentrale Verzeichnis antiquarischer Bücher (ZVAB) durchforstet und waren dort auf eine uns bislang unbekannte Publikation gestoßen: „Carl Lüderitz: Gedanken zur allgemeinen Energetik der Organismen. Berlin, Hirschwald Verlag 1910“. Diese späte Publikation war auch in anderen Medien besprochen worden – allerdings nicht immer positiv (11). In seinem Vorwort gab Carl preis, dass er ca. 50 km östlich von Berlin in Waldsieversdorf im Märkischen Oderkreis wohnte.
Weg 2 (der zufällige): Bei einer Google-Recherche, diesmal nach „Sanitätsrat Lüderitz“, tauchte weiter hinten in der Listung der Suchergebnisse eine Quelle auf, auf die wir nie im Leben gekommen wären. In einem Buch von Ute Lissa und Rosemarie Brüning, in dem sie über die Lebenserinnerungen ihres Vaters Paul Brüning (12) berichten, erwähnt dieser, dass er 1922 seine zukünftige Frau in der Kindermannstraße 28 in Waldsieversdorf im Haus des Sanitätsrates Dr. Lüderitz kennengelernt habe. Der hatte im Obergeschoss einen Raum an Lehrerinnen des Pädagogiums in Waldsieversdorf vermietet. Paul Brüning erwähnt auch, dass die Dame des Hauses den Kaffee serviert habe.
Sollte Carl Lüderitz СКАЧАТЬ