Gorbatschow. Ignaz Lozo
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Название: Gorbatschow

Автор: Ignaz Lozo

Издательство: Автор

Жанр: Историческая литература

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isbn: 9783806242119

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СКАЧАТЬ und ausgeglichener Mann. Anders als seine Ehefrau Maria, die sehr resolut und temperamentvoll sein konnte. Auch Iwan Budjakow bestätigt das: „Seine Mutter konnte derb schimpfen, aber sein Vater war ruhig, er benutzte auch nie Schimpfwörter oder so.“23

      Vom reitenden Postboten zum Musterschüler

      Nachdem die deutschen Besatzer aus Priwolnoje abgezogen waren, kehrte allmählich das alte Leben ins Dorf zurück, auch der Schulbetrieb, der mit der deutschen Besatzung ein Ende gefunden hatte, wurde wieder aufgenommen. Hier klafft eine bisher unentdeckte Lücke im Lebenslauf von Michail Gorbatschow: In seinen weit mehr als 1 000 Seiten umfassenden Memoiren ist zwar zutreffend die Rede davon, dass er zwei Jahre nicht zur Schule gegangen sei. Dass die anderen Schüler seines Jahrgangs jedoch bereits 1943 und nicht wie er erst 1944 das Lernen wieder aufnahmen, wird darin nicht erwähnt. Seine einstige Klassenkameradin Raissa Kopejkina (geb. Litowtschenka) berichtet, dass Michail Gorbatschow nach dem Abzug der Deutschen zunächst als Postbote arbeitete, während sie und die anderen Gleichaltrigen wieder zur Schule gingen. Entsprechend schloss er erst 1950 die zehnte Klasse ab, sie dagegen schon 1949.24 Mit dem Pferd der Kolchose machte sich Michail fortan in die Kreisstadt Molotowskoje auf (heute Krasnogwardejskoje), wo er die Post entgegennahm, die er nach der Rückkehr in sein Dorf verteilte.

      Der Heranwachsende hatte einfach keine Lust auf die Schule. Sein Vater kämpfte 1943 noch an verschiedenen Fronten, hatte somit keinen direkten Zugriff auf ihn, und die Mutter machte ihm keinen besonderen Druck. Sie selbst war schließlich überhaupt nicht zur Schule gegangen und hielt vier absolvierte Schuljahre daher wohl für ausreichend. Doch Sergej Gorbatschow ließ nicht locker: „Vater schrieb von der Front: ‚Michail, du musst verstehen …‘ und ‚Ich bitte dich …‘ Und meiner Mutter schrieb er: ,Alles, was sich verkaufen lässt: bitte verkaufen und dann alle Schulbücher anschaffen. Michail muss zurück in die Schule!‘“25 Doch auch die sonst so resolute Mutter konnte sich gegenüber ihrem jungen Teenager-Sohn nicht durchsetzen. Er hatte ja nicht mal anständiges Schuhwerk zum Anziehen. Michail Gorbatschow erklärt diese Entwicklungsphase so: „Ich hatte zwei Jahre Freiheit genossen und wollte nicht mehr an die Schule denken. Es gab aber noch Großvater Pantelej. Er war der wichtigste Mensch bei uns. Und er hat seinen Beitrag geleistet, indem er sagte: ,Mischa, man muss in die Schule gehen!‘ Und wenn dieser Großvater etwas sagte, hörten ihm alle zu. Immer, ein Leben lang.“26

      Und noch eine Respektsperson im Dorf wirkte auf ihn ein: Jefim Gordejewitsch Litowtschenko, der Vater seiner Mitschülerin Raissa. Er war wie Michails Großvater Pantelej Vorsitzender einer Kolchose. Litowtschenko sagte mehrfach zu ihm: „Michail, lass das mit der Post! Wirf die Tasche weg! Geh wieder zur Schule!“ Viele Jahre später, als er schon politisch Karriere machte, bedankte sich Michail Gorbatschow ausdrücklich und öffentlich bei Litowtschenko. Auf einer Versammlung im benachbarten Dorf Pregradnoje trat Gorbatschow als Redner auf und erblickte unter den Zuhörern auch Litowtschenko, den er mit den Worten würdigte: „Dank Jefim Gordejewitsch habe ich die Posttasche liegen lassen, ging wieder zur Schule und erhielt somit meine Ausbildung. Dank ihm wurde ich zu dem, der ich jetzt bin.“27 Das mag wohl auch dem Moment geschuldet gewesen sein, doch tatsächlich hat Litowtschenko wohl eine wichtige Rolle neben Vater und Großvater gespielt.28

      Sie alle versuchten, ihn wieder zum Schulbesuch zu bewegen, und auch seine Mutter Maria tat, wie sie ihr Mann geheißen hatte. Der erste Versuch der Wiedereingliederung in die Schule ging jedoch mächtig schief. Noch vor Unterrichtsende ging Michail Gorbatschow einfach heim und warf das einzige Buch weg, das er besaß. Die Mutter weinte, gab jedoch nicht auf, sondern ging aufs Ganze. Sie verkaufte oder tauschte Gegenstände aus dem Hausstand und kam abends gleich mit mehreren Büchern zurück. Und ihr Coup gelang: Michail begann zu lesen, verschlang die Lektüre förmlich bis tief in die Nacht und entschied endlich, am nächsten Morgen doch wieder zur Schule zu gehen. Und die Begeisterung für die Lektüre blieb. In der winzigen Dorfbibliothek lieh er sich ein Buch von Wissarion Grigorjewisch Belinski aus. „Es wurde zu meiner Bibel. Ich war begeistert, las es immer wieder und hatte es stets bei mir“, schrieb Gorbatschow in seinen Erinnerungen von 1995 – immer noch voller Euphorie.29

      Belinski war ein russischer Philosoph und ein bedeutender Literaturkritiker aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In seinem romantischen Drama Dmitri Kalinin übte er Kritik an der Leibeigenschaft, was ihn in Konflikt mit dem Zarenregime brachte. Als Literaturkritiker verhalf Belinski unter anderen Fjodor Dostojewski zum literarischen Durchbruch, indem er dessen ersten Roman Arme Leute überaus positiv besprach. Über diesen Sammelband von Belinski aus der Priwolnojer Dorfbibliothek kam Gorbatschow rasch zu den Großen der russischen Literatur und verschlang die Werke von Alexander Puschkin und Michail Lermontow.

      Lermontow eckte wie auch Belinski bei der Obrigkeit an und wurde zeitweise in den Kaukasus verbannt. Sein Roman Ein Held unserer Zeit scheint Gorbatschow, der auch viele seiner Verse auswendig kannte, besonders beeindruckt zu haben. Darin schildert der Dichter die Situation der gebildeten und freiheitlich denkenden Jugend seiner Zeit, die aufgrund des Stillstands unter dem Zaren unzufrieden war. Aus einer viel späteren Literatengeneration gefiel Gorbatschow insbesondere der sowjetische Futurist Wladimir Majakowski. All dieser Lesestoff bot viel Inspiration für einen Heranwachsenden in der nordkaukasischen Provinz und später auch Anlass für Gespräche in seiner Ehe mit Raissa.

      Hunger, Terrorjahre und den Krieg hatte Michail Gorbatschow inzwischen hinter sich, ein Übermaß an Lebenserfahrung für den inzwischen 14-Jährigen. Entsprechend wankten erstmals die kindlichen Vorstellungen vom späteren Berufsleben: „Ich wollte Matrose sein. Ich glaube, es lag an den Uniformen, die mir sehr gefallen haben. Aber was konnte ein Junge aus der tiefen, fernen Provinz schon wissen? In unserem Dorf gibt es ein Flüsschen, den Jegorlyk. Er speist sich aus dem Kuban-Strom, der hat genug Wasser. Aber der Jegorlyk trocknete im Sommer immer aus. Und ich beschloss also, Matrose zu werden!“30 Doch es sollte anders kommen.

      9. Mai 1945 – der Große Vaterländische Krieg ist zu Ende. Vater Sergej, der fast vier Jahre erbitterte Kämpfe an zahlreichen Fronten in Ost- und Mitteleuropa überlebt hat, ist noch kurz vor Kriegsende in der Nähe der slowakischen Stadt Kosice schwer verwundet worden, als deutsche Jagdbomber vom Typ Messerschmitt seine Stellung angriffen. Basierend auf den Schilderungen seines Vaters gibt Michail Gorbatschow das Drama wieder:

      Jemand schrie: „Hinlegen! – Und ich warf mich hin auf den Boden“, sagte er. Doch das linke Bein ragte etwas empor. Dann kam die Explosion, und er wurde getroffen. Ein Splitter ging durch das Fleisch des linken Beins, 12 Zentimeter lang, aber der Knochen blieb unversehrt. Er kam zunächst in ein Frontspital, danach nach Krakau. Und so kam seine ganze Geschichte an der Front zu einem Ende. Seine Genesung nahm viel Zeit in Anspruch.“31

      Als Sergej Gorbatschow wieder halbwegs auf die Beine kam und nach Priwolnoje zurückkehren konnte, fand er ein verändertes Dorf vor. Verlassene und heruntergekommene Hütten, noch mehr Armut als vorher, viele Witwen und Waisen. Ende 1945 nahm er seine alte Arbeit als Mechaniker und Mähdrescherfahrer in der Maschinen-Traktoren-Station wieder auf. Sie liegt außerhalb von Priwolnoje, der Weg dorthin ist noch 2015 selbst für einen Geländewagen recht mühsam. Moderne Erntefahrzeuge stehen hier heute in Reih und Glied, eine riesige Halle dient als Getreidespeicher. In dieser vormaligen Kolchose verdiente einst der junge Michail sein erstes Geld als Helfer seines Vaters. Der hatte ihn nach der Rückkehr von der Front und seiner Genesung zur Seite genommen und zu ihm gesagt: „Mischa, du bist jetzt groß genug. Ich habe mit dir etwas Wichtiges zu besprechen. Du siehst ja, es ist alles zerstört. Es fehlt an allem. Keine Kleidung, keine Schuhe. Man muss Geld verdienen. Und das geht nur, wenn man arbeiten geht.“32

      Michail Gorbatschow redet mit Stolz von seinem Vater, er sei ein hochgeschätzter Mähdrescherfahrer gewesen, die Arbeit mit ihm habe großen Spaß gemacht und bald schon seien sie wie Freunde gewesen.

      In der neunten Klasse, СКАЧАТЬ