Название: Eine Tasse Tee
Автор: Kathrin Groß-Striffler
Издательство: Автор
Жанр: Публицистика: прочее
isbn: 9783954629350
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Das Haus der Madsens liegt an der hinteren Spitze der Insel, direkt am Meer und an drei Seiten von Wald umgeben. Ein Schotterweg führt hin. Er hat seinen Anhänger an den Traktor gekoppelt und holpert auf das Haus zu, das von hier aus nicht zu sehen ist. Sein Herz rumpelt in seiner Brust. In der Regel bringen die Bewohner ihre zugebundenen Müllsäcke bis vor an Straße oder Weg, aber heute liegt noch kein Sack da, wahrscheinlich rechnen sie erst später mit ihm. Er lässt den Motor laufen und steigt ab, froh über das laute Rattern, das ihm Schützenhilfe gibt. Er klappt das Brett des Anhängers herunter, legt sich die Worte zurecht, wenn sie lächelt, wird alles ein Leichtes sein, wenn nicht, wird er sich lächerlich machen mit seinem Gestammel, wie auch immer, es muss sein, er gibt sich einen Ruck und dreht sich um. Und dann geht alles so schnell, wie es auf der Fähre langsam gegangen ist, wo er noch glaubte, Zeit zu haben, wo er noch glaubte, auch für ihn könne es so etwas wie Glück geben, einen zaghaften, herrlichen Augenblick lang, der sich für immer in sein Herz eingegraben hat, von dem er wird zehren müssen, sollte er jemals in der Lage sein, ihr das zu vergeben, was sie ihm jetzt antut: sie kommt auf ihn zu, ein hochgewachsener Mann ist an ihrer Seite, ein Wagen mit deutschem Kennzeichen steht vor dem Haus, sie stockt, sieht ihn, sieht den Anhänger mit den paar Müllsäcken, die er auf dem Weg hierher eingesammelt hat, schiebt demonstrativ ihren Arm unter den des Mannes und lächelt Niels an. Es ist ein anderes Lächeln als auf dem Schiff. Es ist von oben herab, und es macht ihn kleiner, als er ohnehin ist, es ist fremd, grausam und demütigend. Es misst ihn, es urteilt ihn ab. Mit einem fröhlichen Hi! gehen beide an ihm vorüber. Und wieder ist es ihr Rücken, auf den er starrt, den er hassen würde, wenn er nur könnte, allein die Selbstachtung gebietet es schon, aber vernichtet, wie er ist, ist er nicht fähig zu Hass, auch deswegen, weil er noch etwas anderes in ihrem Gesicht erkannt hat, in ihren grauen Augen, die er zum ersten Mal aus der Nähe gesehen hat, die einen kleinen goldenen Stern in der Mitte haben, die weit aufgerissen waren, Augen, die der Spiegel der Seele sind, wie man sagt, und die seine kurz trafen: Angst.
meine mutter und ich
Meine Mutter und ich, wir sind die letzten unserer Art. Wenn sie tot ist, wenn ich tot bin, kommt keiner mehr.
Im Haus meiner Mutter gibt es keine weichen Teppiche. Dafür ein paar verschlissene Läufer, mit Fransen. Unter den hohen Stuckdecken, in den dunklen Winkeln, lastet das Schweigen. Das Haus ist vollgestopft bis unters Dach, vollgestopft mit all dem, was sie nicht wegwerfen kann. Vasen. Krüge. Möbel, die seit dem Tod meines Vaters nicht mehr gebraucht werden. Seine Wäsche, seine Mäntel. Seine Bücher. Sein Schreibtisch. Das kalte Licht der Lampen leuchtet jeden Winkel aus. Sammeltassen stapeln sich, alte Schuhe, sauber in die Kartons verpackt, in denen sie gekauft wurden. Meine Mutter hortet. Warum hast du den Putzlumpen weggeworfen, Margarete, sagt sie anklagend, er war doch noch gut. Nein, sage ich, er war dünn und verschlissen, und er hatte Löcher. Du schmeißt alles weg, sagt sie im Ton des Vorwurfs. Ich sage, wir kaufen einen neuen. Sie sagt, kommt nicht in Frage. Dafür gebe ich mein Geld nicht aus. Schau, dass du ihn wiederfindest. Die Müllabfuhr war noch nicht da.
Im Haus meiner Mutter weht kein frischer Wind. Nie öffnet sie die Fenster. Das Schweigen und die abgestandene Luft und der Staub hängen in den Räumen. Bei einem meiner letzten Besuche habe ich gesagt, Mutter, es riecht seltsam. Da hat sie schnell den Kopf geschüttelt. Das ist die Waschlauge, hat sie gesagt. Ich habe heute Morgen Kleider eingeweicht. Warum benutzt du nicht die Waschmaschine?, frage ich. Strom ist teuer, sagt sie.
Draußen ist es dunkel, und der Zug, der mich zu meiner Mutter bringt, gleitet fast geräuschlos durch die Nacht. Hin und wieder blitzen Lichter auf, Städte, Dörfer, Menschen sehe ich an Fenstern sitzen, ganz kurz nur, dann saugt die Bahn das Licht in sich auf, gleitet weiter durch Felder und Hügel, die schwarz liegen wie das Meer bei Nacht. Sie, meine Mutter, ist im Krankenhaus. Auf allen Vieren ist sie aus dem Garten die Treppe hoch zum Telefon gekrochen, hat mich angerufen mit einer Stimme, die mich ins Mark erschreckt hat, so von weit her klang sie, als hätte meine Mutter schon den Tod gesehen. Sie ist einundneunzig, meine Mutter. Sie hat die Fliesen der großen Terrasse hinter ihrem Haus tagelang mit einer Wurzelbürste bearbeitet. Sie hat Eimer mit Tonfarbe gekauft und ins Haus geschleppt, СКАЧАТЬ