Eine Tasse Tee. Kathrin Groß-Striffler
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Название: Eine Tasse Tee

Автор: Kathrin Groß-Striffler

Издательство: Автор

Жанр: Публицистика: прочее

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isbn: 9783954629350

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       Meinen Eltern gewidmet

      die hexe

      Hast wohl Angst?, flüstert Tom. Gib’s zu, dass du Angst hast. Er tastet nach meiner Hand. Seine ist warm und feucht. Ich habe eine Gänsehaut. Es ist stockdunkel im Wald, und rechts und links knackt es im Gebüsch. Ein Käuzchen schreit. Wie kann man bloß mutterseelenallein dort wohnen. Ich hab’ ja so einen Verdacht, sagt Bernd, was sie mit dem Mädchen gemacht hat. Was denn, flüstert Kathi. Ich spür’, dass auch sie Angst hat. Bernd wartet eine Weile, um die Spannung zu erhöhen. Na, dreimal dürft ihr raten, zischt er dann. Kein Mensch hat das Mädchen mehr gesehen. Also was wird sie wohl mit ihm gemacht haben. An einem Tag war sie noch da, und am nächsten war sie verschwunden. Hört mal, was ist das? Wir bleiben gebannt stehen. Ein gruseliger Schrei, einmal, zweimal. Ein Hirsch, sagt Tom. Sein Vater ist Jäger, er muss es wissen. Meine Nackenhaare sind gesträubt. Am liebsten würde ich umkehren. Wieder knacken Äste, diesmal so laut, als wäre etwas – ein Mensch?, ein großes schweres Tier? – ganz in unserer Nähe. Keine einzige Straßenlampe, murrt Bernd. Er ist über einen Stein gestolpert und flucht leise. Den nehm’ ich mit, sagt er. Bernd hat gesagt: Wetten, dass ihr euch nicht traut, nachts hinter zu ihrem Haus zu laufen? Wetten? Tom hat gesagt: Ist ja wohl Peanuts, ja, das hat er gesagt, und jetzt bibbert er vor Angst. Weil sie eine Verrückte ist. Sie stammt von einem Zigeuner ab und wohnt allein in einem runtergekommenen Haus mitten im Wald. Gaga ist sie, das sagen alle im Dorf. So was von gaga. Mein Vater sagt, sie hätte als Mann zur Welt kommen sollen. Ihre Stimme ist wie ein Maschinengewehr, rattatata. Sie trägt eine alte Jeans und einen Männerhut. Wahrscheinlich hat sie eine Pistole, flüstert Tom. Kathi summt ein Lied, wohl um sich Mut zu machen. We are the champions. Klar. Ich will heim, aber sie schiebt mich weiter. Und wo hat sie es dann hingetan?, fragt Tom. Das Mädchen, mein’ ich. Wahrscheinlich im Garten verbuddelt, sagt Bernd, was weiß denn ich. Hinter uns, im Dorf, bellt ein Hund. Die hört uns doch, sagt Kathi, wenn wir uns vor ihrem Haus rumtreiben. Soll sie ja auch, sagt Bernd. Sie soll sich zu Tode fürchten. Aber auch seine Stimme klingt nicht ganz wie sonst. Am Nachmittag haben er und Kathi sich auf dem Boden gerollt. Sie hat ihn an seinen abstehenden Ohren gezogen. Da scheint die Sonne durch, hat sie gerufen und sich totgelacht. Kathi lässt sich nichts bieten. Ich wünschte, ich wäre wie sie. Sie haben sich gekloppt, weil Bernd gesagt hat: Nichts für Mädchen, ihr bleibt daheim. Können wir nicht brauchen, dass ihr mittendrin die Krise kriegt. Kathi hat verächtlich ausgespuckt. Eine Wolke hängt vor dem Mond, der grade so viel Licht gibt, dass wir den Weg erkennen können. Wieder knackt es laut. Aber ich kann nicht umkehren, ich kann nicht allein zurück. Ich halte mich an Kathi fest. Alte Hexe, knurrt Bernd. Schreibt Gedichte. Andre Leute gehen arbeiten, und sie kassiert Hartz IV und macht so einen Schwachsinn. Neben uns ertönt ein leises Wimmern. Hoch und dünn, als würde ein Tier gefressen, eine Maus vielleicht. Ich sterbe vor Angst. Ich will heim. Ich flüstere: Kommt, wir kehren um. Hab’s ja gewusst, stöhnt Bernd. Weiber. Jetzt erst fällt mir auf, dass Tom kein Wort sagt. Tom, flehe ich. Bitte. Tom brummt: Die braucht mal eine auf den Kopf. Blöde alte Hexe. Genau, bestätigt Bernd. Ruhe jetzt. Erst mal schau’n wir durchs Fenster, was sie treibt.

      Das alte Haus liegt im Dunkeln, nur ein Fenster im Erdgeschoss ist erleuchtet. Wir schleichen uns an. Mein Herz pocht so laut, dass sie es hören muss. Aber sie sieht nicht auf. Sie sitzt an einem Schreibtisch und hat eine kleine Lampe brennen. Sie schreibt. Nicht mit dem Computer, sondern mit einem Stift. Auf ihrem Schoß liegt zusammengerollt ihre Katze. Die Katze folgt ihr manchmal, wenn sie im Dorf einkaufen geht. Wo der Wald aufhört, setzt sie sich hin und wartet. Auch das ist gaga. Wer hat schon mal von einer Katze gehört, die ihrer Besitzerin folgt wie ein Hund. Das Verrücktsein ist auf sie übergesprungen, sagt Kathis Mutter. Wir starren hinein. Wir rühren uns nicht. Das Licht scheint so warm, so heimelig. Ich glaub’ fast, die Katze schnurren zu hören. Sie hat die Augen zu schmalen Schlitzen geschlossen. Bernd flüstert: Ich schmeiß’ den Stein in das Schuppenfenster. Dann brüllen wir was und hauen ab. Und wenn sie uns abknallt?, flüstert Kathi atemlos. Im Dunkeln, gibt Bernd höhnisch zurück. Bevor die zu sich kommt, sind wir weg. Wir ziehen uns mit geduckten Köpfen vom Fenster zurück, bis wir wieder auf dem Weg stehen. Da schmeißt Bernd den Stein. Er trifft das Fenster nicht, sondern der Stein rumpelt gegen die Holzwand. Hexe, schreit er, und wir stimmen ein. Hexe! Deine Mutter war eine Zigeunerhure!, schreit Tom, und Bernd lacht begeistert. Kathi schreit: Fuck you! Hinter meinem Nabel kitzelt es. Ich will, dass sie diese Nacht nie vergisst. Ich will, dass sie Angst hat. Dass sie merkt, dass sie keiner leiden kann im Dorf, ich will, dass sie uns in Ruhe lässt mit ihrer Maschinengewehrstimme und ihrer verrückten Katze. Abhauen soll sie. Woanders hinziehen. Und gleichzeitig hab’ ich einen Kloß im Hals. Ich schreie: Hau ab!, und fange an zu heulen. Am liebsten würde ich noch einen Stein schmeißen. Denn sie kommt nicht raus. Sie kommt nicht raus, und sie hat auch keine Pistole. Sie zieht einfach die Vorhänge zu. Als wären wir dumme Gören, nicht der Rede wert. Los, wir hauen ab!, ruft Bernd. Wahrscheinlich holt sie die Polizei, beeilt euch! Dabei wissen wir alle, dass sie die Polizei nicht holt. Sie tut gar nichts. Wir schleichen davon. Wir müssen nicht mal rennen. Wortlos halten wir uns auf dem Weg, die anderen drei sind vor mir, ich stolpere hinterher. Ich weine immer noch. Crybaby, sagt Bernd verächtlich. Die Wolke ist weitergezogen, der Mond scheint hell.

      Auch bei uns brennt nur unten im Arbeitszimmer meines Vaters Licht. Er dreht sich um und zieht mich an sich: Sag mal, hat Mama dich auch abends so spät noch rausgelassen, fragt er? Es ist doch gar nicht spät, sage ich, außerdem war ich nur bei Kathi, hab’ ich dir doch gesagt. Ist schon gut, sagt er, ich lehne mich an ihn, ich sage: Du riechst nach Zigarette, er lächelt traurig und sagt: Ich bekenne mich schuldig. Habt ihr schön gespielt?, fragt er, und ich nicke. Bald geht der Ernst des Lebens wieder los, sagt er. Ich bin so froh, dass Kathis Mama die Ferien über nach dir geschaut hat. Und dass ich so viel von daheim aus machen kann. Wir schweigen. Ich spüre seinen Arm um meine Taille. Ich schaue auf den Monitor. Was ist das, frage ich, ein neues Haus? Eine Sporthalle, sagt er. Du weißt doch, wo die Aschenbahn ist, da wird ein Sportzentrum hinkommen. Mit Restaurant, richtig schick. Krass, sage ich. Ihr werdet dort in Zukunft euren Sportunterricht haben, sagt er. Ab dem übernächsten Schuljahr. Kathi und Bernd und Tom auch? Er nickt. Klar, sagt er, das Zentrum ist für alle Schulen in Weikersheim. Weißt du, was ich nicht mag?, sage ich leise. Ich mag das Busfahren nicht. Das wusste bisher nur Mama. Er schaut mich an. Findest du, fragt er, wir sollten in die Stadt ziehen? Er sieht aus, als wäre ihm der Gedanke schon öfter gekommen. Erschrocken schüttle ich den Kopf. Weg von Kathi und Tom und Bernd? Unvorstellbar. Vielleicht, sinniert er, wär’ das gut für uns. Wir könnten das Haus verkaufen und uns eine schöne Wohnung suchen. Er schaut in meine schreckensgeweiteten Augen. Lächelt. Beruhige dich, war nur so eine Idee. Und jetzt lauf, ich hab’ noch zu tun. Er gibt mir einen Schubs. Zieh ab, Häschen, sagt er. Wir kriegen das schon hin, mach dir keine Sorgen. Was er meint, ist unser Leben zu zweit.

      Aber ich bin mir da nicht so sicher. Die Tür zum Arbeitszimmer meiner Mutter ist zu. Er bringt es nicht fertig, ihre Sachen auszuräumen. Ich weiß nicht, was schlimmer ist, die geschlossene Tür oder ein neu eingerichtetes Zimmer. Es ist still im Haus. Ich mache überall Licht. Die Holzdielen knarzen unter meinen Füßen. Ich wollte, ich hätte eine Schwester oder einen Bruder. Lieber eine Schwester. Zu der könnte ich jetzt ins Zimmer und mit ihr kuscheln. Ich könnte ihr von der Dichterin erzählen. Wie sie schreibend an ihrem Tisch saß, mitten im dunklen Wald. Meine Schwester würde sehnsüchtig sagen, ich wollte, ich könnte auch Gedichte schreiben. Darauf ich: Warte, ich hol’ was. Ich würde in mein Zimmer hüpfen und ihr meine Gedichte bringen. Hab’ ich geschrieben, würde ich stolz sagen. Du? Sie wär’ blass vor Neid, würde sie lesen und ganz super finden. Du wirst bestimmt noch berühmt, würde sie sagen. Noch berühmter als die hinten im Wald. Stattdessen schaue ich nun allein auf meine Verse. Einen lese ich laut, aber meine Stimme hallt, und mir geht eine Gänsehaut auf. Ich hab’ mir vorgestellt, ich wär’ eine Blume auf dem Grab meiner Mutter. Ich beschreibe, wie es auf mich regnet, wie die Sonne auf mich scheint. Wenn ich das meinem Vater vorlesen würde, würde er weinen. Ich kann ihm nicht alles sagen. Ich muss auf ihn aufpassen. Mein Handy klingelt. Es ist Kathi. Weißt du, fragt sie laut, СКАЧАТЬ