Fahlmann. Christopher Ecker
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Название: Fahlmann

Автор: Christopher Ecker

Издательство: Автор

Жанр: Современная зарубежная литература

Серия:

isbn: 9783954620906

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СКАЧАТЬ Name bedenkenlos durch. Komisch. Wieso sollte er dann nicht auch in einem literarischen Text funktionieren? Capart spürte das beruhigende Gewicht der Luger in der Hosentasche. Capart hatte den Berg schon oft zuvor erklommen, aber heute war ein besonderer Tag: Heute würde er Polkinger auf dem Gipfel treffen. Nur mit solchen Beispielsätzen gelang es mir, einen Namen auf Texttauglichkeit zu testen. Die Hauptperson meines Romans hatte ursprünglich heißen sollen: Eisler (zu kalt), dann Lindner (zu warm, zu wurmig), und erst nach mehreren Wochen und hunderter solcher Testsätze hatte ich einen wohltemperierten Namen gefunden, der passte, einen wunderbaren, zweisilbigen Namen, der gleichzeitig hart und dumpf klang. Vielleicht hätte ich meinen Helden auch Capart nennen können. Obwohl: Mein Held sah nicht wie ein Capart aus. Caparts waren dümmliche Greise, die sich darin gefielen, nett zu jungen Lyrikern zu sein, weil diese sie irrtümlicherweise an jüngere Versionen ihres Ichs erinnerten. Bestimmt hatte der junge Capart geschriftstellert, Selbstgereimtes im Stil Gottfried Benns, und heute schrie die Prostata. Namen. Weiter über Namen nachdenken!

      Um seine charakterlosen Protagonisten zu benennen, arbeitete Winkler mit einem Namenslexikon, während ich meine Erinnerungen plünderte (ehemalige Nachbarn, Lehrer, Feinde), seltener Anagramme bastelte, noch seltener eigene Erfindungen verwendete oder, wenn gar nichts mehr ging, das Telefonbuch von Kiel bemühte. Von Kiel, damit ich nicht in Gefahr lief, den Leuten aus meinen Texten irgendwann einmal auf der Straße zu begegnen. Das Telefonbuch von Kiel, das damals immer auf meinem Schreibtisch lag, war ein wunderbares Buch voller enigmatischer Einträge wie: Mehmet Nuri Atabek, Mustafa Atak, Altanta Segelyacht, ATARI Fachhändler, Seydi Atas, Bahman Atashfeshan, Ahmet Atasoy. Nachdem Mehmet Nuri Atabek, Mustafa Atak, Atlanta Segelyacht und Ahmet Atasoy die Wüste Atas durchquert hatten, gelangten sie in eine kleine Stadt, und über den engen Gässchen und hinter dem sengenden Auge einer unbarmherzigen Sonne klappte ihr Schöpfer das Telefonbuch zu, beendete ihre Existenz, fand sich auf einem Dachboden in der süddeutschen Provinz wieder, es war später Nachmittag, und er wusste, dass er diese verfluchte Hausarbeit niemals schreiben würde. Ich zog der Schreibmaschine die Phrygiermütze (Gott, hatte ich mich bei der Lesung blamiert!) aus schwarzem Plastik über den Kopf und ging nach unten – Susanne hatte Herrenbesuch. Doch ich greife vor. Holzstufen knarrten; die Treppenhauswände waren untapeziert; den Abstieg begleiteten eine in Handhöhe angebrachte Zierleiste (links) und ein Geländer (rechts), dessen Handlauf sich rau wie die Haut eines Dickhäuters anfühlte. In unserer Wohnung lachte Susanne. Vielleicht ist Anja zu Besuch, dachte ich, aber da hörte ich ein Männerlachen. Ich setzte mich auf die Antrittsstufe, Susanne lachte, der Mann lachte, ich kniff mir ausgiebig in den Handrücken, stand endlich auf und steckte den Schlüssel ins Schloss der Wohnungstür.

      Augenblicklich machte sich befangene Stille breit, kroch in sämtliche Ritzen und Winkel meines Zuhauses, kroch in die Taschen der sehnsüchtig auf den Winter wartenden Mäntel an der Garderobe, kroch sogar hinter Spiegel und Weltkarte.

      «Schatz?», fragte ich halblaut, um sie zu ärgern.

      «Hier!», rief Susanne. «Wir sind im Wohnzimmer.»

      Neben ihr auf der Couch saß der weißhaarige Kerl, mit dem sie sich immer in der Edeka-Kantine traf. Vor ihnen auf dem Wohnzimmertisch schaute ein mit Krümeln bedecktes Papptablett aus der Tüte einer mir wohlbekannten Bäckerei. Susanne stellte ihre Tasse neben den Untersetzer. Der Kerl starrte mich mit leerem Gesichtsausdruck an, abwartend, selbstsicher, ohne den leisesten Funken Neugierde, den ich ihm gnädig als Intelligenz ausgelegt hätte. Jemand wie ihm konnte man bestimmt erzählen, Käpten Nero habe bei Trafalgar die belgische Flotte besiegt. Der Schwachkopf sah aus, als käme er direkt aus Spitzbergen. Dort arbeitete er wahrscheinlich in einem Tante-Emma-Laden, denn seine grüblerisch vorstehende Unterlippe und das ausgeprägte Kinn machten es so gut wie unmöglich, nicht an altmodische Registrierkassen zu denken. Käpten Neptun, letterte ich für eine imaginäre Idiotengazette, steckt mit seinem Atom-U-Boot Naupilus im Krakianengraben fest. Von den Ohren sichelten sich schneeweiße Koteletten zu den Mundwinkeln; die Albinohaare hatte er in modischen Gustav-Gans-Wellen zurückgegelt; an eine solche Allerweltsvisage erinnert man sich nur, wenn einem der Besitzer mit einer Machete die Hand abgehackt hat. Ungeheuerlich, dass Susanne für einen solchen Blödmann ihr Haar hochsteckte (normalerweise tat sie das nur, wenn sie freitagabends mit Anja ausging). Aber noch ungeheuerlicher fand ich es, dass mein guter Freund, der sonst so menschenscheue Om, wohlig schnurrend und mit geschlossenen Augen auf dem Schoß des Scheißkerls saß. «Tach», sagte ich ansatzweise diplomatisch.

      «Das ist der Wolfgang», Susannes Hand wedelte unbehaglich in seine Richtung, streckte sich aus, zeigte auf mich: «Der Georg.»

      Die Oberschenkel der beiden berührten sich auf der Couch.

      «Wir kennen uns vom Sehen», sagte der Weiß-Haar-Mann.

      Susanne sah ihn an, sah mich an, sah Om an.

      «Ich geh mal ne Cola trinken», sagte ich. Im Flur rief ich in meiner verlockensten Jetzt-gibts-was-zu-fressen-Stimme nach Om, doch der wollte nichts mehr mit mir zu tun haben. Ich trank eine Dose kalte Cola am offenen Küchenfenster, rauchte eine Senior Service, aschte in den Hof und bedauerte Heinz, der mit Onkel Jörg einen patinierten Eichensarg mit Palmenschnitzung zum Transit trug, Turmuhren, ich dachte an Turmuhren mit Glockenspiel, jede Stunde liefen die mechanischen Abbilder von Onkel Jörg und Heinz mit einem Sarg rund, der Sarg verband Onkel Jörg in einem Winkel von 35 Grad mit Heinz’ gekrümmter Gestalt, ruckartig bewegten sich beide Figuren zum Dröhnen der Glocken, ein allegorisches Bild der Vergänglichkeit, eine ächzende, kreuzkranke Sarguhr, der Transit fuhr davon, ich hob den Blick zur Küchenlampe, die Punkte, das ist Fliegenschiss, zweite Dose. Die klebrige matte Süße der Cola harmonisierte bei Weitem nicht so gut mit der Zigarette wie Espresso. Eine Espressomaschine wäre eine lohnende Anschaffung, eines dieser ewig verschnupften Metallungetüme – aber wo das Ding hinstellen? Ich sah mich um, fand keinen geeigneten Platz, schaute wieder aus dem Fenster, hinter mir tropfte der Wasserhahn. Jemand lachte. Pause.

      Einige Stunden später: Ich erinnere mich mit Wehmut an unsere Küche. Ein Fenster (mein Fenster!) in der Westwand (Hof), ein Fenster (anderes Fenster) in der Südwand (Straße), dazwischen die vollgebröselte Hochebene des Kiefernholztischs, den uns Heinz zur Hochzeit gezimmert hat. Ich lasse den Blick über die Nordwand des erinnerten Raums gleiten: Östlich der Küchenlokomotive, deren einzelne Wagons «Herd», «Spüle» und «Kühlschrank» heißen, führt die nördliche der beiden Türen in den Wohnungsflur; über der bewegungslosen Lokomotive schweben Hängeschränke als Holzgewölk, dazwischen das kalkfenstrige UFO des Boilers. Ein demütigendes Doppellachen ertönt hinter der Tür in der Ostwand, der Tür zum Wohnzimmer; Susannes melodisches Gelächter zerrissen von rauhem Belfern. Lachte Susanne, es tut weh, daran zu denken, warf sie den Kopf in den Nacken. Die Haut spannte sich an ihrer Kehle und vertiefte die Grube zwischen den Schlüsselbeinrändern. Gott sei dank ist Jens unten bei Mutter und macht mit ihr seine idiotischen Hausaufgaben. Ich hatte befürchtet, dass Susanne den Burschen irgendwann einmal anschleppen würde, eine Eisenstange über den Kopf, nimm dies, du Bastard einer räudigen Spitzbergenschlampe! Packt mal an, Freunde, wir legen ihn zu ner dürren Oma in den Sarg. «Die Alte ist verdammt schwer», wundern sich die Sargträger. «Weitermachen!», rufe ich, sie geben Seil nach, der Kasten rumpelt hinab ins Erdloch, Amen. Nur ins Krematorium darf der Sarg nicht kommen, denn von dort nehmen wir alle Särge wieder mit, bevor Onkel Jörgs Mitverschwörer die Toten auspacken und auf großen Pappkartonstücken in den Hänsel-&-Gretel-Backofen schieben. «Eine Schande ist das!», hatte sich Onkel Jörg gerechtfertigt, als wir nach meinem ersten Arbeitstag im Beerdigungsinstitut Gebr. Fahlmann ein Bierchen im Büro tranken. «Man kann doch keinen Kiefernsarg, der 1.228,– DM wert ist, verbrennen lassen!» Ich verstand sofort.

      «Du verkaufst die Särge also wieder, als wären sie ungebraucht?» – «Armin war nie damit einverstanden, aber du musst doch zugeben, dass die Leute dafür bezahlen, den Sarg, den sie gekauft haben, nie wiederzusehen. Sie wollen damit nichts mehr zu tun haben. Und ob der Sarg nun verbrannt wird, oder ob ich ihn an den nächsten Kunden weiterverscherbele, ist doch schnuppe!» Onkel Jörg setzte die Bierflasche СКАЧАТЬ