Название: Die Chroniken des Südviertels
Автор: Rimantas Kmita
Издательство: Автор
Жанр: Контркультура
isbn: 9783963112973
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Also, Dad hatte mir geräucherte Würste aus seiner Fabrik organisiert, morgen streiken die Lehrer, also ab nach Riga und wieder zurück mit Kapital, das man mit den Händen greifen kann. Und wenns rund läuft, dann ist alles chicago bulls.
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Diesmal fuhr ich mit nur einer Tasche, dafür fein säuberlich in Lagen vollgestopft mit geräucherten Würsten. Das ist was ganz anderes als Brot. Bei dem schleppste zwei volle Säcke mit und weißte gar nicht, wohin damit. Und dann kommste zwar nicht in die roten Zahlen, aber zockst dreimal weniger ab als mit den Würsten. Nach meinen Berechnungen hätte ich, wenn alles glatt ging, etwa sechzig Bucks in der Tasche, und damit lässt sichs schon spielen. Etwas zur Seite legen, bei der Bank, die zahlte ja jetzt ganz passable Zinsen, den Rest an verschiedenen Fronten in Umlauf bringen, um sich n bisschen gegen Risiken abzusichern. Jetzt aber hatte ich all meine Knete reingesteckt, die mir noch von Polen geblieben war, und Dad hatte auch noch was dazugelegt.
Wir fuhren also eher ruhig nach Riga. Wem sollte denn schon ne kleine Tasche auffallen, wenn rundherum Säcke voller Brot standen? Wir quatschten mit allen über die Preise und was wo besser lief. So ne Schabracke hatte furchtbares Mitleid mit den Ukrainern am Bahnhof in Šiauliai. Die würden dort einer nachm anderen skalpiert. In Riga wäre das nicht so. Einmal sollen zwei Typen angetanzt sein, angeblich aus der Polizeiwache Prūdelis. Einer zeigte nen alten Ausweis der freiwilligen Hilfspolizei, der andere nen Führerschein. Woher sollten die Ukrainer denn auch wissen, wie die Ausweise der Polente hier aussahen? Zahlen!, sagten die. N andermal kam einer mit nem echten Polypen, nem neunzehnjährigen Lümmel von eben jener Polizeiwache, und verdonnerte n Taras zu ner Geldstrafe von tausend Talonai. Als jener rumzumotzen begann, tauchten andere Polypen auf, na echte, und sahen zu, dass er sich schnell wieder einkriegte. Jetzt standen Name, Vorname und Adresse des Strafgeldforderers in unserer Zeitung. Irgendwie schnallte ich nicht ganz, warum die dort andauernd die Adressen von irgendwelchen kleinen Fischen veröffentlichten. Vielleicht, damit dieser Taras in die Krimstraße gehen und ihn zu Mus hauen kann? Oder vielleicht, damit andere mit nem Businessplan bei ihm vorbeischauen und sich Uniform und Ausweis von ihm ausleihen?
Lauter Zirkus. Genau wie mit diesen Präsidentenwahlen. Mir ja egal, ich konnte weder wählen noch sonst was, aber dafür reichten die Themen, damit im Zug keinem langweilig wurde. Der Geilste war dieser Vilkaitis, der Kandidat des litauischen Ablegers der Weltbewegung der Essenden. Der ratterte durchs ganze Land, verteilte Semmeln und rief: »Wer hat, der beiße!« Ob das denn nicht eine Verhöhnung der Leute wäre, sagte ne Frau, die nicht nur keine Semmeln, sondern auch sonst kein Brot bekamen.
Im TV zeigten sie seinen Stellvertreter, Erlickas, den humoristischen Autor, wie er die Fragen der Journalisten beantwortete. Der brachte die Lippen nicht auseinander, sprach irgendwie ausm Bauch und zeigte irgendwas mit den Fingern, während n anderer den Journalisten zu übersetzen versuchte, was der Vizepräsident sagte. Minde und ich lachten uns krumm, so beknackt war das. Vilkaitis isn guter Schauspieler und Erlickas ist überhaupt n Supertyp. Sie zeigten Ausschnitte aus nem Theaterstück von ihm, da macht er alle Präsidenten und Möchtegernpolitiker voll konkret zur Schnecke.
Als wir uns Riga näherten, sang Minde wieder sein altes Lied.
»Dann also bei den Markthallen?«
»Bei welchen Markthallen denn? Hab dir doch gesagt, dass die uns dort aufsammeln kommen, da kannste Gift drauf nehmen.«
»Mit den Broten haben die uns kein einziges Mal eingepackt, warum sollten sie das jetzt? Unsere Ware geht weg wie warme Semmeln, und dann ab mitm nächsten Zug nach Hause!«
»Einmal ist immer das erste Mal.«
»Beim ersten Mal gibts Blut aufm Laken. Das ist nicht das erste Mal.«
»Was laberste da? Welches Blut denn? Kommt mir mit Laken daher.«
»Fürn Arsch ist das, hierher zu tuckeln und dann nicht richtig Cash zu machen.«
»Hörma, wenn du willst, dann stell du dich doch vor diese Hallen. Wir müssen ja nicht Händchen halten. Und wenn du wieder daheim bist, dann such dir ne Tusse, und dann reden wir weiter über Laken und so.«
Minde hatte echt keine Freundin, und ich hätte das bemerkt, wenn er sich an eine rangemacht hätte. Aber die waren ihm irgendwie schnuppe, na, zumindest war nix von Interesse zu spüren. Leichte Segelohren, aber sonst n klasse Typ. Da waren ständig n paar Hippiemädchen oder so bei ihm, aber ich verwette meinen Kopf, dass er keine von denen knallt. Die gehen irgendwie alle miteinander, schlurfen durch die Gegend, aber am Abend schläft jeder bei sich zu Hause. Sonst hätte er schon längst in hohen Tönen davon gespuckt. Und hier drängte sich ne andere Frage auf: Wenn er also keine Tusse suchte, wozu dann die Knete? Warum riss er sich den Arsch auf? Natürlich brauchte man nicht nur für die Mädels Kohle, sondern auch für Kassetten, Klamotten … Aber das alles war ja nur der Weg zu den Tussen. Seine Alten hatten n affengeiles Teil mit CD, Laserdisc, zwei Kassettendecks, das konnte man nicht einmal voll aufdrehen, sonst kam der Gips von der Decke runter und mit ihm die Nachbarn. Vom Videorekorder und der ausländischen Glotze ganz zu schweigen. Aber ich konnte ja nicht einfach fragen: Minde, wofür brauchste die Knete? Diese Frage, so schien es, widersprach sämtlichen Regeln der Grammatik von Šiauliai. Das wäre, als würde ich fragen: Warum atmeste? Oder: Warum ist deine Haut weiß? Solche Fragen stellen Kinder, die gerade sprechen gelernt haben, aber schon bald sind sie nicht mehr so rhetorisch.
Minde kam doch mit mir, und wir stellten den Inhalt unserer Taschen gleich am Bahnhof unter der Brücke aus. Ich begann schon zu bereuen, dass er nicht allein zu diesen Hallen oder sonst wohin marschiert war, denn es war doch echt witzlos, dass wir einer neben dem anderen standen und die gleichen Teile verscherbeln wollten. Aber ich sagte keinen Pieps mehr, denn ich wollte nicht, dass er wieder mit blutigen Laken oder ähnlichem Gefasel anfing. Aber noch bevor n paar Frauen zu uns kamen und sagten, wir würden zu viel für die Würste verlangen, tauchten auch schon zwei Polypen vor uns auf. Sie wiesen sich aus (warum wohl nur zeigen die ihre Ausweise immer so, dass du Namen und Foto ganz sicher nicht siehst?), fragten um des guten Tones willen, ob wir Genehmigungen hätten, und sagten dann, wir müssten auf die Wache mitkommen. Rundherum n Gedränge – keine Chance zur Flucht oder was. Die Polypen trugen keine Uniform, und mir ging der Gedanke nicht ausm Kopf, das könnten wie in Šiauliai irgendwelche schwachköpfigen Artisten sein. Doch die führten uns durchn Markt in Richtung Polizeiwache, und mit jedem Schritt wurden meine Zweifel immer kleiner und meine Panik immer größer. Was wird jetzt aus uns? Alles beschlagnahmt und dazu ne Geldstrafe? Oder n paar Tage Arrest? Wenn ich heute nicht heimkomme, dreht meine Mum durch.
Und wer hätte mir sagen können, warum man gerade uns aus diesem Ameisenhaufen ausgewählt hatte? Ich habe noch nie im Lotto gewonnen, aber hier fallen gerade unsere Zahlen! Bingo! Ab ins Studio für die Übergabe des Hauptgewinns! Warum ich? Warum unbedingt ich? Der Markt ist doch voller Typen ohne Genehmigung, aber uns packen sie ein. Wir sind überhaupt nur Plankton, das auf diesem Meer aus Scheiße treibt, aber die regelmäßigen Kunden und großen Fische lassen sie halt in Ruhe. Auf der Wache waren vielleicht noch zwei andere Kleinsthändler wie wir, und damit hattes sich. Dort hätten wahrscheinlich sowieso nur die mit Papieren Platz gefunden, um alle anderen hätte man nen schönen Zaun ziehen können – da haste deine Polizeiwache voller Gesetzesbrecher. Aber jetzt war das nur Affentheater.
Ein noch größeres Affentheater begann, als sie uns in n kleines Zimmer schickten und uns sagten, wir sollten uns bis auf die Unterhose ausziehen. Was wollten die in diesem Schwuchtelkontor denn finden? Hatte ich vielleicht ne Wurst in die Hose gesteckt? Wir steckten mit zitternden Fingern das letzte Bare in die Unterhose – vielleicht könnten wir ja zumindest das retten. Minde ging mir mächtig aufn Sack mit seinem Ich-habs-dir-doch-gesagt-lass-uns-zu-den-Hallen-Gehen. Wie oft wollte er mir das denn noch vorhalten? Und wie sollte ich darauf reagieren? Mich СКАЧАТЬ