Die Chroniken des Südviertels. Rimantas Kmita
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Название: Die Chroniken des Südviertels

Автор: Rimantas Kmita

Издательство: Автор

Жанр: Контркультура

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isbn: 9783963112973

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      4

      Im Training konnte ich nicht mit den Männern mithalten. Da gab es welche, die ließen mich einfach stehen, auch wenn ich in der Schule dauernd die Sprintrekorde verbesserte. Aber halb so schlimm. Schlimmer war, dass es hier keinen gab, den ich mit meiner Körpermasse hätte ins Out befördern können. Von einigen von denen prallte ich ab wie n Apfel von der Wand, die mussten mich nicht mal wegschubsen. Sie hatten mich als besten Spieler meiner Altersklasse genommen, obwohl ich viel zu jung für sie war – ich spielte ja noch bei den Junioren. Aber etwas wurmte mich dann doch: Wenn du sonst das Feld wie n Bulldozer aufrollst, aber jetzt wie n Holzspan davonfliegst, dann leidet dein Coolness-Rating ganz schön darunter. Du hast den Ball kaum berührt und schon liegste am Boden. Aber diesen Ball musste erst kriegen, manchmal glaubste, du hättest so nen Mantel an, der dich unsichtbar macht. Und wenn dann dieses Teil per Zufall doch in deinen Händen landet, dann biste so stolz und dem, der dir es dir zugespielt hat, so wahnsinnig dankbar, dass du für ne Sekunde gar nicht mehr weißt, waste damit anfangen sollst, und schon wieder am Boden liegst, bevor du dich eingekriegt hast.

      Aber nach zwei Wochen Training oder so gewöhnte ich mich langsam an die höhere Geschwindigkeit und Körpermasse. Ich hatte gelernt, n Spurt hinzulegen, dann den Gegner fast von hinten um die Hüfte zu packen und mich fallen zu lassen. Solange du beide Beine umfasst hältst, liegt der Typ wie gefesselt am Boden. Fürn Anfang reichte das, mit der Zeit würde sich alles einrenken. Und als ich hörte, dass sie mich nach Polen mitnehmen wollen, fühlte ich mich auf Augenhöhe mit ihnen. Von den Typen in meiner Klasse ganz zu schweigen … was heißt hier in meiner Klasse, in unserer ganzen Schule konnte es keiner mit mir aufnehmen.

      Das Problem dabei war nur, dass sie uns, n paar von den Jungen, zuletzt sagten, dass sie uns mitnehmen. Keine Zeit mehr für Vorbereitungen. Aber ohne was zum Versilbern nach Polen zu fahren … Du kommst vom Mond, würde man mit Recht zu mir sagen. Mit Polen hatte ich noch nicht viel zu tun gehabt, obwohl man dort offenbar alles Mögliche verscherbeln konnte. Aber wenn du irgendwo zum ersten Mal hinfährst und noch nicht weißt, wies dort ist, dann nimm besser keine Esswaren mit, du weißt ja nicht, wann und ob du überhaupt aufm Markt vorbeikommst. Mutter hatte so ihre eigenen Quellen, die sie ausfragte. Sie sülzte was von Knoblauchpressen, Kaffeemühlen, Wurstfüllern, Wäscheleinen und Pantoffeln. Was meint ihr dazu? Was würdet ihr aus dieser Liste mitnehmen? Die Polen schienen nix lieber zu tun, als Würste zu stopfen, doch dazu fehlten ihnen genau diese Röhrchen, die ihnen die Litauer brachten, und von diesen Röhrchen brauchte jeder zweite Pole mehr als eins. Ich gammelte ohne Plan durch die Stadt, kaufte das eine oder andere, dann hatte Mutter Mitleid mit mir. Sie stopfte Unterwäsche, Pyjamas, BHs und noch was aus ihrem Kleiderschrank, von dem sie dachte, das geht in Polen gut weg, in ne Tasche, bis sie prallvoll war. Ich schaute ihr dabei nicht über die Schultern. Etwas davon war sicher neu, anderes sah nur so aus, aber das machte eh keinen Unterschied.

      Am Abfahrtstag ging ich am Morgen mit dem Gefühl zum Bus, mir steht auf die Stirn geschrieben, dass ich ins Ausland fahre, und alle beneiden mich. Ich fühlte mich sogar n wenig unwohl vor lauter Coolness und hätte lieber wie n normaler Kumpel ausgesehen. Wenn du mit ner großen Tasche am Bus stehst, dann wissen alle, der versteht zu leben. Und wenn du nur mit den Rugbysachen und n paar Butterbroten im Gepäck antanzt? Dann würden sie sicher fragen, ob du dort vielleicht ne Tour durch die Museen vorhast, dass du mit leeren Händen antanzt.

      Ich glaubte, von den anderen würde mich niemand auch nur eines Blickes würdigen. Ich fuhr ja zum ersten Mal mit und landete im Training auch noch andauernd aufm Rasen … Aber denkste, die rufen mir schon von weitem allen möglichen Quatsch zu und ziehen mich durchn Kakao.

      »Stimmt genau!«, erwiderte ich, was hätte ich denn sonst sagen sollen, ich wollte ihnen doch zeigen, dass ich ihre Witze lustig finde, auch wenn die fürn Arsch waren, und ich kriegte schon langsam die Krise, denn ihre Augen leuchteten und sie hatten die Taschen natürlich mit Dingen vollgestopft, die wie warme Semmeln fürs Fünffache weggehen würden.

      Die Grenze passierten wir ohne Probleme. Die Grenzer stiegen ein, warfen n Blick in unsere Pässe, klopften die eine oder andere Tasche ab, aber mit den Muskelprotzen in Trainingsanzügen im Bus wollten sies nicht aufnehmen. Sportler. Zwar waren alle Busse voll mit Leuten in Trainingsanzügen, aber hier sahen sie alle gleich aus und hatten breitere Schultern.

      Als wir in Warschau ankamen, war schon fast Nacht. Wir schliefen aus, am Morgen n bisschen trainieren und am Nachmittag das erste Match gegen die siebte Mannschaft von irgend so nem polnischen Rugbyclub. Um ins Spiel zu kommen, den Platz auszuprobieren. Obwohl mir das ziemlich egal war. Bei den Junioren spielte ich im Gedränge, und hier stellten sie mich in die Verteidigung. Im Gedränge wäre ich hier zwar der Schnellste, aber solche Fleischmassen würden mich wie so n kleinen Pilz zerquetschen. Deshalb stellten sie mich ganz an den Rand. Ich hatte noch nie gern im Winter gespielt, aber im Winter am Rand – das war purer Selbstmord. Da stehste doch nur das ganze Match durch doof rum und wartest, bis der Ball zu dir kommt. Der ist aber schlüpfrig, und so enden alle Attacken, noch bevor sie wirklich begonnen haben. Wenn du den Ball n paarmal in die Hände kriegst, dann kannste von Glück reden. Aber meist frierste dir nur den Arsch ab und läufst rum, um n bisschen warm zu werden. Und biste in Ballbesitz, die Hände halb abgefroren, die Muskeln kalt – was glaubt ihr, was bringste dann fertig? Noch bevor du dich umsehen kannst, landeste auch schon im Out. So lautete meine einzige Aufgabe, die Verteidigung nicht zu verbocken, weil bei uns der Angriff meist übers Gedränge lief. Also durfte ich den Gegner auf derselben Position nicht vorbeilassen – genauso n Eisklotz wie ich.

      Aber dieser Eisklotz war nicht mein größtes Problem. Viel schlimmer waren einige von den Unseren. Da gab es welche, denen musste den Ball zuspielen, mit zittrigen Händen. Nicht abzuspielen ist keine Option, und dann machste dir in die Hose, weil die ganz sicher zu den Mafiatypen gehörten – sogar ihre Nachnamen stimmten: Baranauskas, Šiaulys. Was weiß ich denn, n Baranauskas spielt in unserem Fußballklub, der andere bei uns – oder vielleicht war das ja auch der, vor dem ganz Šiauliai Angst hatte? Wer nen Pass erhielt, der wusste genau, dass er den Ball an ihn weitergeben musste, und dass es, falls er das nicht richtig machte, für ihn besser wäre, sich ne Kugel zu verpassen. Die Hände aber waren steifgefroren, die Beine aus Holz, ich kam mir vor wie in der Antarktis und nicht in Warschau. Also rannte ich manchmal völlig in die Pampa, soll mich der Trainer ruhig anbrüllen, aber den Ball würde ich nicht kriegen.

      Diese Kerle vom Schlage eines Baranis nannten sie »Jungs«, manchmal auch »Prinzen«, sogar in den Zeitungen, und das klang einschüchternd und Ehrfurcht gebietend. Ich wusste nix über sie, aber ich glaubte, bei ihnen wäre das wie im Paten oder in Wilde Hunde, die ich vor kurzem in der Videothek gesehen hatte. Die hatten ihre Ordnung, Ehre und sogar eigene Traditionen. Und die Polizei sabberte was von Gangs, organisiertem Verbrechen. Man soll die Dinge beim Namen nennen. Sie waren die Chefs im Ring. Man musste ja nur n Blick auf sie werfen, und schon war einem alles klar. Sie fuhren rote Sportwagen Mitsubishi 3000 GT, fast so was wie Ferraris, während die Bullen ihnen mit ihren Schigulis hinterherkrochen. Sie setzten hunderttausende Bucks um, während die bei der Polente nur n Haufen verschissener Talonai kriegten. Wenn sie die nicht am selben Tag unter die Leute brachten, dann konnten sie sich am nächsten nur noch ne Packung Zucker und Graupen dafür kaufen.

      Eigentlich gab es gar keine richtigen Bullen mehr, die hatten sich ja alle zu Sicherheitsfirmen oder sonst wohin verzogen. Also blieben der Polente nur noch so Typen mit abgeschnittenen Hosen. Und jetzt stellt euch mal vor: Da kommt so einer mit seinem Klappergestell von nem Schiguli zum roten Mitsubishi gefahren, steigt aus, geht zu Baranis und sagt zu ihm … Na, was könnte der zu ihm sagen? Ich an seiner Stelle würde die Äuglein brav senken, die Ohren anlegen und betteln, dass er mich am Leben lässt. Und genau deshalb machte auch niemand Jagd auf die. Wie sollte man die denn erwischen? Selbst wenn du auf unerfindliche Weise einen von denen geschnappt und in die Arrestzelle gebracht hast, dann legt der nur n Hunni aufn Tisch und geht fröhlich pfeifend wieder. Der aber, der ihn zu den Bullen gebracht hat, kann sich schon n Plätzchen СКАЧАТЬ