Название: Die Chroniken des Südviertels
Автор: Rimantas Kmita
Издательство: Автор
Жанр: Контркультура
isbn: 9783963112973
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Und wirklich, neue Farben sind in unser Leben gekommen. Und neue Geschmäcker. Bananen, Coca-Cola, Bounty, Snickers, Mars an jeder Ecke. Aber die kosteten horrende Summen. Wichtig war jetzt, aus diesem vorübergehenden Tief rauszukommen. Also stehe ich da und sage wie das Ave-Maria auf: ND, LD, OC und JH … ND, LD, OC, JH … So geht der Seriennummern-Rosenkranz der gefälschten Talonai. Auch die Farben der Scheine sind jetzt viel bunter. Die Tiere des Waldes haben den Lenin abgelöst, denn für den Litauer ist der Wald Lenin, die Kirche und alle Fürsten zusammengenommen, zumindest hat man uns in der Penne so was erzählt, als wir den Hain von Anykščiai durchnahmen. Aber diese Talonai werden jetzt in Massen gefälscht … Mir scheint fast, die nehmen einfach ne Rolle Klopapier und drucken die. Alle sind in Panik, es vergeht kein Tag, an dem nicht Zeitungen und Fernsehen neue Fälle melden. Am liebsten haben die Fälscher die Fünfhunderter-Bären. Ein Bär gleich ein Dollar. Deshalb muss man die Seriennummern der Bären wie das Vaterunser auswendig kennen. Und wenn man mir so n Scheinchen in die Hand drückt, dann halt ichs ins Sonnenlicht, dreh und wendes lange hin und her und versuche dort was zu sehen, obwohls bei diesem Geld nix zu sehen gibt.
Dafür kapierte ich aufm Markt was Wichtiges schon sehr bald. Hier gabs keine Preisangaben. Das war nicht das Theatercafé, wo die Preise auf ner metallenen Speisekarte, die so n Gentleman mit Zylinder hielt, eingehämmert, genauer gesagt eingefräst waren. Die Preise aufm Markt geistern eher wie Gespenster in den Köpfen rum. Und wenn die in etwa übereinstimmen, dann wird gekauft. Wenn du nur Kartoffeln oder Karotten im Angebot hast, dann gilt das natürlich nicht, von denen haben ja auch viele andere, aber bei Waren, die sonst niemand hat, gibts ne einfache Standardprozedur. Du sprichst wie n erfahrener Juwelier, siehst den Käufer n bisschen von oben herab an, denn wenn er dich fragt, ob das echtes Gold ist, dann kannste ihm erklären, wie man echtes von falschem Gold unterscheidet. Das tust du dann und zeigst ihm, dass deine Blechdinger wirklich aus echtem Gold gefertigt sind. Wenn er nämlich so was fragt, dann kannste dir sicher sein, dass du ihm erzählen kannst, was immer du willst – er hat ja von Tuten und Blasen keine Ahnung. Und dann sagst du wie beiläufig, dass du in Riga warst, da verkaufen die solche Teile doppelt so teuer – ja, wer sollte die auch für solches Geld kaufen, aber die gehen dort weg … Wenn so ne Tusse kaufen möchte, aber sich einfach nicht entscheiden kann, dann schwärmste ihr vor, wie gut die Teile zu ihrer Haarfarbe und zur Form ihrer Ohren passen. Sie hat sicher noch nie über die Form ihrer Ohren nachgedacht, und auch kein Mann hat je was dazu gesagt, aber hier, der subtile Verkäufer, der tut es, ihr wird ganz warm ums Herz und sie zieht den Geldbeutel hervor.
Andere fragen nur nachm Preis und werden, wenn sie ihn hören, ganz konkret – Idiot. Da gibts nix abzustreiten. Da sagste nur leise, dass die anderen es hören, er aber nicht, so was wie: Zeig mir doch, wo du das billiger kriegst, der sucht wohl selbst nachm Döskopp und so weiter. Es gibt sogar welche, die fragen nach dem Preis, zücken das Portemonnaie und bezahlen. Und auf Wiedersehn. Die finden wohl, der Preis ist genau richtig. Diese Art von Zusammentreffen der Kopfgespinster ist am angenehmsten, aber so selten, dass mans in die Liste der bedrohten Arten aufnehmen müsste. Der Preis bedeutet fast nix. Jeder hat seinen Käufer. Wenn bei den Billigheimern alles ausverkauft ist, kaufen die Leute auch bei den teureren alles leer. Es finden sich immer Blödmänner, die das Dreifache bezahlen. Und n paar von denen glauben noch, wenn sie mehr bezahlen, kaufen sie auch was Besseres.
Aber Markt war nur selten und nur am Morgen, und fürn Abend musste man sich was anderes ausdenken. Ich hatte n paar Bucks in der Tasche und dachte, während ich durch die Warenlager strich, die direkt verkauften, ich nehm nen Karton Wodka Magic Crystal mit. Da hau ich dann n wenig drauf und verticke sie – bei mir ist der dann auf jeden Fall billiger als im Laden. Macht dich nicht reich, klar, aber gar nicht so übel. Ich kenne da n paar ganz Durstige, die ohne Magic Crystal keinen Abend rumbringen, und warum in die Nachtbar latschen, wenn dus beim Nachbarn billiger bekommst? Ich versprach mir nicht viel davon, aber die Sache kam so in Fahrt, dass ich kartonweise Stoff aus dem Warenlager anschleppte – so viel ich tragen konnte.
Erst kamen nur Bekannte zu mir, um zu kaufen, dann auch völlig Unbekannte. Als sich vollgepisste Alkis vor unserer Tür rumtrieben, sagten meine Alten, ich solle dieses Business für Omas an den Nagel hängen. Sie hatten mich schnell überzeugt. Solange das Geschäft ruhig läuft, ist alles im grünen Bereich, aber wenn die Alkis langsam Schlange stehen, musste jeden Augenblick mit Besuch von den Bullen rechnen. Und dann musste dich entscheiden: Entweder du nimmst dein Business ernst oder dann hängstes an den Nagel. Viel Kohle machste nicht damit, es sei denn, du bringst jeden Tag ne Palette davon an den Mann – dann spürste was. Also gab ich mein neues Business auf, aber zwei Wochen lang oder so klingelten diese Alkis noch an der Tür und regten sich auf – sei nicht so n Arsch, komm, rück schon damit raus. Das Hirn im Alk ertränkt, verstanden nicht mal mehr Litauisch. Also schickte ich sie auf Russisch weit weg. Das kapierten sie dann.
Während ich mich mit diesen Klunkern und Alkis abmühte, verloren die Letten völlig den Verstand. Führten Zölle ein und begannen Märkte und Züge zu durchkämmen. Zweihundert Grenzer ließen die auf einen einzigen Zug los, die knallten dann Stempel für Stempel in die Pässe, Tür zu nach Lettland. Und wenn du trotzdem mit deinen Brotlaiben bei ihnen anklopfst, dann sitzt du für drei bis sieben Jahre ein. Jeder darf nur so viel Essen mitführen, wie er für einen Tag braucht. Sie durchsuchen jeden Zug und halten ihn so lange auf, wies sein muss – alles von den Ministerien abgesegnet. Den Minderjährigen nehmen sie sogar Geburtsschein und Schülerausweis weg bei der Durchsuchung. N ganz mutiger Papa schimpfte: Was sollen wir denn tun, was durchsucht ihr uns, geht besser zu den Kleinlastwagen an der Grenze und durchsucht die, hier, schaut doch, diese Leute sind am Verhungern, und überhaupt, geben Sie meiner Tochter ihre Dokumente zurück, sie darf sich nicht aufregen, sie hat Epilepsie …
Da habt ihrs: Epileptiker schmuggeln Waren nach Lettland und verticken sie ohne Genehmigung auf den Märkten. Und regen sich kein bisschen auf, sind ruhig wie n tiefer See. Nur wenn man ihnen die Ausweise wegnimmt, dann bekommen sie gleich nen Anfall. Clowns. Aber was ist jetzt schon so n Ausweis? Es gibt Leute, die lassen, wenn sie sehen, dass Gefahr im Anzug ist, ihre vollen Taschen samt den alten Pässen, die ja schon bald durch neue, litauische ersetzt würden, stehen und nehmen die Beine unter die Arme. Wer weder nen alten noch nen neuen Pass hat, sondern nur diesen Wisch, der die Annahme der litauischen Staatsbürgerschaft bestätigt, den lassen die auch nicht mehr rein. Oder dann muss er n Foto reinkleben und von der Polizei abstempeln lassen. Die Letten nehmen jetzt die Warendeklaration ganz ernst. Wenn ich nur schon daran denke … Und natürlich musste Zoll bezahlen … Das ist ganz übel. Ich kannte das von meiner Mutter her – sie ist bei uns zu Hause nämlich so was wie der Zoll: Wenn du dir was beschafft hast, dann musstes deklarieren.
Im Herbst und im Winter liefen alle mit so coolen grauen Jacken rum, wo aufm Rücken Los Angeles Kings stand. Wahrscheinlich wusste keiner von denen, wer diese Kings waren (Eishockey und dann auch noch in Amerika, das ging hier allen am Arsch vorbei), und verwechselten sie mit den Lakers, aber alle liefen mit diesen Jacken durch die Gegend. Dann spielt es keine Rolle, wer diese Kings sind, und du brauchst unbedingt auch so eine. Ich bin zu faul, um euch hier zu erzählen, wie ich so eine aufgetrieben habe, Hauptsache, dass Mum, als ich damit und mit den geilsten Rap-Rhythmen im Herzen nach Hause kam, als Erstes fragte, wo ich die herhabe. Genau das ist das Wichtigste an der Deklaration, wie ich sie mir vorstelle. Und dann beginnt die Märchenstunde:
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