Название: Der Kaiser
Автор: Geoffrey Parker
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783806240108
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Der langwierige Machtkampf von Saragossa erlaubte es den Diplomaten, die an Karls Hof akkreditiert waren, zum ersten Mal, die Entscheidungsprozesse im neuen Habsburgerstaat ein wenig genauer unter die Lupe zu nehmen. Der venezianische Gesandte Francesco Corner bemerkte wiederholt, Chièvres sei an Karls Hof so etwas wie ein »zweiter König«, während Mártir anfing, den leitenden Minister als »den Geißbock« zu bezeichnen (ein Wortspiel auf Grundlage des französischen Worts chèvre, »Ziege«), und außerdem – mit einer hemmungslosen Paarung zweier Metaphern – behauptete, Chièvres sei »die Kette, die [Karl] hinter Schloss und Riegel bringt«. Der französische Botschafter echote, es seien »nur wenige Personen an der Führung der Geschäfte dieses jungen Fürsten beteiligt«, und fügte hinzu, dass der Einfluss Chièvres’ ungebrochen sei. Wo er recht hatte, hatte er recht: Gegen Ende des Jahres 1518 schuf Karl eigens für Chièvres den Titel eines Markgrafen von Aarschot und machte ihn zudem zum Grafen von Beaumont und Herrn von Heverlee – untrügliche Zeichen seiner anhaltenden Gunst.31
Viele hielten den Großkanzler Le Sauvage für genauso einflussreich wie Chièvres; allerdings starb er im Juni 1518. Manche rechneten auch damit, dass Mercurino Arborio de Gattinara, der vier Monate nach Le Sauvages Tod das Großkanzleramt übernahm, Chièvres herausfordern werde; aber stattdessen entwickelte er sich zu dessen wichtigstem Unterstützer. Der gebürtige Italiener Gattinara hatte nach einer juristischen Ausbildung als Diplomat in Maximilians Dienst gestanden; Margarete von Österreich stand er als ein vertraulicher Berater zur Seite. Nach Aussage des englischen Botschafters war »Meister Mercurius« bei seiner Ankunft an Karls Hof »ein Mann von sechzig Jahren, sehr gravitätisch und hochgelehrt, ein guter Lateiner«. Ein venezianischer Gesandter ging sogar noch weiter: Der neue Kanzler sei »klug, sehr gebildet (sagt man), gerecht, und er versteht Latein, Spanisch, Französisch und Deutsch« – von seiner italienischen Muttersprache einmal abgesehen –, »und wegen seiner vielen Sprachen heißt ihn jedermann hier willkommen«. Letzteres war eine kaum verhüllte Kritik an Karls anderen, zumeist nur einsprachigen Ministern und Räten.32 Gattinara hatte im Dezember 1516 am Hof bereits für einiges Aufsehen gesorgt. Grund war ein recht kurioses Manuskript, das »dem göttlichen Karl dem Größten, dem katholischen König«, gewidmet war und den Titel trug: Oratio supplicatoria somnium interserens de novissima orbis monarchia et futuro Christianorum triumpho« – »Flehende Ansprache, darin enthalten ein Traum von der letzten Weltmonarchie und dem künftigen Triumph der Christenheit«. Gattinara versprach, in diesem Traktat zugleich »die Mittel zur Erreichung« dieses Ziels zu liefern. Obwohl die Denkschrift in lateinischer Sprache verfasst war – was sie als Lektüre für ihren erklärten Adressaten denkbar ungeeignet erscheinen ließ –, traf Gattinara alle Vorkehrungen und schickte sie seinem Landsmann Luigi Marliano, Karls Leibarzt und Ratgeber, zu in der Hoffnung, dass sie auf diesem Weg »die Ohren eines gewissen Jünglings erreichen möge«. Der Inhalt von Gattinaras Traktat ist schnell umrissen: Nach der eingehenden Wiedergabe eines Traumes, in dem Karl als der Messias auftritt, der Italien befrieden, die Kirche reformieren, die Christenheit einen und letztlich den Weltfrieden bringen soll, kam Gattinara auf die überlegenen Ressourcen zu sprechen, die dem tatsächlichen Karl in Europa und in Amerika zur Erreichung dieser Ziele zur Verfügung standen, und verglich sie mit denen anderer christlicher Herrscher. Damit wollte er aufzeigen, wie aus dem Traum Wirklichkeit werden konnte – ein Vorhaben, dem Gattinara den ganzen Rest seines Lebens widmen sollte.33
Auch einige Spanier stießen zu Karls Beraterstab. Francisco de Los Cobos entwarf nun die meisten der offiziellen Schreiben, die mit Kastilien zu tun hatten (einschließlich jener, in denen der Marqués von Denia angewiesen wurde, Königin Johanna in ihrer Scheinwelt gefangen zu halten). Und zu Beginn des Jahres 1519 rief Karl, in Vorbereitung auf ein geplantes Treffen mit Franz I., bei dem die beiden Könige einige noch ausstehende Fragen klären wollten, »vier oder fünf der ranghöchsten Kirchenmänner von Kastilien und Aragón zusammen, um mit ihnen über seinen Anspruch auf das Königreich Neapel zu diskutieren« (die hochwürdigen Herren empfahlen ihm, keinerlei Zugeständnisse zu machen – ein Ratschlag, den Karl nur zu gern befolgte).34 Jedoch teilten so gut wie alle der am politischen Entscheidungsprozess Beteiligten den »burgundischen Wertekanon« von Männern wie Karl, Chièvres und Gattinara.
Schließlich verließ Karl Saragossa und zog mitsamt seinem Gefolge nach Barcelona, wo er noch eine weitere Versammlung beunruhigter Untertanen – katalanischer diesmal – von seinem Thronanspruch zu überzeugen und zur Bewilligung von Steuergeldern zu bewegen hoffte. Bis zu seiner Ankunft in Katalonien sollte der hoffnungsvolle Thronerbe allerdings zwei weitere Familienmitglieder verlieren: seine Schwester Eleonore sowie seinen einzig verbliebenen Großelternteil. Im Oktober 1518 sandte er nämlich Eleonore, von Geburt an seine ständige Begleiterin und treue Gefährtin, fort zu ihrem zukünftigen Ehemann, König Manuel von Portugal. Und wie schon das Exil des jungen Ferdinand, so wurde auch Eleonores Abreise »vom ganzen Hof und dem ganzen Königreich missbilligt«.35 Vier Monate darauf, er befand sich bereits in der Gegend von Barcelona, erfuhr Karl vom Tod seines Großvaters Maximilian. Das war ein Einschnitt, der sowohl sein persönliches Leben als auch das europäische Gleichgewicht nachhaltig beeinflussen sollte.
»Kauf dir einen Kaiser«36
Maximilian hatte erstmals 1513 mit dem Gedanken gespielt, die Kaiserkrone für Karl zu sichern. Pfalzgraf Friedrich, sein »Vetter« und Vertrauter, erinnerte sich später an die genauen Worte des Kaisers:
»Ihr seht, dass ich mein Herzblut, mein Geld und meine Jugend für das Reich aufgewandt habe, und nichts habe ich dafür bekommen. Wenn wir es nur einmal versuchen wollen, so hätte ich gern, dass jener junge Herr, mein Enkelsohn Karl, zum Kaiser gewählt würde, denn wie Ihr seht, gibt es außer ihm keinen anderen, der die Fähigkeiten oder die Kraft hätte, den Ruf des Reiches zu erhalten. Wenn die Kurfürsten einverstanden sind, würde ich dieses Amt am liebsten niederlegen.«
Nach der Reichsverfassung erforderte ein solcher Regierungswechsel das zustimmende Votum von mindestens vier der sieben Kurfürsten – zu ihnen zählten die Erzbischöfe von Mainz, Trier und Köln, der Pfalzgraf bei Rhein, der Markgraf von Brandenburg, der Herzog von Sachsen sowie der König von Böhmen –, die bei einer außerordentlichen Wahlversammlung den neuen »König der Römer« bestimmen mussten, den der Papst dann später zum »römischen Kaiser« krönte. Kurz nach seiner Unterredung mit Friedrich traf Maximilian sich mit vieren der Kurfürsten (darunter auch jener von der Pfalz, Friedrichs älterer Bruder), um das Terrain zu sondieren, stieß jedoch auf unverblümte Ablehnung: »Keiner von uns will, das Ihr Eure Krone niederlegt!«37
Damit scheint das Thema für die nächsten drei Jahre vom Tisch gewesen zu sein, bevor es wieder aufgenommen wurde, diesmal als eine »hitzige und langwierige Pokerpartie« mit immens hohen Einsätzen, deren Ausgang bis zur letzten Minute – dem abschließenden Wahlgang der Kurfürsten – ungewiss blieb. So richtig begann das Spiel im November 1516, als der Trierer Kurfürst dem französischen König Franz I. durch einen Gesandten mitteilen ließ, er sei bereit, bei der nächsten Wahl zum römisch-deutschen König für ihn zu stimmen, sobald Maximilian abdanke oder sterbe. Im Juni 1517 bekannte der brandenburgische Kurfürst auf ähnliche Weise Farbe: Er versprach Franz seine Stimme und bat sich im Gegenzug das Versprechen aus, dass sein Sohn die (zuvor Karl versprochene) Prinzessin Renée heiraten werde, dazu 150 000 Kronen in bar und eine regelmäßige Pension für sich selbst. Wie Robert Knecht bemerkt hat, »übersah Franz völlig, dass den deutschen Kurfürsten weniger an seinem Wahlerfolg gelegen war als vielmehr daran, eine möglichst heiß umkämpfte Wahl СКАЧАТЬ