Название: Der Kaiser
Автор: Geoffrey Parker
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783806240108
isbn:
Wie vor ihm schon Cota, so fiel Laurent Vital zu dem jungen König Karl nicht viel Denkwürdiges ein. Ein ganzes Kapitel seiner Chronik von Karls »Erster Reise nach Spanien« widmete er den »guten Sitten, die Gott unserem Herrn, dem Katholischen König, hat zuteilwerden lassen«, vermochte dann aber nur wenige Beispiele zu nennen, außer dass der König »das Fluchen nicht ausstehen konnte«, dass er »wahr sprach und gerecht handelte« sowie »Schmeichler und Ausplauderer zutiefst hasste«. Konkret hatte Vital nur einen einzigen Beleg für Karls »gute Sitten« vorzuweisen: Er berichtet, wie der zwölfjährige Karl einmal »einen seiner alten Diener« tadelte, weil dieser schlecht von einem anderen gesprochen hatte, dessen Entlassung er so provozieren wollte.14
Zweifellos spiegelt das Fehlen von Berichtenswertem den Umstand wider, dass der junge König nur selten einmal etwas Außergewöhnliches tat oder sagte. In seiner detaillierten Schilderung der langen Reise von Gent nach Saragossa – sie dauerte neun Monate – gibt Vital nur eine einzige längere Unterhaltung wieder: Und selbst die ist eine belanglose Plauderei darüber, wie Essen und Trinken unter den Schiffen der königlichen Flotte aufzuteilen seien, als diese unterwegs einmal in eine Flaute geraten waren. Di Beatis, der seine Beobachtungen unmittelbar vor Beginn der Seereise zu Papier brachte, hielt fest, dass »Seine Majestät gleich nach dem Mittag- oder Abendessen einem jeden gnädig Audienz gewährte, dort, wo er saß, am Kopf des Tisches«, obgleich dabei »Seine Majestät nicht sprach«. Auch Corner stellte fest, dass Karl »bei Audienzen und Unterredungen nur wenig spricht«. Stattdessen »lässt er den Großkanzler oder einen anderen anwesenden Minister antworten, und wenn er doch spricht, dann um zu sagen, dass er die Angelegenheit dem Großkanzler übertragen oder an M. de Chièvres oder jemand anderen weiterleiten wird, je nachdem, wie wichtig die Angelegenheit gerade ist«.15
Wiederholt bezeichneten Corner und auch andere Diplomaten Chièvres als »alter rex« – einen »zweiten König« –, während Erasmus bemerkte, dass Chièvres’ »geringstes Wort Gesetz ist«. Vital rechtfertigte die Bereitwilligkeit, mit der Karl »den Ratschlag von Älteren schätzte und bevorzugte«, unter Verweis auf ein abschreckendes Beispiel aus dem Alten Testament: den Fall Jeroboams, »der aus seinem Königreich vertrieben wurde, weil er die Alten und Weisen mit Verachtung strafte und stattdessen den Jungen und Törichten sein Ohr schenkte«.16 Andere waren weniger wohlwollend. Ein spanischer Gesandter meldete im Jahr 1516, Karl werde »herumkommandiert und kennt nichts anderes, weiß auch nichts anderes zu sagen als das, was ihm seine Räte einflüstern und vorsagen. Er folgt diesen Ratgebern ganz und ist vollkommen an sie gebunden.« Im Jahr darauf behauptete ein venezianischer Diplomat, Karl »spreche wenig und sei auch kein Mann von großem Verstand«; zwei andere erklärten, dass sie »bei drei Gelegenheiten, zu denen sie ihn getroffen hatten, ihn nie auch nur ein einziges Wort hatten reden hören, da sämtliche Angelegenheiten von seinen Ratgebern besprochen und entschieden wurden«; und ein englischer Diplomat äußerte mit brutaler Deutlichkeit die Ansicht, dass »der König von Kastilien bloß ein Idiot und seine Ratgeber allesamt korrupt« seien.17
Das war offenkundig nicht ganz fair. Laurent Vital wusste genau, warum sich Karl und seine Regenten so und nicht anders verhielten: Sie mussten »aus einer Not eine Tugend machen«, hatten sie doch eigentlich inakzeptable Zugeständnisse zu machen, wollten sie einen Krieg vermeiden und »den Besitz dieses Waisenprinzen bewahren«, bis der ein Alter erreicht hatte, in dem er »seine Rechte« erfolgreich selbst »verteidigen« konnte. Chièvres bereitete den Prinzen schon auf diesen Tag vor, und er tat es so vorsichtig wie umsichtig. Martin du Bellay, ein französischer Diplomat, dem gewiss nicht daran gelegen war, den Hauptrivalen seines eigenen Herrn grundlos zu rühmen, berichtete über seinen Aufenthalt an Karls Hof im Jahr 1515: »Alle Dossiers und Akten, die aus den verschiedenen Provinzen eingehen, legte man dem Prinzen persönlich vor, selbst des Nachts, und nachdem er sie genau gelesen hatte, erstattete er selbst seinem Rat Bericht über ihren Inhalt, und dann wurde in seinem Beisein über alles beraten.« Als einer von Du Bellays Kollegen sich verwundert darüber zeigte, dass Chièvres »den Geist des jungen Prinzen dergestalt belaste, wo er doch alle Mittel gehabt hätte, ihm dies zu ersparen«, antwortete Chièvres: »Mein Vetter, ich bin sein Tutor und Beschützer, solange er jung ist … wenn ich einmal sterbe, und er hat noch nicht gelernt, seine Angelegenheiten selbst zu dirigieren, wird er wieder einen Tutor brauchen, weil er in der Regierungsarbeit nicht recht unterwiesen wurde.«18
Dennoch scheint die bis ins Detail reichende Lenkung durch Chièvres und vor ihm durch Margarete und Maximilian Karls Selbstvertrauen und Eigenständigkeit zumindest gedämpft zu haben. So erklärt sich vermutlich seine Abhängigkeit von deutlich älteren Männern – nicht nur von Chièvres und Adrian von Utrecht, die Altersgenossen seines Großvaters Maximilian waren, sondern auch von Pfalzgraf Friedrich und von Heinrich von Nassau, die immerhin doppelt so alt waren wie Karl. Sicherlich stellten all diese Männer – wie auch die anderen noch lebenden Ratgeber Philipps des Schönen – für Karl eine wichtige Verbindung zur Lebenswelt seines Vaters her, was auch einige oft übersehene politische Kontinuitäten erklären mag. Später erkannte Karl dann aber doch, wie gefährlich es sein konnte, in einzelne Minister allzu viel Vertrauen zu setzen. Die geheimen Instruktionen, die er 1543 für seinen Sohn Philipp niederschrieb – der fast in demselben Alter war wie damals Karl, als er zum ersten Mal nach Spanien kam –, enthielten jedenfalls eine ernste Mahnung vor exakt der Art von Abhängigkeit, die einst Karls Beziehung zu Chièvres gekennzeichnet hatte:
»Besprecht Eure Angelegenheiten stets mit vielen, damit Ihr nicht an einen gebunden oder ihm verpflichtet seid, denn obwohl es Zeit sparen mag, liegt es doch nicht in Eurem Interesse, vor allem zu Anfang, denn man wird sofort sagen, Ihr würdest gelenkt – und das mag auch stimmen. Jeder, der solche Gunst von Euch erfährt, wird über die Maßen hochmütig werden und sich selbst derart überhöhen, dass es endlose Probleme nach sich ziehen wird; und zum Schluss werden all die anderen sich beschweren.«19
Das sind in der Tat weise Worte. Allerdings fügte der Kaiser sie lediglich als einen Nachtrag auf СКАЧАТЬ