Название: Das Fußvolk der "Endlösung"
Автор: Thomas Sandkühler
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783534746217
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Im Vordergrund standen zunächst aber andere Aufgaben. Trawniki-Männer sollten Bautrupps für die Errichtung der Polizeistützpunkte in der UdSSR stellen.76 Aus diesem Einsatz wurde jedoch nichts, als sich wegen des Kriegsverlaufs im Osten abzeichnete, dass an SS- und Polizeistützpunkte bis hinter den Ural ebenso wenig zu denken war wie an die Deportation der europäischen Juden in die Weiten der Sowjetunion. Am 31. März 1942, als der Massenmord mit Giftgas begonnen hatte, entband Himmler Globocnik von seiner Funktion als Stützpunktbeauftragter.77 Trawniki-Männer bauten keine Polizeistützpunkte in der Sowjetunion, sondern Vernichtungslager im Generalgouvernement.
Kommandant des Ausbildungslagers war zunächst SS-Untersturmführer Richard Rokita, der aus dem Volksdeutschen Selbstschutz kam und später nach Lemberg versetzt wurde.78 Im Laufe des August 1941 bereisten Globocniks Stabsführer, SS-Hauptsturmführer Hermann Höfle, und Rokitas Nachfolger, SS-Sturmbannführer Karl Streibel, die Stammlager für sowjetische Kriegsgefangene im Distrikt Lublin (vorzugsweise das Stammlager 319 in Cholm) und sonderten gemäß Heydrichs Richtlinien »besonders vertrauenswürdige« Rotarmisten als Rekruten aus. Anfänglich wurden vor allem Sowjetdeutsche – geläufiger ist die Selbstbezeichnung als »Russlanddeutsche« – angeworben, die als Unterführer der neuen Wachmannschaften dienen sollten. Die ersten von ihnen trafen am 4. September 1941 im Lager ein.79 Im späten Oktober übernahm Streibel das Kommando in Trawniki.
Globocnik hielt viel auf Höfle und Streibel. Beide kamen, wie bereits erwähnt, aus dem Volksdeutschen Selbstschutz und hatten u. a. in den Zwangsarbeitslagern am so genannten Buggraben jüdische Häftlinge terrorisiert. Für Höfle hatte Globocnik große Pläne: Er sollte dereinst Kommandeur des SS- und Polizeistützpunkts Tiflis werden.80 Über Streibel urteilte Globocnik 1943 wie folgt:
»St.[reibel] hat in Trawniki (Distr.[ikt] Lublin) aus kleinsten Anfängen heraus ein Ausbildungslager für fremdvölkische Wachmannschaften geschaffen und leitet dasselbe mit größter Umsicht und Verständnis für die besondere Führungsweise dieser Truppe. In vielen Einsätzen zur Bandenbekämpfung haben sich diese Einheiten bestens bewährt, insbesondere aber im Rahmen der Judenumsiedlung. Streibel ist ein alter bewährter SS-Führer, der unermüdlich bestrebt ist, durch bestmögliche Ausbildung dieser Kräfte an der Lösung der Sicherungsfrage mitzuarbeiten.«81
3.3.2Rekrutierung
Die historische Forschung hat seit einiger Zeit Zusammenhänge zwischen der deutschen Kolonialpolitik in Afrika und der quasi-kolonialen Besatzungspolitik des Reiches in Osteuropa herausgearbeitet.82 Der Historiker Dieter Pohl hat die Besatzungsverwaltung im Distrikt Galizien als »totalitäre Kolonialverwaltung« charakterisiert.83 Solche Verbindungen waren bereits den Zeitgenossen in den Sinn gekommen. Die Trawniki-Männer wurden umgangssprachlich oft »Askaris« genannt, nach der Bezeichnung einheimischer Kolonialtruppen in Deutsch-Ostafrika.84 Aber auch »Schwarze« oder »Ukrainer« waren als Bezeichnungen verbreitet, obwohl die Wachmänner auch andere Ethnien der Sowjetunion in ihren Reihen hatten.
Zunächst firmierte die Truppe als »Wachmannschaften des Beauftragten des Reichsführers-SS und Chefs der Deutschen Polizei – Chef der Ordnungspolizei – für die Errichtung der SS- und Polizeistützpunkte im neuen Ostraum«. Seit April 1942 hießen sie »Wachmannschaften des SS- und Polizeiführers im Distrikt Lublin«.85
In den Trawniki-Männern vereinten sich Anteile einer Hilfspolizei des Chefs der Ordnungspolizei, einer persönlichen Polizeitruppe des SS- und Polizeiführers, einer sowjetischen »Schutzmannschaft« und einer Einheit der Waffen-SS. Diese Männer waren als Organisation alles andere als »normal« im Sinne der soziologischen Begriffsbildung. Zweck dieser Organisation war die Durchführung der SS-Siedlungspolitik, wie Himmler und sein Gewährsmann Globocnik sie verstanden. Von Anfang an hierin eingeschlossen war die gewaltsame Verdrängung, Arbeitsausbeutung und Ermordung der Juden. Sie wurde bald zum alleinigen Organisationszweck.
Die Führung des Ausbildungslagers hatte selbstverständich Männer im Blick, die mutmaßlich mit den Zielsetzungen des deutschen Vernichtungskriegs sympathisierten.86 Litauer, Letten und Esten wären für die Rekrutierung in Betracht gekommen, standen aber in den Kriegsgefangenenlagern im Distrikt Lublin vorerst nicht zur Verfügung, weil dort Soldaten des südlichen Frontabschnitts interniert waren.87 Wolgadeutsche galten als besonders aussichtsreiche Kandidaten, vor allem seit Stalin Ende August 1941 die Deportation dieser als »fünfte Kolonne« Hitlerdeutschlands beargwöhnten Bevölkerungsgruppe befohlen hatte.88 Wolgadeutsche sprachen zudem die deutsche Sprache und kamen als Übersetzer in Betracht.89
Eine pauschale Antwort auf die Frage, ob die Rekruten freiwillig oder unter Zwang ins Ausbildungslager kamen, ist nicht möglich. Auch ihre Motive und individuellen Verhaltensweisen lassen sich nicht verallgemeinern. Die sowjetische Geheimpolizei interessierte sich bei der Vernehmung Verdächtiger nach dem Krieg kaum für die Rekrutierung, weil es ihr allein auf das Geständnis ankam, in deutsche Dienste getreten zu sein. Auch wurden solche Geständnisse oft mit körperlicher Gewalt und Folter erzwungen. Belastbare Zeugenaussagen sind daher kaum vorhanden. Goldhagen meint, es habe sich um Freiwillige gehandelt, Browning setzt eine Überprüfung der antikommunistischen und vorzugsweise antisemitischen Gesinnung voraus, Grabitz hebt den ausgeübten Zwang hervor. Für alle drei Thesen finden sich Belege.90
Unmittelbarer Zwang war sicher nicht erforderlich, weil die Zustände in den Kriegsgefangenen unerträglich waren.91 Einer der russlanddeutschen Unteroffiziere hat diese Situation noch Jahrzehnte später hervorgehoben:
»Jeden Tag konnte man sehen, dass 10 – 20 Leichen abtransportiert wurden. Die Leichen wurden auf einem kreideähnlichen Berg begraben. Mein einziger Gedanke war, wie komme ich raus aus dem Lager, wie kann ich überleben. Irgendwann hat man uns antreten lassen und uns gesagt, wir müssten jetzt raus. Wir wussten nicht, wohin. So kamen wir in Trawniki an.«92
Ein weiterer Wachmann, der etwa gleichzeitig aus dem Stammlager Cholm nach Trawniki kam93, erwähnt ein solches Massensterben nicht, weist aber darauf hin, die Gefangenen seien nach ihrem körperlichen Zustand ausgewählt worden, was auf die schlechte Verfassung vieler Rotarmisten schließen lässt. Ein dritter Zeuge, der in einem Zweiglager in Zamość rekrutiert wurde, erwähnt hingegen gar keinen Hunger.94
Spätestens seit Oktober 1941 standen die Rotarmisten vor der Wahl zwischen dem SS-Dienst und der sehr realen Gefahr des Verhungerns:
»Die Unterbringungsbedingungen waren in diesen Lagern schrecklich. Der Tod mähte die Menschen nieder. Hungersnot, Kälte, aufreibende Arbeit und Grausamkeiten der Bewachung brachten die Gefangenen zur Verzweiflung. Jeder von uns wartete auf den Tod. […] Wir wussten nicht, wozu wir gebraucht wurden, wir interessierten uns auch nicht dafür, denn es war uns egal, Hauptsache, raus aus dieser Hölle.«95
Hiermit übereinstimmend hat ein Beschuldigter vor sowjetischen Vernehmern zu Protokoll gegeben, er habe seiner Rekrutierung zugestimmt,
»um mein eigenes Leben zu retten. Unter den Kriegsgefangenen im Lager Cholm gab es im Herbst 1941 eine massive Todesrate wegen des Fehlens von Essen, Krankheit in Verbindung mit der Kälte und unhygienischen Bedingungen. Ich glaubte seinerzeit, dass ich dasselbe Schicksal erlitten hätte, wenn ich im Lager geblieben wäre, daher stimmte ich zu, den Wachmannschaften der SS beizutreten.«96
Ein ehemaliger Trawniki-Unterführer schilderte in sowjetischer Haft den Anwerbungsvorgang wie folgt:
»Im September 1941 kam eine Gruppe deutscher Offiziere in unser Kriegsgefangenenlager. Sie СКАЧАТЬ