Venedig sehen und morden - Thriller-Paket mit 7 Venedig-Krimis. Meinhard-Wilhelm Schulz
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СКАЧАТЬ eingeladen. Bis vor Kurzem hatte ich noch in Jesolo mit meiner zweiten Frau zusammen gelebt. Doch nach der Scheidung war ich für ein paar Tage zu meinem Freund gezogen. Noch leuchtete die Sonne rötlich ins Obergeschoss hinein, in welchem wir bei einander saßen, als er sagte:

      »Hast du schon von diesem Mord gehört?«

      »Gewiss, gewiss«, sagte ich, »Freund Ambrosio hat sich der Sache angenommen. Er vermutet, es sei ein Dirnenhasser gewesen, einer, der bevorzugt fette Huren verabscheue. Das las ich gerade im ‚Corriere della Sera‘. Den Bericht hat übrigens, jetzt musst du lachen, ein venezianischer Korrespondet mit dem wohlklingenden Namen Alberto Scimmia (‚Albert Affe‘) verfasst, hihi.«

      »Ich habe seine edlen Ergüsse genossen, doch als ich sie las, musste ich feststellen, dass Freund Ambrosio wieder einmal den letzten Blödsinn angestellt hat.«

      »Das verstehe ich nicht. Er hat doch alles gründlich untersucht. Man weiß nicht einmal, wie er aussieht. Er steckte bekanntlich in einer Kapuzenjacke. Das Gesicht war vollkommen verhüllt. Außerdem finde ich Ambrosios Schlussfolgerung nachvollziehbar. Der Mörder hat keine Spuren hinterlassen. «

      »Sagen wir lieber«, knurrte Volpe, »Ambrosio hat keine Spuren entdeckt. Er hat ja nicht einmal geforscht, was für einen Umhang der Mörder getragen hat. Ich könnte dir auf Anhieb drei aufzählen. Es gibt in ganz Venedig nur zwei Schneider, die so etwas herstellen, was man bei unserem Klima so gut wie nie benutzt. Ferner hat sich Ambrosio keine Mühe gegeben, den, wie ich las, ungewöhnlich langen Schnitt an der Kehle des Opfers auf die Art der verwendeten Waffe hin zu untersuchen.

      Zwar sind bei uns in Bella Italia sämtliche Messer mit starren Klingen, wie das Bowie Knife, verboten, aber ein Küchenmesser tut es auch, und so etwas lässt sich nicht untersagen.

      Außerdem kennen wir unseren guten alten di Fusco ja. Er ist auf seine Weise zwar recht tüchtig, ein zäher Bursche und unermüdlicher Verbrecherjäger, aber es fehlt ihm an Kombinationsgabe. Auf dem linken Auge ist er blind und mit dem rechten sieht er nichts. Es wäre besser gewesen, er hätte mich hinzu gezogen. Warte nur ab, Freundchen, er tanzt bald bei uns an, spätestens morgen zur Colazione (Frühstück).

      Außerdem ist seine Schlussfolgerung, der Täter hasse feiste Huren, voreilig. Nie im Leben hätte er solch einen Unsinn daher quatschen dürfen. Wenn wir also heute Nacht, wie ich das unbedingt erwarte, den nächsten Mord zu verzeichnen haben, geht das indirekt auf seine Kappe.«

      »Was soll daran unverantwortlich sein, wenn er vermutet, irgendein Mann habe es auf Nutten abgesehen? Mir leuchtet das ein. Schließlich war die ‚Amsel‘ eine von dieser Sorte, und indem er ihr das Kleid vor der Brust aufschlitzte, als sie am Boden lag, hat er uns doch wohl mitgeteilt, wie sehr er dieses Gewerbe verabscheue, oder? Vielleicht ist er ein fanatischer Moralapostel.«

      »Nun, wie auch immer, unser Ambrosio hat jetzt seine Vermutung ausposaunt. Was würdest du nun an Stelle des Mörders tun, wenn deine Mordlust, wie leider zu erwarten, noch längst nicht gestillt wäre?«

      »Hm«, sagte ich, »wahrscheinlich hätte ich den Ehrgeiz, dem Tenente zu zeigen, wie dumm er ist. Wenn ich schon mordete, dann bitte auch spektakulär und möglichst unter den Augen der Polizei, denn nur so kann ich aus dem Schatten der Bedeutungslosigkeit, welche mich umfängt, heraus treten und mich endlich in der Schlagzeile des ‚Corriere della Sera‘ finden:

      Wenn du mich fragst: Ich, hihihi, mordete jetzt zur Abwechslung keine fette Schwarzhaarige sondern eine schlanke Blondine oder Brünette, eine, die nichts mit dem horizontalen Gewerbe zu tun hat, weil ja ab sofort alle vollschlanken Nutten auf der Hut vor mir sind. Damit zeige ich dem Tenente, dass ich mich über ihn lustig mache. Beim Abmurksen der Süßen ginge ich ebenso vor wie bei der ‚Amsel‘, damit man und sieht, dass es derselbe Täter ist: von Ohr zu Ohr den Hals abschneiden und dann das Kleid aufschlitzen, damit der Busen bloß liegt. Der Tenente hat mich mit seinem Geschwätz herausgefordert und ich habe die Herausforderung angenommen.«

      »Genau das ist es«, sagte Volpe triumphierend, »was Ambrosio da angerichtet hat. Vielen Dank für dein ärztliches Gutachten! Du hast uns mit deiner Gabe, dich in andere hinein zu denken, das Psychogramm des Täters erstellt:

      Der Kerl will Aufsehen erregen. Er möchte im Mittelpunkt stehen. Er will sich in seiner frisch errungenen Bedeutung sonnen und alle, die ihn bislang verachtet haben, vergessen machen, dass er im bisherigen Leben nichts als ein jämmerliches Würstchen war, nicht wahr, Dottore?«

      »Genau so und habe ich es gemeint«, sagte ich stolz, »und dieser Mann hat vielleicht zwanzig oder dreißig Jahre gelebt, ohne sich das Geringste zuschulden kommen zu lassen. Aber dann hat er – den nächsten Mord mitgerechnet – zweimal gemordet und wird weiter morden, wenn man ihn nicht dingfest macht.

      Die Frage ist nun, was diese neue Haltung ausgelöst hat, warum er von einem ehrenwerten Mitbürger zur Bestie geworden ist. Leider besitze ich noch zu geringe Kenntnisse, um es zu erklären; aber dass irgendein dies auslösender Schock dafür verantwortlich zeichnet, ist bei uns Ärzten unumstritten.

      Der gestrige Mord und der von dir vorhergesagte unterscheiden sich nämlich fundamental von den gängigen Morden, bei denen der Täter beispielsweise tötet, um an Geld zu kommen oder aus Eifersucht oder, um sich zu rächen. Der Mord aus der vergangenen Nacht war in dieser Hinsicht sinnlos.

      Daher neigen medizinische Laien dazu, in dem Täter einen Geistesgestörten zu vermuten, denn er handelt entgegen all unseren alltäglichen Mordphantasien, auf die nur deshalb keine Tat folgt, weil wir die Gesetze, die allgemeine Moral oder die Strafe Gottes fürchten. Nur der Psychiater kann durch eingehende Untersuchungen feststellen, ob der Mörder verrückt ist und wodurch sein Geist umnachtet wurde.

      Meistens sind solche Mörder körperlich gesund. Es sind Menschen, wie sie uns zu Tausenden begegnen. Jeder von uns könnte eines Tages zum Mörder werden, wenn wir aus der Sinnlosigkeit und Öde des Alltags ausbrechen wollen.

      Fast alle dieser Mörder galten in ihrer Umgebung als haltlos, minderwertig und bedeutungslos. Man hat ihnen die zustehende Beachtung verweigert, man hat sie gedemütigt. Und dann brechen sie aus dem Kerker des Alltags aus und machen mit einer vermeintlich großen Tat von sich reden.

      Gaius Sallustius, Roms großer Historiker, schreibt, dass sich der gemeine Mann nicht vom Vieh unterscheide, das da seinen Lüsten ergeben sei. Nur mit einer berühmten Tat könnten wir ewigen Ruhm zu erringen.

      Doch wer schon kann Staatsmann, Feldherr der Schriftsteller werden? Ein Aufsehen erregendes Verbrechen hingegen kann jeder vollbringen. Der Mann, den wir suchen, strebt mit seinen Taten zu den Sternen. Er will, wie Sallustius es einst schilderte, zu den Göttern gehören.

      Um dies zu erreichen, muss er weiter morden. Er ist vom Wunsch getrieben, eines Tages verhaftet zu werden, denn nur im öffentlichen Prozess kann er seiner Geltungssucht Genugtuung verschaffen, nur im Licht der Öffentlichkeit. Freiwillig wird er sich jedoch nicht fassen lassen.

      Je länger er sein Spielchen mit der Polizei treibt, desto größer ist sein Triumph, wenn er vor dem Richter steht. Manche dieser Leute atmen auf, wenn man sie endlich einsperrt. Herostratos brannte vor über 2.500 Jahren den Tempel zu Ephesos nieder, wohl wissend, dass ihn das den Kopf kosten würde, aber er wollte berühmt werden und ist es bis heute geblieben.«

      »Gut«, sage Freund Volpe und legte die Fingerspitzen aufeinander, »wenn das so wäre, ließe er sich mit seiner Geltungssucht zur Strecke bringen. Man müsste eine Scheinverhaftung vornehmen und einen Schauspieler die Verbrechen des wirklichen Mörders offen vor der Kamera gestehen lassen. Dann wäre er um den Ruhm gebracht und könnte einen Fehler machen.«

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