Sammelband 4 Krimis: Mordgeflüster in Venedig und drei andere Krimis. A. F. Morland
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      16

      Harald Siebert, ein junger Krankenpfleger, war für zwei Dinge bekannt: Er trank gern und machte sich mit Vorliebe an die neuen hübschen Krankenschwestern heran. Wegen beidem war Siebert schon mal von Dr. Berends verwarnt worden. Das bedeutete, wenn er sich noch einmal des einen oder anderen Vergehens schuldig machen sollte, musste er gehen.

      Er hatte dem Chefarzt der Wiesen-Klinik versprochen, sich zu bessern. Keine Klagen sollten Dr. Richard Berends mehr zu Ohren kommen. Das bedeutete nun nicht, dass Harald Siebert die Absicht hatte, sich in einen Heiligen zu verwandeln. Er hatte sich lediglich vorgenommen, bei allem, was er tat, ein bisschen vorsichtiger zu sein.

      Den Alkoholkonsum während der Arbeitszeit schränkte er geringfügig ein, und er benutzte einen starken Mundspray, damit man seine Schnapsfahne nicht mehr riechen konnte. Und bei den neuen Krankenschwestern ließ er sich etwas mehr Zeit als bisher. Er ging nicht mehr sofort aufs Ganze.

      Da im letzten halben Jahr keine neue Schwester, die verführerisch hübsch war, eingestellt worden war, fiel es Siebert nicht schwer, sich zu beherrschen. Aber nun war Lydia Fersten da, und wenn er ihr begegnete, gab es ihm jedes Mal einen heftigen Stich. So schön, so anziehend, so natürlich und frisch war keine andere Krankenschwester in der Wiesen-Klinik. Ihr Anblick jagte Fieberschauer durch Sieberts Körper, und er griff wieder öfter zur Flasche, weil er meinte, sich dadurch besser in den Griff zu bekommen.

      Wie ein Raubtier pirschte er sich an sie heran. Sooft es ging, hatte er in ihrer Nähe zu tun, und er versuchte sie mit Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft, netten Worten und flotten Scherzen für sich zu gewinnen.

      Als er meinte, dass die Zeit reif war, bat er sie um ein Rendezvous. Sie antwortete mit vielen freundlichen Worten, die sie sich alle hätte sparen können, denn damit umschrieb sie lediglich ein beschämendes Nein. Siebert kam sich gekränkt und gedemütigt vor. Sein männlicher Stolz war verletzt, und ihm fiel auf, dass irgendetwas zwischen Schwester Lydia und dem Sohn des Scheichs war.

      Ganz schlau ist sie, dachte der Krankenpfleger wütend. Sie ist sich zu schade für ihresgleichen. Hoch hinaus will sie. Nach den Sternen greift sie. Nach einer Krone! Ein Krankenpfleger ist ihr nicht gut genug. Der Sohn eines reichen Ölscheichs muss es sein. Ausgesorgt fürs Leben will sie haben. Oh, diese Weiber! Für Geld tun sie einfach alles.

      Seine Zuneigung schlug um, wurde zu Zorn und bitterem Rachedurst.

      Er war nett zu ihr gewesen. Alle Register der Höflichkeit hatte er gezogen, und da er nicht schlecht aussah, hätte er sie - davon war er überzeugt - bestimmt auch herumgekriegt, wenn es Harun Achbar nicht gegeben hätte.

      Mit einem Scheichsohn konnte Harald Siebert natürlich nicht konkurrieren. Er besaß keine dicke Brieftasche, und nirgendwo sprudelten Ölquellen, die ihm gehörten. Er konnte auch niemandem mit einem großen, teuren Wagen imponieren. Aber er war ein Mann - und, verdammt noch mal, das wollte er Lydia Fersten auch beweisen.

      Er sah, wie sie nach Dienstschluss mit Harun Achbar wegfuhr, und eine heiße Wut rumorte in ihm.

      „Was sind das schon für Frauen, die mit Ausländern gehen?“, sagte er und zog geringschätzig die Mundwinkel nach unten. „Was soll man von solchen Frauen halten? Nichts wert sind sie. Ich würde nichts sagen, wenn es wenigstens ein Europäer wäre. Das könnte ich noch verstehen. Aber ein Araber ...“ Er schüttelte heftig den Kopf. „Nee. Ein Araber ist das allerletzte. Selbst dann, wenn er in Erdöl schwimmt.“

      Siebert holte für Dr. Büttner zwei Blutkonserven. Nachdem er sie in der Chirurgie abgeliefert hatte, zog er sich um und verließ die Klinik. Er war, wie Lydia Fersten, im Wohnheim zu Hause, wohnte unter der neuen Krankenschwester, die ihn zutiefst beleidigt hatte, und je länger er darüber nachdachte, desto grimmiger sagte er sich, dass er diese Schmach nicht einfach hinnehmen durfte.

      Der Alkohol, ein wahrer Teufel, ließ ihn auf gemeine Ideen kommen.

      In seiner Wohnung nahm er sich einen großen Drink und schaltete das Fernsehgerät ein, um sich abzulenken. Egal, wann Schwester Lydia nach Hause kam, er würde auf sie warten und nach oben gehen und ...

      Er grinste schmutzig.

      Harald Siebert. war brünett, hatte scharf geschnittene Züge und helle Augen. Er hatte nur eine Mutter. Sein Vater war früh verstorben. Stets hatte ihn seine Mutter für etwas Besonderes gehalten. Arzt hätte er werden sollen. Das Geld fürs Studium wollte sie sich vom Mund absparen. Tag und Nacht hätte sie für ihren Sohn gearbeitet, doch er war nicht bereit gewesen, sich ebenfalls so sehr anzustrengen. Er war immer schon für den bequemen Weg gewesen, und der hatte nicht zum großen Ziel geführt. Schon im ersten Semester war er abgestürzt, und seine Mutter hatte seinetwegen nächtelang geweint. Aber es hatte nichts geholfen. Er hatte ihr geraten, den Tatsachen ins Auge zu sehen und sich damit abzufinden, dass sie einen Versager in die Welt gesetzt hatte.

      Damals war seine Mutter zusehends gealtert. Sie konnte die große Enttäuschung, die er ihr bereitet hatte, nicht überwinden, wurde immer öfter krank und starb schließlich an Krebs. Sie hatte noch mitbekommen, wie er Krankenpfleger wurde, aber das war kein Trost für sie gewesen. Ihre einzige Hoffnung, ihr größter Stolz, der Sinn ihres entbehrungsreichen Lebens hatte ihr eine Enttäuschung bereitet, die sie nicht überlebte.

      Er trank viel an diesem Abend, denn er wollte so richtig in Fahrt sein, wenn Schwester Lydia nach Hause kam. Was im Fernsehen lief, gefiel ihm nicht. Er schaltete die Stationen durch. Es war nichts im Programmangebot, das ihn interessierte, deshalb drehte er das Gerät ab und legte eine Langspielplatte von Perry Como auf. Ein uraltes Ding mit Seltenheitswert.

      Wenn er sich in eine bestimmte Stimmung versetzen wollte, hörte er sich immer Perry Como an.

      Heute war er beim Auflegen der Scheibe ein bisschen ungeschickt. Der Saphir kratzte über die Rillen, und ein hässliches Geräusch kam aus den Lautsprechern. Er kannte die Texte der Songs alle auswendig, und Perry Como musste es sich gefallen lassen, dass er mitsang.

      Mehrmals beschritt er den Weg zur kleinen Hausbar, und er grinste, während er die Flasche in der Hand hielt. Wenn Dr. Berends ihn jetzt sehen könnte, würde er glatt an die Decke gehen.

      „Prost, Chef!“, sagte Harald Siebert und hob sein Glas. „Ich weiß, dass Sie’s nicht mögen, wenn einer sich den Kopf vollschüttet, aber in meiner Freizeit kann ich machen, was ich will. Darauf haben Sie keinen Einfluss. Was ich in meinen vier Wänden anstelle, geht Sie nichts an. Wissen Sie, wofür ich Sie halte, Chef? Für einen scheinheiligen Bruder, jawohl. Ich wette, Sie hatten auch schon mal einen in der Krone, aber von Ihren Mitarbeitern verlangen Sie völlige Abstinenz. Wasser predigen und Wein trinken - so wird man Chefarzt, was? Ich trinke auf Ihr Wohl, Dr. Berends. Möge Ihr Glorienschein ewig leuchten. Mich stört’s nicht. Und ich trinke auf mein Wohl - und auf das Wohl der süßen Lydia Fersten, die heute Nacht um eine große Erfahrung reicher werden wird. Und ich trinke darauf, dass sich der verdammte Wüstensohn, dieser stinkreiche Kameltreiber, den Hals bricht ... Prost, allseits!“

      Er goss den Schnaps in seine trockene Kehle, und plötzlich kam ihm eine Idee, die er für besonders genial hielt.

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