Название: Private Ermittler - 2000 Seiten, 16 Krimis in einer Sammlung
Автор: Alfred Bekker
Издательство: Readbox publishing GmbH
Жанр: Зарубежные детективы
isbn: 9783745205053
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Zwar waren sie in den letzten Jahren weniger geworden, aber sie hatten nie ganz aufgehört.
Lorant nahm die Autobahnabfahrt Emden-Nord. Sechs Stunden Fahrt lagen hinter ihm, eine davon hatte er im Stau verbracht, gleich nachdem er Köln verlassen hatte.
Jetzt musste er nur noch die Adresse seiner Auftraggeberin finden, die in Forlitz-Blaukirchen, einem kleinen Dorf in Südbrookmerland, wohnte.
Lorant nahm die B270 Richtung Aurich.
Das Land war so platt, wie man es immer behauptete. Man konnte bis zum Horizont sehen. Die Wolken türmten sich zu eigenartigen Gebilden auf. Lorant hatte den Eindruck von Weite. Fast so, als ob man sich an der Küste befand und auf das offene Meer blickte.
Auf der rechten Seite befanden sich in regelmäßigen Abständen martialisch anmutende Warnschilder.
Eines zeigte einen Sensenmann mit grinsendem Totenschädel.
"Ich fahre mit!", stand darunter.
Ein anderes zeigte eine Reihe von nebeneinandersitzenden Geistern. Darunter stand: Tempo 140 - wir warten schon!
Offenbar wurde auf dieser, von Bäumen umsäumten Allee viel zu schnell gefahren. Hier und da machten verwitterte Holzkreuze auf die Opfer der letzten Jahre aufmerksam. Lorant fuhr vorschriftsmäßig siebzig. Ein BMW A4 drängelte von hinten, betätigte die Lichthupe und setzte schließlich ohne Rücksicht auf einen aus Auricher Richtung heranbrausenden Truck zum Überholmanöver an.
Lorants Adrenalinspiegel stieg. Er bremste ab. Der A4 scherte vor ihm ein. Der Truck donnerte vorbei, betätigte dabei seine Hupe, die den Klang einer Fußballtröte hatte. "Ich heiße Manni", stand vorne auf der Truckhaube. Damit war wohl der Fahrer und nicht der Motor gemeint. Aber offenbar hatten weder Manni noch der BMW-Fahrer sich je die Plakate mit Verstand angesehen. Und das, obwohl sie vermutlich häufiger hier vorbeifuhren, denn beide hatten Auricher Kennzeichen.
Lorant seufzte hörbar.
Shock in the morning before breakfast!, erinnerte er sich an den Ausspruchs seines Englischlehrers, der das immer gesagt hatte, wenn er jemand ohne Hausaufgaben erwischte. Lorant hatte das ziemlich oft zu hören bekommen.
Immerhin waren jetzt seine grüblerischen Gedanken wirkungsvoll davongejagt. Lorant war wieder ganz im Hier und Jetzt. Trotzdem nahm er die Baseballkappe vom Kopf, weil er anfing zu schwitzen. Seit die Haare weniger wurden, ging er ohne das Ding nicht mehr in die Sonne.
Auf der linken Seite fiel Lorant eine Kirche auf.
Kurz nach dem Ortsschild Suurhusen.
Lorant stutzte.
Der Kirchturm hatte eine so beträchtliche Neigung, dass man eigentlich erwarten konnte, ihn innerhalb weniger Augenblicke niederstürzen zu sehen.
Lorant fuhr etwas langsamer.
Er verengte die Augen, nahm die Sonnenbrille ab.
So was gibt's doch nicht!, dachte er. Der Turm stellte ein Gebilde dar, das allen bekannten Gesetzen der Schwerkraft irgendwie völlig zu widersprechen schien. Und doch stand er. Wie der schiefe Turm von Pisa.
Lorant schüttelte leicht den Kopf.
War sicher kein besonders angenehmes Gefühl, in unmittelbarer Umgebung dieser Kirche zu wohnen, immer in der Gefahr, dass der Turm niederging.
Die Villen, die direkt nebenan standen, waren schmuck herausgeputzt. Offenbar rechnete keiner der Besitzer damit, sein Anwesen in absehbarer Zeit auf Grund eines niederstürzenden Kirchturms in wesentlichen Teilen renovieren zu müssen.
Lorant fuhr weiter, beschleunigte wieder etwas. Fast auf hundert. Den wartenden Geiern zum Trotz.
Bevor ich den Fall hier erledigt habe, werde ich auf jeden Fall ein Foto von dieser Kirche machen!, ging es ihm durch den Kopf. Wer weiß schon, wann ich das nächste Mal hier her komme!
Lorant fuhr an der Bedekaspeler Marsch vorbei.
Schließlich erreichte er ein Hinweisschild, auf dem "Großes Meer" stand.
Auf der Wegbeschreibung, die ihm vorlag, war allerdings nicht angegeben, in welche Richtung die Abzweigung mit diesem Hinweis ging.
Lorant wunderte sich darüber, dass das Hinweisschild nach rechts zeigte. Es widersprach seinem Raumgefühl. Ganz grob gesehen hatte er Emden im Süden und Aurich im Norden. Gleich, in welche Richtung man fuhr, man kam in Ostfriesland immer irgendwann zur Küste, es sei denn man fuhr nach Süden oder Osten.
Diese Abzweigung ging Richtung Osten.
Lorant nahm sie trotzdem.
Meine Güte, dass die hier schon auf die Küste des Jadebusens bei Wilhelmshaven hinwiesen! Das wunderte den Detektiv doch sehr.
Die Straße war schmal, hatte einen separaten Radweg und zog sich wie ein Strich durch die Landschaft. Zu beiden Seiten gab es die charakteristischen Entwässerungsgräben. Hin und wieder stand ein einsames Haus mitten in der Landschaft.
Dann erreichte er ein Ferienhausgebiet.
Tempo 30-Zone.
Lorant erinnerte sich an das Plakat mit den wartenden Geiern und hielt sich dran.
Eine sehr schmale Brücke führte über einen Kanal, dahinter befanden sich reetgedeckte Häuser und ein Parkplatz. Weiter entfernt waren die Campingwagen eines nahen Zeltplatzes und das offene Wasser zu sehen.
Lorant fuhr auf den Parkplatz, stieg aus.
Sein Hintern war ihm von der stundenlangen Sitzerei fast eingeschlafen. Der leichte Wind, der vom Wasser her wehte, wirkte erfrischend. Die beiden reetgedeckten Häuser sahen aus wie Gaststätten. Meewarthaus nannte sich das eine, Landhaus das andere. Konkurrenz belebt das Geschäft, dachte Lorant. Er schlug die Wagentür zu, ging in Richtung Ufer. Segelboote lagen in einer Hafenbucht. Man konnte Tretboote ausleihen. Einige Surfer waren auf dem Wasser. Ihre Segel wirkten wie Schmetterlingsflügel.
Es war ein Tag mit klarer Sicht.
Und so konnte man das andere Ufer ziemlich gut sehen.
Dies war nur ein kleiner Binnensee, schätzungsweise fünf Quadratkilometer groß.
Wieso müssen die hier nur so übertreiben, wo sie doch die echte Küste vor der Haustür haben!, ging es Lorant kopfschüttelnd durch den Kopf.
Er ließ den Blick zwischen Landhaus und Meerwarthaus schweifen und entschied sich dann für das Meerwarthaus.
Bevor er zu seiner Auftraggeberin ging, beabsichtigte er noch etwas essen und eine Tasse Kaffee trinken. Schließlich wollte er einen einigermaßen wachen Eindruck machen.
Er ging zum Meerwarthaus, passierte den Eingang.
Ein großer, breitschultriger Mann mit kantigem Gesicht stand hinter dem Tresen. Das Kinn war ziemlich spitz, der СКАЧАТЬ