Название: Zukunftsbeben Corona - was nun?
Автор: Josef Hülkenberg
Издательство: Readbox publishing GmbH
Жанр: Зарубежная публицистика
isbn: 9783746956510
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Satellitenbilder belegen den Rückgang des Smog über chinesischen und italienischen Industrieregionen und Ballungszentren. Die stinkende Brühe in Venedigs Kanälen regeneriert sich zur Wasserlandschaft, in der wieder Fische sichtbar werden. In der Lagune werden im klaren Wasser wieder Fischschwärme gesichtet. Delphine trauen sich in die stillgelegten Häfen Sardiniens. Für einen Hirschen endete der Versuch der Rückeroberung seines angestammten Lebensraumes jedoch tödlich. Er wurde in der Innenstadt Bocholts entdeckt und auf Weisung der Polizei von einem herbeigerufenen Jäger erschossen.
Was seit Jahren in Umwelt- und Klimapolitik proklamiert, aber nie ernsthaft verfolgt wurde, holt sich die Natur in kurzer Zeit zurück. Diese Erfahrungen können unsere Überzeugungen von einem naturverträglichen gesellschaftlichen Leben der Menschen bekräftigen. Noch stehen uns Wochen, vielleicht Monate des virusbedingten Ausnahmezustandes bevor. Wir können die Einschränkungen bejammern und beklagen. Wir können und dürfen sie auch zur gründlichen Reflexion und Neubesinnung unseres Lebens während und nach der Krise nutzen: zur Reflexion über ein gesellschaftliches Leben als Teil der Natur. Ein Leben resilient6 im Umgang mit den aus der Natur erwachsenden Gefahren und Risiken der uns anvertrauten Schöpfung.
Zukunftsbeben
Als Zukunftsbeben bezeichnen Forscher Momente, die den Lauf der Geschichte drastisch und nachhaltig verändern. Auslöser können Naturkatastrophen wie Erdbeben, Vulkanausbrüche oder Tsunamis sein.
Zu sozialen Zukunftsbeben werden Ereignisse, die von Menschen selbst herbeigeführt wurden oder durch die Reaktionen der Menschen auf Naturereignisse. Soziale Zukunftsbeben werden durch menschliche Entscheidungen geformt.
• Kein Virus hat die Schulen und die Kitas geschlossen. Kein Virus hat Ausgangssperren und Kontaktsperren verhängt. Nicht Covid-19 hat den Lockdown beschlossen, um sich an der Ausbreitung zu hindern. Den Viren sind die Zahlen der Infizierten und Toten egal. Es waren Menschen, die auf das Erscheinen des Virus reagierten und für die ihnen anvertrauten Menschen Schutzmaßnahmen entschieden.
• Den Viren ist es egal, ob wir die durch ihr Erscheinen ausgelöste Situation zu einer Reflexion und Neuorientierung unseres zwischenmenschlichen und gesellschaftlichen Verhaltens nutzen oder möglichst schnell wieder in alte Normalität zurückfallen.
• Den Viren ist es egal, ob wir beim virtuellen abendlichen Klatschen für die Corona-Helden bleiben, oder die neu entdeckte Systemrelevanz tariflich und gesundheitspolitisch bestätigen.
Den Viren ist all das egal. Es ist allein unsere Sache. An uns liegt es, wozu wir uns entscheiden, was wir entscheiden und wen wir entscheiden lassen. Zwischenmenschliches Handeln schafft Strukturen. Reflektiertes zwischenmenschliches Handeln kann die Strukturen schaffen, die wir wollen.
Allerdings ist der Weg nicht einfach. Der Weg in eine für Mensch und Natur tragtüchtige Zukunft ist zu bewältigen als Gemeinschaftsleistung aller Menschen, die sich mit der Vielfalt ihrer Kompetenzen aktiv in die Entwicklung einbringen.
Tragtüchtig – ein im Deutschen selten genutztes Wort. Wir sprechen zumeist von Nachhaltigkeit, doch wird dieser Begriff inzwischen inflationär gebraucht. Mit Nachhaltigkeit wird auch der vom dänischen Soziologen Helge Hvid eingebrachte Begriff „Bæredygtighed“ übersetzt. Tragtüchtig jedoch ist die ursprüngliche und eigentliche Bedeutung des verwandten Begriffes.
Als tragtüchtig erweist sich ein System, wenn und solange es die ihm zugeschriebenen Eigenschaften unter Beweis stellt. Längst ist nicht alles tragtüchtig, was auch tragfähig war. Ein gegenwärtiges Musterbeispiel dazu liefert die Autobahnbrücke der A1 zwischen Leverkusen und Köln:
Die von den Bauingenieuren Schumann und Homberg entworfene Rheinbrücke wurde am 5. Juli 1965 eröffnet. Die Pläne der Bauingenieure basierten auf den Planungsvorgaben von 1959 und kalkulierten eine ausreichende Tragfähigkeit der Konstruktion ein. Vor der Freigabe für den Verkehr wurde die Brücke verschiedenen Belastungstests unterzogen. Damit wurde die geplante Tragfähigkeit auf ihre tatsächliche Tragtüchtigkeit geprüft. Erst der Nachweis der Tragtüchtigkeit erlaubte die Freigabe.
Alterungsprozesse, Materialmüdigkeit, ungenügende Wartung, vor allem aber das weit über die einstigen Planungsvorgaben angestiegene Verkehrsaufkommen führten zur mangelhaften Tragtüchtigkeit der Brücke, sodass seit November 2012 für Fahrzeuge auf der Brücke eine Tonnagebeschränkung von maximal 3,5 t gilt.
Zur menschengerechten und naturverträglichen Zukunft brauchen wir tragfähige Konzepte. In praktischen Projekten ist ihre Tragtüchtigkeit zu prüfen. Dann sind sie durch politische Entscheidungen allgemein zu verankern.
Alle Schotten dicht
Zerfällt Europa? Fällt Deutschland in die Kleinstaaterei früherer Jahrhunderte zurück? Die Pandemie fördert Grenzschließungen und bislang unwesentliche Grenzziehungen zwischen Bundesländern. Scheitert Europa am Föderalismus, weil die Einzelstaaten ihre Schotten dicht machen?
Ist es nicht eher ein gesundes Zeichen, dass es noch Schotten gibt, die sich bei Gefahr schließen lassen? Schlägt ein Schiff Leck, sichern geschlossene Schotten vor dem Untergang, weil die Schadstelle abgeschottet werden kann. Brandschutztüren gehören zur Sicherheitsstruktur größerer Gebäude, damit eventuelle Brandherde nicht ungehindert auf das ganze Haus übergreifen können. Eierkartons oder Flaschenkästen sind nicht nur gute Transportmittel, sie schützen die Waren auch vor unsachgemäßen Transport.
Wer die Schotten dicht macht, sichert die Gesamtheit vor der Schadensausbreitung. Kluge Kapitäne lockern die Schotten erst, wenn und soweit das Leck abgedichtet ist. Allerdings haben sie einen Vorteil gegenüber heutigen Politikern in der Pandemie: das eindringende Wasser ist sichtbar, spürbar und macht sofort nasse Füße. Das Virus, das unserer Gesellschaft ein Leck geschlagen hat, ist zwar totgefährlich, doch unsichtbar. Da steigt die Ungeduld der Passagiere und so mancher ruft zur Meuterei auf der Titanic auf.
Selbst wenn sich unter dem Druck der „Meuterer“ einzelne Politiker in den Wettbewerb um den Preis des coolsten Landesvaters begeben, sie belegen damit die Qualität dezentraler Systeme. Organisationen, auch Staatswesen sind stabiler und resilient, strukturieren sie sich dezentral, angepasst an den jeweiligen Lebensraum der Menschen. Kooperationen und Koordination zwischen den Einheiten fördern und stärken das Gesamtsystem. Subsidiarität ist der Begriff, der dafür in den Lehrbüchern steht.
Leben in Koexistenz mit Corona
Gegen ein Virus und die dadurch ausgelöste Epidemie oder gar Pandemie sind Wut und Empörung sinnlos. Da mag sich mancher über mangelndes oder überzogenes Krisenmanagement empören. Auch die Konsequenzen eines sinnvollen und effizienten Krisenmanagements mögen persönlichen Unmut bewirken. Wer mag schon gern auf unbestimmte Zeit zu Hausarrest, Ausgangssperre, Versammlungsverbot und Homeoffice verpflichtet werden?
Die aktuellen Einschränkungen gehen nicht nur aufs persönliche Gemüt, sie beeinträchtigen lieb gewordene, bei Dauer auch notwendige Versorgungsketten und analoge soziale Netze. Private Feiern, Besuche bei Freunden, Besuche von Theater und Kino, Besprechungen mit Kollegen entfallen oder werden in die virtuelle Welt des Internet verlagert.
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