Zukunftsbeben Corona - was nun?. Josef Hülkenberg
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Название: Zukunftsbeben Corona - was nun?

Автор: Josef Hülkenberg

Издательство: Readbox publishing GmbH

Жанр: Зарубежная публицистика

Серия:

isbn: 9783746956510

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СКАЧАТЬ wir: über das Leben, die Welt im Allgemeinen und was Gott, Göttinnen oder wer sonst die Welt beherrscht, mit uns vorhaben. Immerhin sind wir mit Fähigkeiten ausgestattet, die uns Fragen und Denken ermöglichen und erlauben. Vielleicht sind wir nicht alle Vor-Denker, aber auch Nach-Denken fordert uns Einiges ab, soll es nicht zum Nachplappern verkommen. Wir tauschen unsere Gedanken mit den Mitmenschen aus und stellen fest, wie gemeinsam getragene Überlegungen dem sozialen Miteinander Struktur und Sicherheit geben. Manchmal sind wir offen und aufgeschlossen für neue Überlegungen und Einsichten, manchmal suchen wir Sicherheit vor fremdem Gedankengut. Die Geschichte der Menschheit ist ein ständiges Ringen zwischen diesen Polen. Auf den Kampfplätzen des Denkens haben nicht unbedingt die „richtigen“ Ideen gewonnen, sondern vor allem die machtvolleren. Was „richtig“ war, erwies sich erst weit später im Zusammenleben der Menschen.

      Weltbilder, seien sie naturwissenschaftlich, ethisch, religiös oder gar spirituell verankert, geben uns Orientierungs- und Handlungsrahmen für unser Leben. Heikel wird es, wenn jemand mit seinen Ansichten oder gar seiner Lebensweise diesen Orientierungsrahmen gründlich infrage stellt. Dann wird schon mal Sokrates zum Giftbecher verurteilt, der Nazarener gekreuzigt oder dem Galileo der Prozess gemacht. Heute gehen wir mit Querdenkern scheinbar humaner um. Sie werden „nur“ gemobbt, mit Shitstorms belegt, verächtlich gemacht und sozial geächtet. Der eigenen Verunsicherung suchen wir häufig zu entgehen, indem wir das alte Kinder-Versteckspiel nachahmen: solange ich mir die Augen zuhalte, sieht mich keiner!

      Damit verhindern wir allerdings nicht, dass irgendwann nicht mehr Gedankenspiele, sondern Ereignisse uns die Hände vom Gesicht reißen. Dann ist „plötzlich“ die Erde keine Scheibe mehr oder der Mittelpunkt des Universums. Dann zerplatzt der Mythos des Menschen als Krone der Schöpfung und wir erkennen uns als die aggressivste Lebensform auf dem Planeten. Ausgerechnet ein Virus namens Corona (lat. für Krone) schlägt uns aktuell wieder einmal die Schöpferkrone um die Ohren.

      Die Mythen einer besseren Zukunft können wie Seifenblasen platzen oder eingehen, weil wir als „göttlicher Ingenieur“ uns immer wieder zu Zwischenlösungen verlocken lassen, die sich in der Folge als noch größere Probleme erweisen.2

      Noam Chomsky, (*1928) Linguist und einer der einflussreichsten Intellektuellen der USA, beschrieb 2017 den Untergang des amerikanischen Traums vom freien Land. Einem Land unbegrenzter Möglichkeiten zu individuellem Aufstieg, zu Wohlstand und Privilegien, zu sozialer Mobilität in Freiheit und Unabhängigkeit. Chomsky begründete das Scheitern dieses Traumes an der ungelösten Konzentration von Reichtum und Macht und dem Mangel an Visionen:

       „Die Great Depression, die schwere Wirtschaftskrise der 1930er-Jahre in den USA, die ich selbst noch miterlebt habe, war eine harte Zeit – subjektiv gesehen viel härter als die heutige. Aber es herrschte das Gefühl vor, irgendwie auch wieder da raus zu kommen, die Erwartung, es werde irgendwann schon wieder besser:»Heute haben wir vielleicht keine Arbeit, aber morgen ganz bestimmt, und gemeinsam können wir an einer besseren Zukunft arbeiten.« Politischer Radikalismus hatte Hochkonjunktur und nährte die Hoffnung auf eine bessere Zukunft – eine, in der mehr Gerechtigkeit, Gleichheit und Freiheit die repressiven Klassenstrukturen aufbrechen würden. »Irgendwie wird es vorangehen«, dachten alle.

       Auch in meiner Familie gehörten viele zur Arbeiterklasse und hatten keinen Job. Aber die Gewerkschaftsbewegung war im Aufschwung, Ausdruck und Quelle von Optimismus und Hoffnung zugleich. Und das fehlt heute.»Nichts wird mehr, wie es mal war«, das ist heute die Stimmung – es ist aus und vorbei.“3

      Als der Journalist Gabor Steingart 2011 seinen „Nachruf auf unser Leben, wie es bisher war“ veröffentlichte, stand die uns so lieb gewordene, gesellschaftliche Normalität schon längst auf der Kippe. Nach seiner Vorstellung führten uns das Weltfinanzbeben (2008) und die Kernschmelze im japanischen Fukushima (2011) zum Ende der Normalität.4

      Warnungen, der von den Bewohnern der Industrieländer vorrangig betriebene Lebensstil schädige die weltweiten Ökosysteme, zerstöre die soziale Balance zwischen den Ländern und in den Ländern und gefährde sogar die eigenen Lebensgrundlagen, füllen längst Buchregale und Mediatheken. Ebenfalls schrieben zahlreiche Autoren Konzepte für die überfällige „Wende der Titanic“5. Aktivisten in zahllosen Projekten schufen Blaupausen für eine naturverträgliche, sozial akzeptable und kulturell befriedigende Lebensweise.

      Doch die Verdrängungskraft weiter Bevölkerungsteile und die Ignoranz mächtiger Interessengruppen sorgten dafür, dass die „Titanic“ auf Kurs blieb. Weltweit verstreute Kriege, die Papst Franziskus als „Dritten Weltkrieg“ brandmarkte, mehrfache weltumspannende Krisen der herrschenden Finanz- und Wirtschaftssysteme, Zusammenbrüche von Versorgungssystemen reichten nicht zur umfassenden Besinnung und Neuorientierung.

      In der Zeit von James Dean ließ sich noch sagen: „Denn sie wissen nicht, was sie tun“. Für unsere Gesellschaften gilt längst: „Denn sie tun nicht, was sie wissen.“

      Um die Muster des derzeitigen politischen Handelns zu verstehen, lohnt eine mentale Distanz zur aktuellen Informations- und Meinungsflut. Erinnern Sie sich noch an den Club of Rome mit seinem Bericht über die Grenzen des Wachstums? Oder an Heinz Haber (1913-1990) und Hoimar von Ditfurth (1921-1989), die schon vor Jahrzehnten noch heute wichtige wissenschaftliche Erkenntnisse in eigenen TV-Sendungen leicht verständlich erklärten? Ihre damaligen Beiträge wirken nun wie Prophezeiungen heutiger Zustände. Doch offenbaren sie auch Hinweise auf die Bewältigung jener Herausforderungen, die nach einem Exit aus den derzeitigen Beschränkungen wieder – oder besser noch weiterhin – auf der Agenda stehen.

      Wie werden wir mit dem Coronavirus, wie mit dessen uns noch unbekannten Kollegen zu leben lernen? Wie mit den vermuteten 1,5 Millionen Virenarten in der Biosphäre? Denn sie sind in der Welt, sie bleiben! Unsere derzeitige Lebensweise, vor allem in den Industrieländern, unser Umgang mit der Natur, eröffnet neuen Krisen immer wieder die Türen.

       Homo Sapiens erfährt seine Grenze

      Die Corona-Pandemie stellt unser gesellschaftliches Wertesystem brachial infrage. Der Homo Sapiens schwang sich auf zum Herrn und Herrscher über Natur und Biosphäre. Wissenschaftler sprechen seit einigen Jahren mal stolz, mal warnend vom Anthropozän. Gemeint ist damit, dass das Verhalten der Gattung Mensch für Zukunft und Existenz des Planeten Erde entscheidend geworden ist.

      Nun kommt ein kronenartiges Virus daher und erzwingt drastisch unsere Einsicht, dass wir doch Teil von Natur und Biosphäre sind. So stehen wir am Scheideweg. Stellen wir uns weiterhin ein auf einen Kampf um die Beherrschung der Natur oder schließen wir Frieden, und fügen uns in die angestammte Rolle der Kreatur? Antike Mythen unterschiedlicher Kulturen und biblische Reflexionen beschreiben die Menschen als Teil der Schöpfung, Kreatur und zugleich herausgehoben als der Schöpfung Hirte und Hüter.

      Die dennoch über Jahrtausende kulturell gepflegte Illusion von der Herrschaft über die Schöpfung erfährt durch die Pandemie einen herben, tödlichen Dämpfer. Nur die radikale Änderung unseres Lebensstils kann eine Menschheitskatastrophe abwenden. Quarantäne und staatlich verordnete Beschränkungen von Versammlungen, öffentlichen Veranstaltungen und Reisen wirken auf diese Verhaltensänderung hin. Physische Distanz der Menschen zueinander und eine konsequente Hygiene sind längst das Gebot der Stunde. Europäische Staaten und einzelne deutsche Städte verhängten Ausgehverbote, um Menschenansammlungen zu verhindern, die dem Virus zu seiner Verbreitung nutzen. Dabei nehmen die Politiker und Krisenmanager die Einschränkung und Aussetzung anerkannter und verfassungsrechtlich geschützter Bürgerund Menschenrechte in Kauf. Kulturbetriebe, Schulen und Kindertagesstätten wurden geschlossen, Veranstaltungen in Bildungseinrichtungen verboten, Gremien vertagten sich oder wurden abgesagt, ganze Wirtschaftszweige wurden gedrosselt und gerieten an den Rand der Existenz. Ein Blick über den Atlantik zu den USA oder Brasilien zeigen die Folgen miserablen politischen Managements.

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