Название: Zukunftsbeben Corona - was nun?
Автор: Josef Hülkenberg
Издательство: Readbox publishing GmbH
Жанр: Зарубежная публицистика
isbn: 9783746956510
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Dieser Gefahr können wir entgehen, indem wir uns immer wieder der Tatsache stellen, dass all unser Wissen, all unsere Einsichten nur fragmentarisch sind – Bruchstücke, die sich jederzeit verändern, ergänzen oder wegfallen können. Selbst die Gesamtheit unseres je fragmentarischen Wissens und aller Einsichten ist ein Bruchteil gemessen am Ozean unseres Nichtwissens.
Im Mosaik eigener und fremder Wissensfelder, eigener und fremder Einsichten lassen sich Muster entdecken, die uns zur Orientierung dienen.
Unsere zum Glück offene Gesellschaft, plural in Wertekonzepten, ethnischen Varianten und politischen Interessen, erweist sich zum Zerreißen gespannt. Unterschiedliche, oftmals sich massiv widersprechende Interessen und Grundansichten bestimmen Alltag, öffentlichen Diskurs und politische Debatten.
Im Hintergrund der vielfachen, strittigen Sachfragen werden methodische Probleme immer deutlicher:
• Wie kann man sich auf sachgerechte und ethisch verantwortbare Entscheidungen einigen, wenn jeder andere Interessen, Pläne und Ziele verfolgt?
• Reicht dann die Macht einer relativen Mehrheit zur tragfähigen Entscheidung? Zu einer Entscheidung, die dann auch von allen mitgetragen wird?
• Werden die in der Abstimmung Unterlegenen ihre eigenen Interessen und Pläne aufgeben, oder werden sie danach streben, ihre Macht zu erweitern, um mit neuer Mehrheit dann nach den eigenen Plänen zu handeln?
Dieses methodische Dilemma hat das Potenzial, die bislang entwickelte demokratische Kultur zu zerstören. Es zu lösen, bringt diese Kultur aber um wesentliche Schritte auf echte Demokratie voran. Solche Dilemmata löst man nicht im Hau-Ruck. Sie verlangen geduldiges, kraftvolles Engagement. Das eigene, wie das gesellschaftliche Leben reflektierend können wir diese Aufgabe gemeinsam meistern.
Sie, liebe Leserin, lieber Leser, lade ich ein zu gedanklichen Spaziergängen entlang coronabedingter Krisenerscheinungen. Es wird keine wissenschaftliche Analyse, sondern eine auf die Zukunft ausgerichtete Betrachtung von Phänomenen, Handlungsmöglichkeiten und Ressourcen. Solcher Spaziergang entlang einer TIMELINE ähnelt einer Stadtführung, bei der selbst vermeintlich Bekanntes immer wieder neu beleuchtet wird. Dabei werden Handlungsmuster erkennbar. Muster1, wie wir mit der Krise umgehen, aber auch Muster, wie wir die Folgen der Krise gesellschaftlich bewältigen können. Fragmentarische Erkenntnisse und Informationen lassen sich wie im Mosaik zuordnen, um neue oder tiefere Orientierung zu geben und zum zielorientierten Handeln zu führen.
Im choreographischen Zusammenspiel unterschiedlicher Denkansätze und Methoden entsteht ein Weg, in bewusster Reflexion solcher Muster unseren gesellschaftlichen Lebensstil auf eine naturverträgliche und nachhaltige Lebensform anzupassen. Diese Anpassung kann sogar auf Basis demokratischer Entscheidungen und breiter Akzeptanz geschehen.
1 zur Bedeutung der Muster und ihrer Erkennung siehe: Josef Hülkenberg, Nur mal angenommen… Demokratie ginge anders, tredition Hamburg, 2015,Seite 116 — im weiteren abgekürzt: Nur mal angenommen
Eine Krise namens Corona
Wenn uns die ach so gern verdrängte Fragilität und Unsicherheit des Lebens aus liebgewordenem Alltag wirft, sprechen wir schnell von Krisen.
Der Ausnahmezustand, hervorgerufen durch die Corona-Pandemie, löste nicht nur Ängste aus um Gesundheit und Leben, sondern ebenso um den Erhalt des Wohlstands und des bisherigen Lebensstils. Ängste auch um den Bestand geschichtlich erkämpfter demokratischer Rechte und Strukturen. Zudem sorgten sich Menschen um die Freiheit des wirtschaftlichen Wettbewerbs. Noch bevor die Wirkung der beschlossenen Maßnahmen sorgfältig überprüft werden konnte, wurden Rufe laut nach einer „Exit-Strategie“. Gleichzeitig verwiesen nachdenkliche Stimmen auf die Chancen, nun endlich Wirtschaftsprozesse an die Gemeinwohlorientierung zu binden, soziale Gerechtigkeit durch längst geforderte Verteilungsstrukturen wie Vermögenssteuer, Transaktionssteuer oder Grundeinkommen zu fördern oder die im Konzept der globalisierungsentgrenzten Wirtschaftsabläufe dezentral neu zu verankern.
Die gesellschaftliche Ruhepause schuf Raum, über das zwischenmenschliche Miteinander in regionalen, nationalen oder supranationalen Dimensionen nachzudenken. So führte die Corona-Krise die Abhängigkeit des Homo Sapiens als Teil unseres regionalen Ökosystems als auch der weltumspannenden Biosphäre neu vor Augen. Nach und nach schwindet der Druck, den die Epidemiegefahr auf das gesellschaftliche Leben auslöst.
Endlich! Mai 2020 – der Lockdown wurde gelockert. Händler, Museen, Friseure, Kirchen und viele andere mehr durften für ihre Angebote wieder öffnen. Die unselige Verbannung der Kinder von Spielplätzen, aus Kitas und Schulen findet schrittweise ihr Ende. Noch gelten Auflagen, doch auch die werden nach und nach zurückgenommen.
Allzu streng haben wir es häufig ohnehin nicht genommen. Bei Spaziergängen in Wäldern und Parks drängten sich schon Fragen auf: „Seit wann haben so viele Kleinkinder betagte Eltern?“, „Leben in unserer Stadt tatsächlich so viele Großfamilien in einem Haushalt?“ oder „Wie variabel ist eigentlich 1,50 m?“.
Die gelebten Abweichungen von den Vorschriften schlugen sich zum Glück nicht in der Corona-Statistik nieder – so schufen sie Raum für die Lockerungen. Die Abweichler, die Unduldsamen, die Ungehorsamen und Widerspenstigen halten wieder einmal die Freiheitssehnsucht wach. Auch ihnen gebührt es zu gratulieren.
Doch jede, auch die zurückgewonnene Freiheit hat ihren Preis und der heißt: Mitverantwortung! Nun gilt es nicht mehr, gehorsam bis untertänig den Anweisungen von Vater Staat oder Mutter Kirche zu folgen. Uns wächst so wieder die schwere Verantwortung zu, durch eigenes Verhalten die Pandemie unter Kontrolle zu halten – bis eines Tages Impfstoffe und Medikamente diese Verantwortung erleichtern. Abseits vom betreuten Denken haben wir selbst zu klären:
• Wann und wieweit kann ich Besuche bei Verwandten und Freunden verantworten?
• Wie nahe wollen wir uns kommen?
• Wie halten wir es demnächst mit Kneipengängen, Theater-, Kino- oder Stadionbesuchen?
Nicht alles Erlaubte ist auch gut für uns und die Mitmenschen – da gilt es abzuwägen. Diese Einsicht des längst verstorbenen Apostel Paulus gilt eh und je, auch nach fast 2000 Jahren.
Wie schnell absorbieren wir das „Abenteuer Corona“ und fliehen zurück in eine vermeintliche frühere Normalität? Vielleicht suchen wir dabei sogar alles nachzuholen, was uns zwischenzeitlich entging. Vielleicht aber halten sich noch Stimmungen und Einsichten des grundlegenden Wandels unserer Lebensart, um neuen Krisen die Schärfe zu nehmen. Die Reflexion der Pandemie und ihrer gesellschaftlichen Wirkungen kann Wege aufweisen, ein neues gesellschaftliches Miteinander zu entwickeln.
Wir können die Pandemie durchstehen, unsere Bewegungs- und Kontaktfreiheit zurückgewinnen und die Zukunft mit neuen Erfahrungen gestalten, sobald wir unseren Preis der klugen Mitverantwortung zahlen.
Das geschieht nicht von heute auf morgen. Es wird ein anstrengender Weg. Es dauert sehr lange, bis verschiedene Erfahrungen sich zu Einsichten und neuem Verhalten verdichtet haben. Es ist unsere Entscheidung, ob wir diesen Weg für ein humanes, naturverträgliches Miteinander auf uns nehmen.
Wieder zerfällt ein Weltbild
Es gehört wohl zum Menschsein, hebt es uns doch von den Tieren ab: unsere СКАЧАТЬ