Die Gier des Staates. Peter Uhl
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Название: Die Gier des Staates

Автор: Peter Uhl

Издательство: Readbox publishing GmbH

Жанр: Зарубежная деловая литература

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isbn: 9783347061620

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СКАЧАТЬ 1962 musste jemand, der als Steuerberater tätig werden wollte, keine besonderen Kenntnisse nachweisen. So wurden zum Beispiel Beamte, die aufgrund ihrer besonders kriminellen Verstrickung in die Nazi-Ideologie die Beamtenlaufbahn verlassen mussten, als Steuerberater zugelassen,18 auch wenn sie bisher mit Steuern wenig zu tun hatten. Noch während meiner Tätigkeit bei einem Finanzamt in den Jahren 1961–1966 haben sich ältere Steuerberater, die aus dem Beamtenverhältnis entlassen wurden, ohne ausreichendem eigenen Wissen von Finanzbeamten beraten lassen, wie steuerliche Probleme zu lösen sind. Es ist nicht zu erwarten, dass ein Steuerpflichtiger, der sich von einem Steuerberater beraten lässt, gut beraten wird, wenn sich der Steuerberater seinerseits von einem Finanzbeamten beraten lässt. Der Steuerberater meiner Mutter ließ sich von seinem Verwandten beraten, schloss sich dessen Meinung an und erklärte den Fall für aussichtslos. Leider gibt es auch heute noch Steuerberater, die sich von Finanzbeamten beraten lassen.

      Meine Hoffnung, dass nach dem Ausscheiden der Finanzbeamten mit Nazivergangenheit aus dem Staatsdienst durch Pensionierung oder Tod sich die Verhältnisse bessern würden, hat sich indes nicht erfüllt. Als die Nachwehen der Nazizeit längst vorbei waren, hatte ich gleichwohl immer wieder mit vergleichbarem Fehlverhalten von Finanzbeamten zu tun, über das ich im Verlauf dieses Buches berichte.

      Meine bis heute anhaltende tiefe Skepsis gegenüber allem hoheitlichen Verwaltungshandeln – das zwangsläufig mit Macht verbunden ist, die missbraucht werden kann und auch wird – hat ihren Ursprung in der eingangs geschilderten Geschichte und einem weiteren Ereignis, das sich in der Schule abspielte: Ich war damals vierzehn Jahre alt und musste wegen eines Umzugs die Schule wechseln. Ich kam eine Woche nach Beginn des Schuljahrs in die neue Klasse. Während des Mathematikunterrichts wollte der Lehrer wissen, wie eine Aufgabe zu lösen sei. Es meldeten sich der neben mir sitzende Schüler, drei weitere und ich. Zuerst kam mein Banknachbar dran. Sein Lösungsvorschlag war falsch. Danach entwickelten die drei anderen ihre Lösungen, die ebenfalls nicht richtig waren. Während ich mich mit erhobenem Zeigefinger weiter meldete, fragte mich mein Nachbar nach meinem Lösungsvorschlag, den ich ihm erklärte. Sogleich meldete er sich zum zweiten Mal. Der Lehrer, der das alles beobachtete, schimpfte, ich solle meinen Nachbarn nicht stören, nahm diesen ein zweites Mal dran und lobte ihn für die richtige Lösung. Das Verhalten dieses Lehrers hat mich tief verletzt, ich fühlte mich in diesem Augenblick absolut hilflos und ausgeliefert. Ich kann diesen Machtmissbrauch eines schlechten Pädagogen bis heute nicht vergessen. Er demonstrierte auf primitive Weise seine Macht und offenbarte seine allseitige Bereitschaft, sie gegenüber Schülern zu missbrauchen, die keine Chance hatten, sich zu wehren. Er hat mir sehr früh vermittelt, Macht und Hierarchien zu misstrauen.

      Durch diese beiden Fälle von Machtmissbrauch – der in der Schule erlittene, dem ich hilflos ausgeliefert war, und der von Finanzbeamten, den ich abwehren konnte – gewann ich die Erkenntnis, dass die einzige infrage kommende Möglichkeit, mich gegen einen behördlichen Machtmissbrauch zu wehren, nur darin bestehen kann, selbst Macht zu haben, und zwar Macht durch Wissen. Die zu Beginn meines betriebswirtschaftlichen Studiums fehlende Motivation war nun plötzlich vorhanden. Kein Finanzbeamter sollte künftig in Fällen, zu denen ich zugezogen wurde, noch eine Chance haben, offenkundig rechtswidrige Verwaltungsakte durchzusetzen. Ich wollte mir künftig bei einem Streit mit einer Finanzbehörde selbst helfen können und nicht auf fremde Hilfe angewiesen sein. Diese Erfahrungen waren das Schlüsselerlebnis für meinen künftigen Beruf als Steuerberater und Wirtschaftsprüfer.

       2. Kleiner Einblick in das Innenleben eines Finanzamts

      Schon während meines Studiums entschloss ich mich, meine ersten Berufserfahrungen bei der Finanzverwaltung zu sammeln. Ich wollte meinen künftigen Gegner näher kennenlernen, herausfinden wie das Innenleben einer Behörde abläuft und insbesondere einen Einblick in die Arbeitsweise der Betriebsprüfer gewinnen. Dafür musste ich allerdings ein Opfer bringen: Die Bezahlung war für Angestellte im öffentlichen Dienst damals schlechter als in der freien Wirtschaft, in der man als Berufsanfänger dreimal so viel verdiente; mit einem Hochschulabschluss als Diplomkaufmann konnte man bei der Finanzverwaltung keine Karriere machen, eine Übernahme in das Beamtenverhältnis war ausgeschlossen.

      Ich bewarb mich bei der Oberfinanzdirektion Freiburg für die Laufbahn eines Betriebsprüfers und hatte vor, drei bis fünf Jahre zu bleiben, dies musste ich aber beim Vorstellungsgespräch verheimlichen, denn die Finanzverwaltung hatte damals mit Diplomkaufleuten und Diplomvolkswirten schlechte Erfahrungen gemacht: Kaum hatten sie als Betriebsprüfer begonnen, wurden sie auch schon von den geprüften Großbetrieben abgeworben. Aus diesem Grund gab es einen Einstellungsstopp für Akademiker, die keine Juristen waren. Ich fühlte mich beim Vorstellungsgespräch also als eine Art Undercoveragent, auch wenn der Ausdruck nicht so richtig zutrifft.

      Ich hatte Glück und bekam einen Arbeitsvertrag. Mein Einsatzort war bei einem Finanzamt in Südbaden. Dort war die Betriebsprüfung für mehrere Finanzämter zu einer Großbetriebsprüfungsstelle zusammengezogen. Zuerst wurde ich im Innendienst jeweils zwei Monate in den Bezirken Einkommensteuer, Besteuerung der Personengesellschaften und Besteuerung der Kapitalgesellschaften eingesetzt. Danach besuchte ich einen einmonatigen Lehrgang für Betriebsprüfer, der mit einer schriftlichen und mündlichen Prüfung abschloss. Anschließend war ich dreieinhalb Jahre als Betriebsprüfer tätig.

      Was ich während meiner Tätigkeit bei der Finanzverwaltung erlebte, ist mir in der Privatwirtschaft auch in ähnlicher Form nicht begegnet. Es waren Ereignisse, die in staatlichen bürokratischen Systemen wohl typisch sind. Um die Stimmung in meinem neuen Umfeld zu illustrieren, stelle ich hier einige Episoden vor:

      An meinem ersten Arbeitstag wurde ich dem Vorsteher und den leitenden Beamten vorgestellt. Bereits am zweiten Tag fiel ich unangenehm auf: Ich begegnete auf dem Flur dem Vorsteher des Finanzamts und grüßte ihn mit seinem Namen. Kaum war ich in mein Zimmer zurückgekehrt, klingelte das Telefon, ich möge sofort zum Vorsteher kommen. Er erklärte mir, dass er mit Herr Regierungsdirektor angesprochen werden wollte. Das ging mir aber nicht über die Lippen, ich grüßte künftig nur noch mit einem »Guten Morgen« oder »Guten Tag«.

      Warum will jemand nicht mit seinem Namen, sondern mit einer Amtsbezeichnung angesprochen werden? Der Gruß »Guten Morgen Herr Regierungsdirektor« offenbart autoritäres Gehabe, das nichts mit Autorität zu tun hat. Der Philosoph Karl Jaspers setzte sich nach den Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus für eine konsequente Abkehr des viel zu lange währenden obrigkeitsstaatlichen Denkens ein, von dem heute noch mächtige Gesinnungen geblieben sind. Er sah die Gefahr, dass die Demokratie sich über den autoritären Staat (einschließlich Beamtenschaft) hin zu einer Diktatur entwickeln könnte.19 In der untergegangenen Diktatur galt es nach der Rechtsprechung des Reichsdisziplinarhofs beispielsweise als schweres Dienstvergehen, das die Entlassung aus dem Staatsdienst nach sich ziehen musste, wenn ein Beamter den deutschen Gruß nicht in der vorgeschriebenen und von jedem Beamten zu beachtenden Form erwiesen hatte, denn das Bekenntnis zum Führer, das sich im deutschen Gruß offenbarte, gehörte zu den vornehmsten Pflichten eines Beamten.

      Diese Absurdität war nun zwar glücklicherweise vorbei, aber autoritäres Gebaren ist nicht so leicht auszurotten. Für das Verlangen des Vorstehers des Finanzamts gab und gibt es keine Rechtsgrundlage. Es hat auch nichts mit einer Höflichkeitsformel zu tun. Ein Mensch, der sich hinter einer Amtsbezeichnung verstecken muss, besitzt keine persönliche Autorität. Sie entsteht auch nicht durch Anweisungen mit Befehlscharakter. Persönliche Autorität hat etwas mit positiven Gefühlen und persönlicher Wertschätzung gegenüber dem Vorgesetzten zu tun. Nicht Zwang oder Überredung schaffen Autorität, sondern nur Respekt vor der Person. Ihr gefährlichster Gegner ist Verachtung und am sichersten wird sie unterminiert durch das Lachen.20 Wer von einer Person, die ein Amt innehat, keinen Respekt hat, kann in diesem Augenblick auch vor dem Amt selbst keinen Respekt haben.

      Ich hatte aus Unkenntnis über die hierarchischen Gepflogenheiten die meiner Stellung gemäße untertänige Haltung nicht eingenommen. Der СКАЧАТЬ