Die Gier des Staates. Peter Uhl
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Название: Die Gier des Staates

Автор: Peter Uhl

Издательство: Readbox publishing GmbH

Жанр: Зарубежная деловая литература

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isbn: 9783347061620

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СКАЧАТЬ hohe Inflationsrate entwertete die Reichsmark so, dass man dafür nichts mehr kaufen konnte. Zum Essen bekam man nur noch etwas gegen Lebensmittelmarken, die staatliche Stellen jedem Bürger zuteilten. Wer mehr haben wollte, musste irgendwelche Tauschobjekte auf dem Schwarzmarkt anbieten. Da auch die Mittel zur Finanzierung des bürokratischen Apparats fehlten, war der Druck der Finanzbeamten auf die Bevölkerung enorm hoch. Insbesondere für die Umsiedlung der Ostflüchtlinge in den Westen wurden immense Mittel benötigt.

      Der Staatsentschuldung diente einmal die Währungsreform vom 20. Juni 1948, durch die die Reichsmark im Verhältnis 10: 1 in die Deutsche Mark (DM) umgetauscht wurde. Ein weiteres Mittel war das sogenannte Lastenausgleichsgesetz. Es bestand aus den Teilen Hypothekengewinnabgabe, Kreditgewinnabgabe und Vermögensabgabe. Alle Hypothekenforderungen und Kreditforderungen wurden im Verhältnis 10: 1 abgewertet. Der Schuldner musste zwar seine Hypotheken- oder Kreditschuld in voller Höhe zurückbezahlen, der Gläubiger bekam davon aber nur 10 Prozent – 90 Prozent kassierte der Staat. Die Vermögensabgabe diente hauptsächlich der Finanzierung der Umsiedlung der Ostflüchtlinge.

      Für alle Bürger, die im Westen lebten und ihre Heimat nicht verloren hatten, wurde eine Abgabe in Höhe von 50 Prozent ihres Vermögens eingeführt. Das Vermögen wurde nach dem Stand am Tag der Währungsreform in DM berechnet. Das Gesetz, das am 01.09.1952 in Kraft trat, konnte deshalb sehr schnell verabschiedet werden, weil es dazu bereits eine Vorlage gab, die noch aus dem Dritten Reich stammte, denn im Reichsfinanzministerium wurde bereits ab 1936 an einer antisemitischen Sonderabgabe gearbeitet, die kurz nach den Novemberpogromen im Jahr 1938 als Judenvermögensabgabe in Kraft trat. Maßgeblich beteiligt war an den Planungen Walter Kühne, der bis 1938 im Reichsfinanzministerium Referent für Steuern und Vermögen war und von 1949 bis 1952 im Bundesfinanzministerium, Sondergruppe Lastenausgleich, arbeitete. Auf diese Weise konnte das bereits vorhandene Wissen kurzfristig in das Lastenausgleichsgesetz eingebracht werden.7

      Auch die Vermögensabgabebescheide konnten bald erlassen werden. Bei den Plünderungen während der Besatzungszeit hatte sich niemand für die Steuerakten interessiert, sie waren alle noch vorhanden. Die Vermögensabgabe musste 30 Jahre lang in vierteljährlichen Raten an das zuständige Finanzamt abgeführt werden. Um die vierteljährlichen Raten finanzieren zu können, mussten viele Bürger immer wieder Vermögensteile verkaufen, vor allem Grundstücke.

      Wegen der Vermietung der Weintanks mussten meine Eltern eine Einkommensteuererklärung abgeben. Dadurch bekam das Finanzamt Kenntnis von der günstigen Vermietung, witterte unvermutete bisher nicht bekannte Steuerquellen und ordnete eine Betriebsprüfung an. Der Betriebsprüfer war der Auffassung, die Weintanks seien bei der Festsetzung der Vermögensabgabe übersehen worden und erhöhte die vierteljährlichen Raten so, dass die gesamten Mieteinnahmen an das Finanzamt abzuführen waren. Daneben hatte er noch elf weitere Beanstandungen. Die Prüfung hatte zu so hohen Steuernachzahlungen geführt, dass meine Eltern insolvent geworden wären, wenn sie sie akzeptiert hätten. Der zugezogene Steuerberater meinte dazu nur, da könne man nichts machen, die Gesetze seien nun mal so.

      Meine Mutter übersandte mir also den Bericht des Betriebsprüfers und erwartete von mir, dass ich ihr helfen würde. Ich hatte aber von Steuern keine Ahnung und verstand zunächst gar nichts; bisher hatte ich mich mit ganz anderen Dingen beschäftigt, mein eigentliches Berufsziel war nämlich die Schauspielerei. Ich hatte bereits während der Schulzeit Schauspielunterricht genommen und bewarb mich nach dem Abitur an der Schauspielschule Stuttgart, die mich aber ablehnte. Ich zog mich daher zunächst in die Staatsbibliothek zurück und studierte Kommentare zu den verschiedenen angesprochenen Steuerarten, entdeckte zahlreiche Widersprüche und erhob gegen alle zwölf Punkte des Betriebsprüfungsberichts Einwendungen.

      Das Finanzamt schrieb zurück, dass es schwierig sei, einem Laien die Richtigkeit der Feststellungen des Prüfers in einem Brief zu erläutern, und bat mich zu einem persönlichen Gespräch. Als armer Student blieb mir nichts anderes übrig, als von München zum Finanzamt in Kehl zu trampen. Dort warteten in dem angegebenen Zimmer bereits der Betriebsprüfer und sein Vorgesetzter. Die Unterhaltung verlief ausgesprochen einseitig. Die beiden redeten auf mich ein, ohne auch nur auf einen der von mir beanstandeten Punkte einzugehen. Ich forderte sie auf, zu erklären, warum sie meine Beanstandungen ablehnten.

      Da sie dazu nicht bereit waren, verließ ich den Raum und suchte das Zimmer des Vorstehers. Ich klopfte an die Tür, trat ein und stand der Sekretärin gegenüber. Dieser erklärte ich, dass ich den Vorsteher sprechen müsse. Sie sagte, so gehe das nicht, ich müsse erst einen Termin vereinbaren. In diesem Moment hatte ich Angst, die lange Reise könnte umsonst gewesen sein, fasste meinen ganzen Mut zusammen, drängte sie zur Seite, öffnete die Tür und trat ein.

      Ich blickte auf den Vorsteher. Er saß hinter einem Schreibtisch, der sich auf der der Tür gegenüberliegenden Seite des Raumes befand. Es war ein typischer massiver Schreibtisch, wie er in den Fünfzigerjahren in Amtsstuben üblich war. Das Vorzimmer mit der Sekretärin, der Schreibtisch, der Ort seiner Aufstellung im Raum und die Amtsbezeichnung des Vorstehers waren seine Insignien der Macht. Sie dienten allein dazu, einen Besucher einzuschüchtern. Mir war das damals allerdings nicht bewusst und reagierte nicht so, wie man es erwartete. Mich machte die ganze Situation eher aggressiv. Ich war der Meinung, ein berechtigtes Anliegen zu haben, und gewann den Eindruck, nicht ernst genommen zu werden. Der Vorsteher hatte Angst. Es war nicht alltäglich, dass ein Jugendlicher, der in diesem Augenblick noch nicht einmal volljährig war, beim Vorsteher eines Finanzamts ohne Anmeldung vorsprach.

      Ich trug mein Anliegen vor, er griff zum Telefon und sagte: »Hier ist Herr Uhl und behauptet, Sie beide wären unfähig, konkrete Fragen zu beantworten, kommen Sie bitte zu mir.« Auf mich wirkte dieses Telefonat wie ein weiterer Einschüchterungsversuch und steigerte meine Aggressivität noch.

      Der Betriebsprüfer und sein Vorgesetzter traten ein und das Spiel ging weiter wie zuvor, nur dass nun drei Beamte auf mich einredeten und keiner willens war, mir zuzuhören. Keiner äußerte sich konkret zu den Beanstandungen. Hätte der Prüfer recht gehabt, wäre es leicht gewesen, meine Einwendungen zu widerlegen. Da sie dies aber nicht einmal versuchten, stieg in mir der Verdacht hoch, dass meine Hinweise nicht so abwegig waren, wie sie vorgaben. Da sie bereits im Dritten Reich in Amt und Würden waren, hatten sie sich daran gewöhnt, den Bürger als bloßen Befehlsempfänger zu behandeln, und mussten das Zuhören, Nachdenken und Abwägen erst noch lernen8.

      Der Vorsteher machte kurzen Prozess und wies mich mangels Eignung zum mündlichen Vortrag zurück. Auf gut Deutsch: Er warf mich hinaus. In diesem Augenblick war ich sprachlos. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich konnte nicht verstehen, dass ein älterer Beamter mit langer Berufserfahrung sich einer sachlichen Auseinandersetzung durch Hinauswurf entzog. Ich fühlte mich so, wie ich es viele Jahre später bei Stefan Zweig las: Jugendliche hatten nichts zu sagen, die Meinung des Lehrers galt als unfehlbar, die Einrichtungen des Staates waren absolut und in alle Ewigkeit gültig. Bevor jungen Leuten irgendwelche Rechte zugebilligt wurden, sollten sie erst einmal Pflichten erfüllen und sich vor allem vollkommen fügsam unterwerfen. Sie hatten kein Recht etwas zu fragen oder zu fordern.9

      Während meiner Schulzeit von 1944 bis 1957, 40 Jahre nach Stefan Zweigs Erlebnissen, hatte sich rein gar nichts geändert. Zur Durchsetzung dieses Erziehungsgrundsatzes war bis 1951 die Prügelstrafe noch eine gängige Erziehungsmethode und wurde erst 1973 per Gesetz verboten.

      Das Verhalten des Vorstehers war rechtswidrig, das Grundgesetz war immerhin schon seit acht Jahren in Kraft. Er konnte sich aber auf die Reichsabgabenordnung berufen, die noch bis 1976 galt. Sehr spät nach dem Untergang des Dritten Reichs, Spötter behaupten, nachdem fast alle Finanzbeamten mit Nazivergangenheit in den Ruhestand getreten oder gestorben waren und sich deshalb nicht mehr mit dem an demokratische Regeln angepassten Verfahrensrecht befassen mussten, also erst ab 1977 wurde das steuerliche Verfahrensrecht reformiert. Der Maulkorbparagraf, der dem Finanzamt erlaubt, einen Bürger, der nicht Steuerberater oder Rechtsanwalt ist, mangels Eignung zum mündlichen Vortrag zurückzuweisen, wurde zwar СКАЧАТЬ