Название: Die vier Jahreszeiten des Sommers
Автор: Grégoire Delacourt
Издательство: Readbox publishing GmbH
Жанр: Контркультура
isbn: 9783455170795
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Er gab mir das Geld, das er mir schuldete. Leider fehlte durch seine vorzeitige Rückkehr der Lohn für ganze zwei Wochen, um die »Bleue« zu kaufen und den Doppelsattel durch einen Einzelsattel zu ersetzen.
Als er meine Enttäuschung bemerkte, schlug er mir vor, seinen Pool weiter zu pflegen.
»Bis die Schule wieder losgeht, wenn du willst.«
Von nun an verbrachte ich die meiste Zeit zu Hause.
Vormittags las ich im Schatten der Bäume Comics. Meine Mutter machte sich rauchend mit den Regeln der Buchführung vertraut – Nikotin hilft, das ist gut für die Konzentration, sagte sie. Wir waren ein kleines, braves Paar ohne große Illusionen. Gegen Mittag kümmerte ich mich um Gabriels Pool. Dann ging ich zum Mont des Tombes, wo ich früher mit Victoria gewesen war und wo wir unsere Räder am Feldrand liegen gelassen hatten, um zu dem berühmten Grabhügel zu rennen. Wir stellten uns die Toten vor, die seit mehr als zweitausend Jahren dort lagen, den Staub, der von ihnen übrig war, wir erfanden ihre Geschichten und versuchten, mit ihren ausgedachten Leben unser eigenes zu beschreiben.
Dann ging ich nach Hause, noch trauriger als vorher.
C’est le silence/Qui se remarque le plus/Und die Stille/Hört man am lautesten, sang Cabrel in Hors Saison.
In der Nacht, inmitten dieser »Stille, die man am lautesten hört«, dachte ich immer an sie.
Und wie man es von Sterbenden erzählt, ließ ich unser kurzes Leben an mir vorüberziehen: die Versprechen, die Kinderängste, die im Heranwachsen zum Begehren wurden, das Lachen, so leicht wie verliebte Körper, all die Träume, die ich allein für zwei träumte. Ich hatte von dem geträumt, was sie mir vorenthielt. Ich war Bruder, Freund, Verliebter gewesen, verflucht bis ins Mark. Ich war ihr Vertrauter gewesen, niemals eine mögliche Liebe.
Ich versuchte, einen Satz zu finden, den ich in der Sprache der Blumen, der Sprache meines Vaters hätte schreiben können, aber mir fehlten die Worte.
Um ihr diese Worte eines Tages zu schenken, wollte ich Schriftsteller werden.
Am Dienstag, dem 10. August, war ich gerade dabei, einen toten Vogel aus dem Pool zu fischen, der mit ausgebreiteten, seltsam verrenkten Flügeln auf der Wasseroberfläche trieb, als mir Gabriel aus dem Wohnzimmerfenster winkte.
Er war nicht allein. Aber nicht seine Frau war bei ihm. Sie war nicht wiedergekommen. Nein. Es war schon eine andere. So ein schöner Mann bleibt nie lange allein. Diese hatte blonde Locken, deren goldener Glanz mich an Victoria erinnerte. Er stand vor ihr, er redete und redete, von Zeit zu Zeit neigte sich der kleine blonde Kopf mit einer sehr hübschen Bewegung des Überdrusses zur Seite.
Als ich am Mittwoch, dem 11. August, gegen 16 Uhr zum Pool kam, entdeckte ich Victoria, die neben dem Becken auf einem großen weißen Badetuch auf dem Bauch lag. Als sie meine Schritte auf dem Holz vernahm, schreckte sie nicht hoch. Ihr nackter Rücken glänzte von Sonnenöl so golden wie ein Milchbrötchen. Ihre Haut musste heiß sein. Mein Herz raste, die Dämonen meiner Nächte regten sich. Sie drehte langsam ihr Gesicht in meine Richtung, als hätte sie mich erwartet; langsam, als wollte sie ihr Lächeln, die berauschende Wonne des Wartens, ihre Freude nicht allzu schnell preisgeben. Aber als sie mich erkannte, entfuhr ihr ein Schrei. Schrecken gemischt mit Wut.
»Was machst du denn hier?«, fuhr sie mich an und richtete sich mit ärgerlicher Miene auf, während sie ihren kleinen Busen wie eine Zauberkünstlerin in dem weißen Baumwollstoff verschwinden ließ.
»Und du, was machst du hier?«
»Ich mache, was ich will«, gab sie scharf zurück.
»Du hast hier nichts zu suchen!«
»Du hast hier nichts zu suchen!«
»Immerhin soll ich mich um den Pool kümmern!«
»Immerhin hat er mir erlaubt zu kommen, wann ich will, egal, ob er da ist oder nicht!«
Sie stand plötzlich auf, und obwohl ich dreißig Zentimeter größer war als sie, musterte sie mich von oben bis unten, mit der gleichen erschreckenden Arroganz, die ich später im Blick bestimmter Frauen wiederfinden würde, nämlich derer, die gerne mit dem Feuer spielen. Und sich dabei verbrennen.
»Du begreifst gar nichts«, schleuderte sie mir entgegen und schnappte sich ihren Bikini. »Gar nichts!«
Und sie verschwand.
Am Donnerstag, dem 12. August, ging ich zur gleichen Zeit zum Schwimmbecken und hoffte, sie dort zu treffen und sie meinen naiven Auftritt vom Vortag vergessen zu lassen.
Ich hatte endlich verstanden.
In jenem Sommer war die dreizehnjährige Victoria, die mein Herz entflammt hatte, in nur ein paar Stunden der Victoria gewichen, die künftig die Körper entflammen würde. Meinen. Aber auch die aller anderen.
Ihr Erwachen würde alle Begierden wecken. An jenem Nachmittag hatte ich beschlossen, mich neben dich an den Beckenrand zu setzen. Deinen Rücken, deine Beine und deinen Nacken zu streicheln, die betäubende Zurückhaltung der Gefühle beiseite zu lassen. Ich wollte eintreten, ohne anzuklopfen, Victoria. Ich wollte dein Entführer sein, wie meine Mutter gesagt hatte, mir die Fähigkeit der Männer aneignen, die die Frauen erobern wollen. Ich wollte ein Gauner, ein Liebender werden.
Aber der Garten war leer. Ich habe auf dich gewartet. Du bist nicht gekommen. Ich wollte sterben.
Also erledigte ich schnell meine Arbeit – das Wasser war sauber, keine Blätter, kein Vogel, keine goldene Sirene – und ging nach Hause.
Am späten Nachmittag bat mich meine Mutter, sie über die Abschreibung eines nicht amortisierbaren Anlagevermögens, über Versicherungstarife und Artikel R. 123-179 abzufragen. Ich gab ihr die volle Punktzahl, und um das zu feiern, fuhren wir zum Abendessen nach Lille, ins La Cave aux Fioles: Chicoréeauflauf, Eis mit Zichorien- und Wacholdersirupgeschmack. Meine Mutter war schön, zwei Männer sahen sie an, der eine lächelte mir zu, und wir lachten uns halbtot. Sieundich. Ich war mein Vater und gleichzeitig war ich ich. Ich war ihr Stolz. Sie sprach mit mir nicht über Victoria, mehr über das, was mich in einigen Wochen in der Zehnten erwartete, eine neue Schule, neue Freunde, neue Fächer, sie war zuversichtlich.
»Und was wird aus dir, wenn ich nicht mehr da bin?«
Sie lächelte.
»Danke, mein Schatz. Mach dir um mich keine Gedanken, dein Vater hat mir Glück für ein ganzes Leben hinterlassen.«
Am nächsten Tag sah ich wieder die Unbekannte im Wohnzimmer der Delalandes. Die Spiegelungen auf der Scheibe verbargen sie vor mir. Gabriel saß ihr gegenüber. Es sah aus, als versuche er, sie von etwas zu überzeugen.
Aber der blonde Kopf sagte nein, unaufhörlich nein. Ein goldenes Metronom.
Am Samstag, dem 14. August, hörte ich Gabriels Stimme, bevor ich ihn sah. Er war im Garten. Er schimpfte laut und gestikulierte heftig. Als ich ihn sah, stockte mir der Atem: Victoria stand vor ihm. Nackt. Plötzlich ohrfeigte er sie. Sie starrte ihn an, dann schnappte sie sich ihre Sachen und rannte weinend weg, wobei sie auch ihm zuschrie: Sie begreifen gar nichts! Sie begreifen gar nichts! Als Gabriel merkte, dass ich sie gesehen hatte, brüllte er meinen СКАЧАТЬ