Die vier Jahreszeiten des Sommers. Grégoire Delacourt
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Название: Die vier Jahreszeiten des Sommers

Автор: Grégoire Delacourt

Издательство: Readbox publishing GmbH

Жанр: Контркультура

Серия:

isbn: 9783455170795

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СКАЧАТЬ bin auch kein niedliches kleines Mädchen mehr. Und dann bist du, bist du … du …«

      Sie holte hastig beide Füße aus dem Wasser, zog in einer unvergleichlichen Bewegung die Beine an sich. Und ich verstand.

      Das, was uns vereinen sollte, entzweite uns.

      Ein blutiges Rinnsal entriss uns einander.

      Ich hatte das Gefühl, dass sie mich in diesem Moment aus sich verstieß, mich, der ich nie in sie eingedrungen war, der brav und geduldig im Vorzimmer ihres Herzens gewartet hatte.

      Als sie verstummte, hatte ich weder Kraft zu sprechen noch wütend zu sein. Ich, der schlaksige Fünfzehnjährige, der Verliebte ohne Liebesworte, der blasse Träumer, ich entdeckte den Kummer, den riesigen Kummer, den, von dem Sylvie Vartan sang, On était des enfants/Notre peine valait bien celle des grands/Wir waren Kinder/Aber unser Kummer war schon erwachsen.

      Ich wollte meinen Körper im Schwimmbecken versinken lassen, das Wasser sollte mir in Mund, Nase, Ohren eindringen, mich verschlingen.

      Ich wünschte mir, zu Füßen meiner Prinzessin zu sterben, überflutet und ertränkt von ihrem ersten Blut.

      Ich stand auf. Gott, war mein Körper schwer! Er hatte soeben die Anmut der Kindheit verloren.

      Ich schnappte mir den Kescher und fing an, das Wasser zu reinigen. Ich fischte nach dem Blatt eines Pflaumenbaumes, Rosenblätter, halbtoten Insekten und meinen Träumen.

      Kurz darauf stand auch Victoria auf und kam um das Becken herum. Sie schmiegte sich an meinen Rücken. Ihre Arme umschlangen meinen Oberkörper, wie sie es sicher auf der »Bleue« gemacht hätte, wenn wir zusammen einem Leben zu zweit entgegengerollt wären. Bis ans Ende der Welt. In eine Zukunft, die eine Chance ist. Wir blieben lange so stehen. Unsere Körper atmeten im gleichen Rhythmus, wir waren eins. Victorialouis. Louisvictoria. Sieundich. Ein Moment vollkommenen Glücks. Unauslöschlich. Eine Erinnerung für ein ganzes Leben.

      Endlich verstand ich meine Mutter.

      So langsam, wie das Meer sich bei Ebbe zurückzieht, lösten ihre Arme die Umarmung, und die zehn Blutstropfen verflüchtigten sich. Sie drückte einen Kuss auf meinen Rücken. Und das war alles. Ich spürte eine riesige Leere, und als sie sich entfernte, legte ich meinen ersten Männerschwur ab:

      »Ich werde schnell groß, das verspreche ich dir. Wenn ich wiederkomme, sage ich dir das, was eine Frau verliebt macht.«

      Ende Juli fuhren die Augusturlauber fort. Sainghin leerte sich.

      Diejenigen, die schon lange nicht mehr wegfuhren, trafen sich am Tresen der Kneipen. Das waren ihre Häfen, ihre Aufbruchsorte. Sie zitierten Audiard: »Ich habe auch mal viel getrunken. Und ich bin weiter gekommen als bis nach Spanien. China, Yangtsekiang, haben Sie davon schon mal gehört? Manchmal passt er in ein einziges Zimmer!«

      Am 31. Juli gab es in der Allée de la Seigneurie einen Einbruch, aber die Diebe nahmen nur eine Louis-XV-Kommode mit. Deshalb vermutete die Polizei hinter dem Diebstahl ein Familiendrama, eine schlecht geregelte Erbschaft oder schlecht verteilte Liebe.

      Meine Mutter wollte den Bankier und die Dichterin einladen, um ihnen zu danken, weil sie mich mit nach Le Touquet genommen hatten. Ihr schwebte ein Grillabend im Garten vor, mit einem guten Rosé – ein guter Rosé bringt alle in Schwung –, ich versuchte, es ihr auszureden.

      »Mama, das ist keine gute Idee, ihre Mutter ist krank, sie hat Probleme, sie verträgt kein Fleisch. Das vergiftet ihr Blut.«

      »Na, dann gibt es eben gegrilltes Gemüse, Gemüse ist immer gut.«

      »Bitte hör auf, Mama. Victoria und ich sehen uns nicht mehr so oft.«

      »Sieh an. Ich habe mich schon gefragt, wann du mir das erzählst. Du weißt doch, Mütter merken alles. Ich sehe dir an, dass du Kummer hast und morgens mit Augenringen aufstehst. Ich habe dir schon mal gesagt, dass du ruhig weinen darfst. Tränen reinigen, sie ertränken den Schmerz.«

      Dann versuchte sie, meinen Schmerz in der Erinnerung an ihre große Liebe zu ertränken.

      »Stell dir vor, dein Vater hat mich am Anfang überhaupt nicht gereizt. Er mochte mich sofort, aber ich fand ihn nicht besonders interessant. Sogar sein Werben fand ich ziemlich langweilig: eine Einladung ins Café, zum Bummel entlang der Deûle, wir sahen uns einen alten Truffautfilm an, ich liebte Jules und Jim, oder hörten in seinem Studentenzimmer die Schallplatten der Ronettes. Ich war neunzehn und träumte davon, überrascht zu werden, wie alle Mädchen. Ich träumte davon, überwältigt oder gekidnappt zu werden. Den großen Blonden mit Brille, der Schriftsteller werden wollte, fand ich viel aufregender als deinen Vater. Wir trafen uns im Café, wo er ganze Hefte vollschrieb. Aber ich habe schnell begriffen, dass Schriftsteller nur das lieben, was sie schreiben, und nur die Frauen aus ihren Büchern, auch wenn sie die am Ende immer um die Ecke bringen, damit sie ihre großartige Tragödie kriegen. Ich dachte, ich ende als alte Jungfer.

      Dann bekam ich plötzlich Blumen. Ich wusste nicht von wem. Jeden Tag eine andere. Anfangs gefiel mir das nicht, jeden Tag eine andere Blume. Eine Lilie. Eine Rose. Eine Mohnblume. Eine Dahlie. Und am letzten Tag erhielt ich ein Buch über die Sprache der Blumen. Ich schlug die Bedeutung aller Blumen nach, die ich bekommen hatte: Jede einzelne Blume war eine Liebeserklärung. So hat sich dein Vater in mein Herz gedrängt. Und als er mit seinem alten Alfa Romeo, den er über alles liebte, vor meiner Tür stand, habe ich mich pflücken lassen. Ich habe mich neben ihn gesetzt und gewusst, dass ich angekommen bin. Ich war endlich da, wo ich hingehörte, bei ihm. Erundich. Am Tag seines Todes wollte er Blumen kaufen, um unser Fünfjähriges zu feiern.«

      Diese Blumen. Mein Erbe.

      Es war sehr heiß.

      8 à Huit verkaufte aufblasbare, überteuerte Schwimmbecken – das hatte es in Sainghin-en–Mélantois, wo es ungefähr einhundertfünfzig Tage im Jahr regnet, noch nie gegeben. Die Leute beklagten sich über die Hitze, die Leute beklagen sich immer, sie ahnten nicht, was für ein Sommer sie 2003 erwartete.

      Ich verbrachte meine Tage im Schwimmbecken des Nachbarn, auf einer Luftmatratze mit einem hässlichen Schildkrötenbild. Chlor- und Salzgehalt waren perfekt. Die Frische des Wassers war perfekt. Das Himmelsblau war perfekt. Das Leben war perfekt.

      Plötzlich spürte ich die Frische eines Schattens. Ich dachte, eine Wolke hätte die Sonne verdeckt, und öffnete ein Auge. Da stand Gabriel. Groß, schön und braungebrannt. Er sah mich lächelnd an. Ich wollte mich aufsetzen und fiel dabei jämmerlich ins Wasser. Gabriel lachte, auch sein Lachen war schön.

      »Ich sehe, du kümmerst dich gut um den Pool.«

      »Er ist picobello, Monsieur.«

      »Gabriel.«

      »Gabriel. Sind Sie schon zurück? Sie wollten doch erst Anfang September wiederkommen.«

      Er streckte mir die Hand hin, als ich zum Rand des Beckens kam. Ich hielt mich fest. Er zog mich mit väterlicher Kraft raus.

      »Ich. Ich bin zurück. Allein. Sie ist weg.«

      Hatten die baskischen Winde seine Frau weggetragen? War es der vent fou gewesen? Der Sog einer mächtigen Welle? Kurz dachte ich, er hätte sie vielleicht verstoßen. Keine Frau verlässt einen so schönen Mann. Ich fröstelte und schnappte mir mein Handtuch, um mich abzutrocknen. Er zuckte mit den Schultern.

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