Wenn ich ehrlich bin, hab ich eine Ahnung, von wem er redet. Und neugierig bin ich auch irgendwie, aber ich will Andreas die Aufmerksamkeit nicht geben, die er sonst mit diesen Geschichten bekommt.
„Mensch Nathan, für einen Reporter bist du heute ganz schön langsam.“
„Weißt du, wie viele Leute ich kenne, die Klaus heißen?“
„Ok, ok. Ich meine meinen super erfolgreichen Vorgänger. Klaus Zetschmann. Der Held des Verkaufs schlechthin. Unser Chef hätte ihm damals schier ein Denkmal in der Eingangshaller errichtet.“
„Zu Recht. Ein begnadeter Verkäufer. Er hat euch damals an die Spitze gebracht.“
„Und jetzt, ein abgehalfterter, speckiger, schmieriger Ramschschleuderer.“
„Jeder hat mal einen Durchhänger.“
Ich kritzle Klaus in mein Notizbuch. Klaus steckt offenbar in einer Krise. Vielleicht könnte ich ihn interviewen.
„Der konnte doch nur eins: Geschäfte aufreißen und Sonderdeals vereinbaren.“
„Und mit Erfolg.“
Andreas winkt ab.
„Wohl eher mit Glück. Er hat sich von ’nem Taiwanesischen Elektrokonzern abwerben lassen. Hat gedacht, dass er mit der gleichen Verkaufsmasche deren Elektroschrott auf den Markt bringen kann wie unsere „Made in Germany“ – Premium Produkte. Damit ist er aber ordentlich auf die Schnauze gefallen. Das läuft doch nicht. Wenn man mal ‘nen Marketing-Gag gelandet hat, ist schon bei der Wiederholung der Lack ab.“
Andreas grinst. Ich ertappe mich beim Gedanken, dass ich ihm einen ähnlichen Niedergang wünsche. Böser Nathan, Platz. „Klar, Klaus war ein Hecht, aber unser Firmennamen hat ihm die Türen geöffnet. Bei den Taiwanern war er aber nicht mehr der Starverkäufer vom Premiuman-bieter, sondern Hauptverschleu-derer der Billigkopie. Die Kunden haben ihn abblitzen lassen und er musste sich schnell was anderes suchen.“
Wieder macht Andreas eine Kunstpause, um zur Schlussfolgerung auszuholen.
„Das kommt davon. Einmal mit einer Masche Glück gehabt und die dann tot reiten.
Das muss doch ins Auge gehen.“
Als wärst du besser, du Lackkratzer. Notiz: Wiederholung, festgefahren.
„Danach ging er zu einem Hersteller von Glühlampen und hat es fast geschafft, ihn in den Ruin zu treiben. Natürlich mit der gleichen Masche. Hat die Arroganz des Premiumverkäufers bei jedem auf den Tisch geknallt und Sonderkonditionen vereinbart. Das war bei uns vielleicht richtig, aber doch nicht bei einer Massenware wie Glühbirnen. Nach einem Jahr hatten 32.000 Kunden individuelle Konditionen. Das Chaos kannst du dir ja vorstellen. Da hat der Unternehmensgründer persönlich die Notbremse gezogen.“
Endlich kommt mein Espresso. Während ich den Zucker dazu gebe und umrühre frage ich mich, wie Andreas an all die Informationen gekommen ist. Da muss jemand geplaudert haben, denn von Klaus weiß er das alles sicher nicht.
„Klaus flog in hohem Bogen raus. War natürlich gegen seine Ehre und er hat ein Riesen Tamtam gemacht. Danach hat er drei Jahre lang jedes Angebot abgelehnt, weil’s unter seiner Würde war. Unser Konkurrent hat’s mit ihm versucht und ihn schon nach drei Monaten gefeuert.
Und jetzt steht er so beschissen da, dass er alles annehmen muss, was er kriegen kann.
„Armer Kerl.“
„Find ich nicht. Der war einfach zu arrogant, um sich anzupassen. Wenn sein Weg nicht funktioniert hat, waren die anderen schuld. Die Taiwaner hatten das falsche Produkt, der Glühlampenhersteller die falsche Mannschaft und so weiter.“
So wenig ich Andreas leiden kann, er hat Recht. „Und jetzt kommt’s: Glaubst du, er hat was draus gelernt? Ich hab mich kurz mit ihm unterhalten. Er meint immer noch den Königsweg zum Erfolg zu kennen. Die anderen können seinem Sachverstand nur nicht folgen. Sagt er, hält mir eine Bratpfanne unter die Nase und fragt, ob ich sie kaufen will.“
Das Lachen könnte ich dir gerade aus dem Gesicht schlagen. Was maßt du Emporkömmling dir an? Ohne die Erfolge von Klaus hättest du nie diese Position und deine Firma nicht diese Stellung. Notiz: Königsweg.
„Und, hast du?“
Zum ersten Mal verschwindet das Lächeln aus Andreas’ Gesicht. Hat er also nicht. Obwohl er sich es locker leisten könnte, nem armen Kerl – ob nun arrogant oder nicht – eine Pfanne abzukaufen.
„Jedenfalls…“
Meine Aufmerksamkeit schweift ab. Eine Blondine betritt das Café. Sie bleibt am Eingang stehen und sieht sich die Leute an den Tischen an. Sie sieht auf die Uhr und setzt ihre regungslose Suche fort.
„Schau mal, die hübsche Blonde da hinten. Willst du von der vielleicht das Boot kaufen?“
Das waren die richtigen Schlagwörter: hübsch, blond und kaufen. Andreas nimmt Witterung auf und steuert auf sie zu. Gefolgt von Hektor, der so aussieht, als würden ihm die dauernden Ortswechsel auf die Nerven gehen. Wenn er das nächste Mal die Schnauze so aufreißt, sag ich ihm die Meinung. Luftpumpe.
Stumm nippe ich an meinem Espresso. Einen Gedenkschluck für Klaus, wenn man so will. Werde gelegentlich die Kaufhäuser abklappern und ihn zum Essen einladen. Trotz seiner Überheblichkeit hatte er sich immer um seine Freunde gekümmert.
„Dr. Späth.“
Ich sollte mal den Klingelton ändern, fast hätte ich mein Handy überhört. Fast jeder zweite hat den, deshalb ignorier ich ihn meist.
„Natan Vogth hier. Guten Morgen“
„Markus hat mich schon angerufen und mich vorgewarnt.“
Seine Stimme ist knapp und klar.
„Machen wir es kurz. Sie brauchen ein Interview und ein paar Tipps und ich habe keine Zeit. Markus zu liebe, würde ich meine Mittagspause opfern. Was halten Sie davon?“
Irgendwie komisch, auf der einen Seite war dies fast schon ein Befehl, aber auf eine Art, die sympathisch rüber kommt.
„Das passt.“
Eine andere Möglichkeit hab ich ja eh nicht. „Ich sitze schon im Cafe Pascal, in der Fußgängerzone.“
„Kenn ich. Um 12:30 Uhr?“
„Ja“
„Bis dann“. Klick. Das war’s.
Der Einband ist schön, riecht noch nach Leder und an der linken oberen Ecke eine kleine Narbe. Blankes Papier. Keine Linien oder Kästchen. Meine Liebste hat es mir das Notizheft zum Nikolaus geschenkt. Ich freue mich zu sehen, wie es sich langsam mit meinen Erkenntnissen über Krisen füllen wird. Die nächsten Tage wird es mein treuer Begleiter sein.
Andreas schießt mir immer wieder durch den Kopf. Verdirbt mir die Laune. Was maßt sich dieser Typ doch an. Klaus ist doch ein armer Mensch. Tiefer fallen geht wirklich nicht. Vom Tophelden zum Topfhelden.
Vom СКАЧАТЬ