Название: Wir bauen eine Krise
Автор: Rainer Runzer
Издательство: Readbox publishing GmbH
Жанр: Секс и семейная психология
isbn: 9783732377732
isbn:
Der gute Mann hat ja eigentlich Recht. Hier geht’s rein, doch seit zwei Monaten ist der Türschließer defekt. Deshalb auch das große Schild an der Tür, dass die Gäste bitte den zweiten Eingang in der Fußgängerzone benutzen sollen. Die Bulldogge scheint jedoch fest entschlossen, das Problem auf ihre eigene Art zu lösen. Die Tür muss irgendwann ja nachgeben. Noch bevor die Kellnerin das Fenster in der Tür öffnen kann, wirft er sich ein viertes Mal dagegen. Bwm!
Dieses Verhalten erinnert mich an eine Geschichte, die ich mal gelesen habe („Who moved my cheese“ von Spencer Johnson). Es geht dabei um Mäuse und Zwerge, die in einem Labor-Labyrinth in den Kammern nach Käse suchen. Beide finden auf ihre eigene Art dieselbe Käsekammer. Die Mäuse der Nase nach und mit Mut, die Zwerge Stück für Stück vortastend. Nur kein Risiko eingehen.
Nach einer Weil war der Käse in der Kammer von den Vieren aufgegessen.
Die Mäuse, die sich nur auf ihre Sinnen verlassen, suchen die alte Käsestelle gründlich ab und erweitern dann ihre Suche. Bald schon haben sie eine neue Kammer mit Käse gefunden.
Die Zwerge hingegen gehen den gewohnten Weg zur alten Fundstelle. Als sie merken, dass kein Käse da ist und auch keiner mehr kommt, fangen sie an zu schimpfen.
„Wer hat unseren Käse geklaut? (Who moved my cheese?) Wir haben doch verdient, hier den Käse zu finden. Das ist unser Käse, wir haben ein Recht darauf.“
Schließlich geht einer der Zwerge dann doch das Risiko ein, den Käse woanders zu suchen. Mit Erfolg und gerade noch rechtzeitig. Ein typisches Beispiel dafür, dass wir Menschen (Zwerge) Gewohnheitstiere sind.
Der Bulldoggenmann hat inzwischen den Weg ins Café gefunden. Die Kellnerin erwartet ihn bereits. Sie stemmt ihre Hände in die Hüften, was sie wohl bedrohlich aussehen lassen soll. Allerdings ist sie so dünn, dass der Versuch scheitert. Der Mann zeigt sich unbeeindruckt. Und uneinsichtig. Er wirkt eher so, als ob er die Sau sucht, die ihm seinen Eingang versperrt hat.
„Draußen hängt ein Schild, dass sie den anderen Eingang benutzen sollen.“ Quakt die Kellnerin.
„Das hängt da schon seit Monaten. Als ich das letzte Mal hier war, hieß es, die Tür sei in einer Woche repariert.“
„Es dauert halt etwas länger.“
„Das ja nichts Neues.“
„Jetzt reicht’s aber. Wenn Sie was trinken wollen, suchen sie sich’nen Platz. Sonst können sie gerne woanders hin gehen.“
Die Kellnerin rauscht davon. An der Stelle der Bulldogge würde ich mir gut überlegen, ob ich hier bleiben soll oder nicht.
Jetzt scheint es ihm jedoch ums Prinzip zu gehen. Der Mann stapft zum Tisch bei der Kuchenvitrine, die direkt neben dem Haupteingang steht, den er erfolglos zu stürmen versuchte. Er sitzt mir schräg gegenüber. Seine Augen tasten die Tische ab, als wolle er sich ein Opfer suchen.
Absichtlich langsam nehme ich die Zeitung vom Tisch und verschanze mich dahinter. Bloß keine Aufmerksamkeit erregen, bis er seine Bestellung bekommen hat.
Wieder überfliege ich die zerknitterten Seiten. Allerdings bin ich so darauf bedacht, keine Aufmerksamkeit zu erregen, dass ich mich auf nichts konzentrieren kann. Automatisch blättere ich bis zum Feuilleton. Die Rätsel- und Witzseite grinst mir bunt entgegen.
Ein Comic zeigt drei Ameisen, die hinter einander herlaufen. Unter dem Comic steht:
„Drei Ameisen gehen in der Reihenfolge A, B und C durch die Wüste von Oase 1 zu Oase 2. Immer hintereinander her. Ameise A sagt: Vor mir läuft keine Ameise und hinter mir 2 Ameisen. B sagt: Vor mir läuft eine Ameise und hinter mir eine Ameise. C sagt: Vor mir läuft keine, hinter mir 2. Wie ist das möglich, wenn die Ameise hintereinander in die gleiche Richtung laufen?“
Hm, mal überlegen: Die Ameise C sagt als einzige etwas, das nicht passt. Ich könnte das Bild auf den Kopf drehen, dann ist Ameise C vorne. Aber die drei laufen dann in die andere Richtung, also ist C wieder hinten.
Auf der anderen Seite der Zeitung klirrt es. Offenbar hat die Bulldogge gerade sein Getränk bekommen.
„Ich möchte noch ein Stück Streuselkuchen dazu.“
„Gibt’s noch nicht. Wir haben nur das, was in der Vitrine steht.“
Blödsinn. Ich selbst habe vorhin Streuselkuchen gefrühstückt. In der Vitrine steht nämlich nur Rhabarberkuchen, der garantiert mehr als einen Morgen gesehen hat.
„Dann eben den.“
Das muss gerade ein kleines Hochgefühl in der Kellnerin auslösen. Wie einem eine kleine Lüge doch den Tag versüßen kann. Sie will gehen. Ich senke die Zeitung, fange ihren Blick auf und hebe die Hand.
„Noch einen Espresso bitte.“
Ich sehe kein Lächeln, kein Funkeln in den Augen. Sie nickt nur. Mehr kann ich wohl nicht erwarten. Ich spiele mit dem Gedanken, mir noch einen Streuselkuchen zu bestellen. Aber ich glaube nicht, dass sie freundlicher wird, wenn ich sie mit ihrer Lüge konfrontiere.
Da kommt mir die Idee: Ameise C lügt. Nicht die eleganteste Lösung aber dafür die einfachste. Auf Seite 9 steht die Lösung. „Ameise C lügt“. Wie einfach, doch wer wurde schon mal von einer Ameise belogen?
Ich lege die Zeitung weg und greife nach meiner Tasche auf dem Boden. Zeit, mit der Arbeit anzufangen. Ich sollte erst mal das Thema Krise mit Schlagworten einkreisen, um mir einen Überblick zu verschaffen.
Den neuen Block finde ich auf Anhieb, der Stift hat sich jedoch irgendwo versteckt. Ich zucke zusammen. Etwas gleitet über meine Hand. Es ist warm und glitschig. Wie eine Schnecke, die gerade aus der Sauna kommt. Hektor sitzt vor mir und blickt mich unschuldig mit seinen geröteten Augen an.
Ein Sabberfaden hängt aus dem rechten Winkel seiner Schnauze.
Ich wische mir die Hand an der Hose ab.
„Lass das. Ich bin doch kein Putzlumpen für Kälber.“
„Hektor, Platz.“
Hektor pariert.
„Du glaubst nicht, was mir vor ein paar Tagen passiert ist.“ Sagt Andreas und setzt sich wieder an meinen Tisch.
„Du wirst es mir trotzdem erzählen.“
Wie als Bestätigung ignoriert Andreas meinen Kommentar und fängt einfach an.
„Neulich hetze ich ins Kaufhaus und renn am Eingang fast den Pfannenfritzen um. Du kennst doch die Typen: fettige Haare, billiger Anzug und manchmal ein zarter Duft von Alkohol. So ein Verlierertyp halt, der so spannenden Krimskrams wie Pfannen, Internetverträge und Zeitungsabos verhökert.“
Du denkst ja nett von deinen Mitmenschen. „Und da quatscht mich der Kerl auf einmal an. Hallo Andreas, sagt der und ich hab gedacht ich fall vom Glauben ab: da stand wahrhaftig Klaus vor mir.“
Andreas macht eine Kunstpause und sieht mich erwartungsvoll an.
СКАЧАТЬ