Автор: Wolfgang Issel
Издательство: Readbox publishing GmbH
Жанр: Секс и семейная психология
isbn: 9783347133570
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Roby verfügt über hochauflösende Bilder aus seinen Kameras und Audiodateien aus seinen Mikrofonen. Nun soll er diese Ansammlung von Pixeln und Lautschnipseln so interpretieren, dass er sich in seiner Umgebung zurechtfinden und seiner Aufgabe gemäß richtig verhalten kann. Das ist allerdings alles andere als einfach. Das Wichtigste dabei ist das Zuordnen von Bedeutung: Was ist ein Mensch, ein Tisch, ein Stuhl? Roby soll einmal in der Lage sein, diese Gegenstände bewusst wahrzunehmen.
Fragen wir uns aber zunächst, wie das beim Menschen geht.
Wahrnehmung
Die Videokameras von Roby geben eine objektive Realität wieder. Jeder Betrachter würde im Video dasselbe sehen – aber durchaus Unterschiedliches wahrnehmen, ganz abgesehen davon, dass es einen gehörigen Unterschied macht, ob man sich in Ruhe am grünen Tisch eine Szene anschaut oder unmittelbar in die Situation verwickelt ist. – Unter Stress wertet der Organismus andere Merkmale aus und verfolgt andere Ziele als im entspannten Zustand.
Im Prinzip handelt es sich bei deinem Algorithmus um einen grandiosen Verhaltensrechner. Dieser erfasst die aktuelle Situation mit all seinen Sensoren und konstruiert daraus deine ganz subjektive Realität: Es ist deine Wahrnehmung und nur deine. Aber Überraschung: Diese hat mit der objektiven Realität nicht allzu viel zu tun, denn Wahrnehmung ist die Interpretation einer objektiven Situation im Sinne deiner subjektiven Interessen und Erfahrungen.
Bevor dein Algorithmus dir deine subjektiv wahrgenommene Realität auf deinem inneren Bildschirm präsentiert und vielleicht sogar bewusst macht, hat er viele andere Einflüsse eingearbeitet. Das bedeutet: Objektive Realität bearbeitet mit einer Art HirnPhotoshop ergibt die dir von deinem Algorithmus präsentierte subjektive Realität. Je angespannter deine Seelenlage, desto mehr Verfälschung. Da du nur diesen einen inneren Bildschirm hast, bleibt dir nur übrig, zu glauben, was der dir zeigt. Es ist deine subjektive Wahrnehmung, deine persönliche Wahrheit. Für dich gibt es nichts anderes, du musst es glauben, selbst wenn dein Algorithmus dir eine völlig aus der Luft gegriffene Fata Morgana zeigen sollte: Du kannst es nicht wissen, du musst ihm vertrauen. Mach aber nicht den Fehler zu glauben, ein anderer hätte in derselben Situation das Gleiche auf dem Schirm wie du!
Welches Interesse, wirst du dich fragen, sollte dein eigener Algorithmus denn haben, dir deine persönliche Realität vorsätzlich und systematisch dermaßen zu verfälschen? Wenn du dich beim Errechnen deines Verhaltens an einer manipulierten, mehr oder weniger falschen Realität orientierst, handelst du dir doch unkalkulierbare Risiken ein?
Gute Frage. Aber wenn es doch so ist? Jedes offene Bedürfnis verändert deine Wahrnehmung: Mit einem wahren Bärenhunger interessiert dich doch nur noch Essbares. Auf deinem Bildschirm erscheint dir dein Umfeld nur noch nach Essbarem gefiltert. Energieversorgung hat eben höchste Priorität! Mit Magenknurren einem Vortrag folgen? Nur ein Übermensch könnte sich da noch konzentrieren.
Die objektive Realität hat auch wenig Chancen, wenn du seelisch nicht gut drauf bist und halb depressiv herumhängst. Je weiter unten du seelisch bist, desto mehr bist du bereits bei alltäglichen Anforderungen überlastet und desto stärker macht dir dein Algorithmus Angst: Er übertreibt bedrohliche Aspekte der objektiven Realität und zeigt dir überall Risiken und Gefahren: Alle sind gegen dich und die Welt ist böse.
Dann lieber verliebt: Auf Wolke sieben mit einem überhohen seelischen Pegel lässt dich die gleiche Realität federleicht schweben: Die Welt ist zum Umarmen schön, die Farben schillernd und die Zukunft rosarot. In deiner Euphorie traust du dir so ziemlich alles zu.
Aber da ist ja noch die Erfahrung. Zum Glück, so meinst du nun sicher, kannst du dich wenigstens auf dein Gedächtnis verlassen! – Aber denkste: Glaubst du wirklich, was du schon mal erlebt und in deinem Gedächtnis abgelegt hast, könntest du immer wieder im Original abrufen? Ohne dass vom Algorithmus daran herummanipuliert wird? Leider nicht. Bereits beim Abspeichern wird massiv gefiltert: Nur was deinem Algorithmus wirklich wichtig erscheint, wird ins Archiv verfrachtet. Etwas Beiläufiges ist es nicht wert, abgespeichert zu werden, umso mehr aber Vorgänge, die dich persönlich oder unmittelbar stark betreffen. Diese Highlights gelangen besonders nachhaltig in dein Archiv. Ein heftiges Schockerlebnis wiederum setzt dich unter so starken Stress, dass davon nur die gröbsten Basics eingelagert werden. – Dann kannst du dich einfach nicht an Einzelheiten erinnern.
Deine Erfahrungen sind in deine neuronalen Netze eingebettet – gut untergebracht sind sie da nicht. Nur selten oder gar nicht aufgerufen, gehen vor allem die Details mit der Zeit verloren. Permanente Speicherung kostet zu viel Energie und es ist nicht effizient, unwichtige Daten zu erhalten, eine grobe Übersicht über Vergangenes muss genügen. Es sind sowieso immer nur Bruchstücke deiner realen Erfahrungen im Speicher, die bei jedem Abruf wieder irgendwie zu einer dir selbst plausibel erscheinenden Szenerie rekonstruiert werden müssen.
Diese Rekonstruktion ist aber vielen Einflüssen ausgesetzt: Bereits, wenn du ein wenig down bist, erscheint dir deine Erinnerung grau in grau eingefärbt, im halb depressiven seelischen Zustand wird dir eine unschöne Erinnerung womöglich Angst machen und unter besonders starkem Stress, z. B. bei einer Prüfung, kann es sein, dass du blockiert bist und gar nichts mehr abrufen kannst.
Die Rekonstruktion des Erinnerten zu einer Erinnerung kann auch durch äußere manipulierende Einflüsse massiv verfälscht werden. Julia Shaw1, Rechtspsychologin aus London, konnte nachweisen, dass sich allein durch immer wiederkehrende geschickte Fragetechnik auf Dauer sogar frei erfundene Straftaten ins Gedächtnis einer Versuchsperson implantieren ließen. Diese hatten zwar nie stattgefunden, doch die Person selbst glaubte auf Dauer an ihre extern gefälschte Erinnerung. – Die Art der Befragung von Zeugen kann im Sinne gewünschter Ergebnisse sehr manipulativ sein. Aber auch ohne solche Eingriffe widersprechen sich Zeugenaussagen in der Regel: Der eine hat den Unfall so gesehen, der andere schwört Stein und Bein, dass es sich genau umgekehrt abgespielt hat.
Aufgrund seines höchst subjektiven Filters gibt es für einen Menschen keine objektive Sicht auf die Realität. Menschen mit einer innerlich besonders stark verfremdeten Wahrnehmung hoffen und behaupten sogar, es gäbe gar keine objektive Realität. Ihre Angst ist verständlich, denn die ungeschminkte Realität kann durchaus zum Fürchten sein; sie ist hart, kompromisslos und lässt keine Spielräume.
Unabhängig davon wird deine noch so löchrige, grobkörnige und wenig vertrauenswürdige Erfahrung in die aktuelle Wahrnehmung eingearbeitet. Eine einzige in einer ähnlichen Situation gemachte schlechte Erfahrung reicht aus, um bei der Einschätzung der aktuellen Sachlage zutiefst befangen zu sein. Schnell sind alle Männer rücksichtslos, alle Frauen untreu und die Bahn nie pünktlich.
Auch positive Erlebnisse spiegeln sich in deiner inneren Präsentation wider: Warum soll es nicht ein weiteres Mal gut gehen? Der Bursche auf dem dunklen Parkplatz ist doch bestimmt harmlos und die Bahn auf dem Weg zum Flughafen pünktlich? Wenn dir jemand sympathisch ist, siehst du an ihm eher die positiven Seiten. Magst du jemand so gar nicht leiden, traust du diesem miesen Kerl oder jener arroganten Zicke hingegen so ziemlich alles zu.
Grenzwertig verfremdet indes erscheint die Realität oftmals dann, wenn Ideologien oder ein Glaube, womöglich in extremer Form, mit von der Partie sind. Der Algorithmus verengt dann die Wahrnehmung so sehr, dass die ideologische Sicht mit der objektiven Realität fast nichts mehr gemein hat. Jede Diskussion wird sinnlos und zu bewegen ist nichts mehr. Hat der Algorithmus einmal fern der Realität sein Flussbett gegraben, verengt und vertieft sich dieses ganz von selbst immer weiter. Dann ist es nicht mehr weit zu Gewalt, Extremismus und Terror. Ein übermächtiges, fast nicht mehr kontrollierbares Bedürfnis kann schließlich zur totalen Fehleinschätzung einer Situation mit nachfolgendem Fehlverhalten führen, da der Algorithmus bei der Berechnung des Verhaltens von völlig überzogenen СКАЧАТЬ